„Berkin Elvan lebt weiter auf dieser Welt“

Sechs Jahre nach dem tödlichen Schuss mit einer Tränengasgranate ist Berkin Elvan in Istanbul gedacht worden. Der damals 14-Jährige wurde zur Zeit des Gezi-Aufstands auf dem Weg zum Bäcker von der Polizei angegriffen.

Zur Zeit des Gezi-Aufstands, am 16. Juni 2013, wollte der damals 14-jährige Berkin Elvan im Istanbuler Stadtteil Okmeydanı Brot kaufen gehen und wurde von einer Gasgranate am Kopf getroffen. Er starb nach 269 Tagen im Koma. Heute hat ein Gedenken an dem Ort stattgefunden, an dem er damals zum Ziel der Polizeigewalt wurde. An dem von seiner Familien und seinen Anwält*innen organisierten Gedenken nahmen viele Menschen teil, darunter die HDP-Abgeordneten Oya Ersoy und Ahmet Şık, der TİP-Abgeordnete Barış Atay und der CHP-Bürgermeister von Şişli, Muharrem Keskin. Nach einer Gedenkminute für alle, die beim Gezi-Aufstand und im Kampf für Demokratie ihr Leben verloren haben, wurden Nelken niedergelegt.

Rechtsanwältin Çiğdem Akbulut erklärte in einer Ansprache, dass das juristische Verfahren zum Tod von Berkin Elvan noch nicht abgeschlossen ist. Die Anwältin kritisierte das ergangene Urteil des Verfassungsgerichts, das einen Prozess gegen den damaligen Istanbuler Gouverneur und den Polizeipräsidenten abgelehnt hat: „Dieses Urteil bedeutet, dass die Polizei auf jeden schießen kann, Menschen töten oder ins Koma bringen kann, aber die dahinter stehenden Befehlshaber nicht dafür verantwortlich gemacht werden können. Diese Willkürlichkeit haben wir heute erneut an Berkins Grab erlebt. Wie bereits beim Gedenken am 11. März hat die Polizei die Familie belästigt. Wenn der Gouverneur und der Polizeipräsident von Istanbul keine Verantwortung tragen, wer hat dann heute den Polizisten den Einsatzbefehl gegeben? Sind sie von selbst hierhergekommen? Bewegen sie sich willkürlich nach eigenem Ermessen? Auch die Befehlshaber müssen vor Gericht gestellt werden.“

Sami Elvan: Ich habe keine Angst

Nach der Anwältin griff der Vater von Berkin Elvan das Wort und ging auf das polizeiliche Vorgehen auf dem Friedhof ein: „Die Polizisten haben uns Schritt für Schritt verfolgt. Als ich sie nach dem Grund gefragt habe, lautete die Antwort: „Wir machen nur unseren Job.“ Wer hat ihnen das befohlen? Wer hat sie hierhergeschickt? Ich habe bisher niemals Angst auf diesen Straßen gehabt und sie behaupten, sie würden für meine Sicherheit sorgen. Wenn das so ist, warum habt ihr nicht für die Sicherheit meines Sohnes gesorgt? Oder für die von Ethem und Ali Ismail? Warum habt ihr Ahmet Atakan ermordet und von einem Gebäude geworfen? Warum habt ihr Abdullah Cömert erschossen? Ich möchte an dieser Stelle allen mitteilen, dass der Gezi-Aufstand ein ehrenhafter Widerstand war und ich ihn bis zum letzten verteidigen werde. Sie können mich belästigen, soviel sie wollen, ich fürchte mich nicht vor ihnen und werde weiterhin für meine Rechte eintreten.“

„Ihr könnt Berkin nicht auslöschen“

Berkin Elvans Mutter Gülsüm erklärte: „Berkin ist nicht gestorben, er lebt weiter auf dieser Welt. Neulich bin ich in die Schweiz gefahren, dort ist ein Park nach meinem Sohn benannt worden. Ihr könnt tun, was ihr wollt, aber ihr könnt Berkin nicht auslöschen. Berkin lebt im Gewissen seiner Brüder, Onkel, Mütter weiter, aber eines Tag wird Berkin kommen und euch auslöschen.“

Zum Schluss rief Rechtsanwalt Can Atalay zur Prozessbeobachtung im Verfahren um Berkin Elvan am 19. Juni sowie im Gezi-Verfahren am 24.-25. Juni in Silivri auf. Atalay vertritt die Familie Elvan und ist selbst im Gezi-Prozess angeklagt.