„Der HDK baut die antifaschistische Front auf“

Der Aufstand in der Gesellschaft gegen das Regime wächst und dem HDK fallen in diesem Sinne noch mehr Aufgaben zu, erklärt die Ko-Sprecherin des Demokratischen Kongresses der Völker (HDK), Esengül Demir.

Der Demokratische Kongress der Völker (HDK) wählte seine neuen Ko-Sprecher:innen Esengül Demir und Cengiz Çiçek im Juni auf der 11. Generalversammlung. Darüber hinaus wurden 105 Mitglieder der Generalversammlung in ihrem Amt bestätigt. Im ANF-Gespräch hat sich die designierte Ko-Vorsitzende Esengül Demir über die zehn Jahre Widerstandsgeschichte des HDK und seine aktuellen Aufgaben und Ziele geäußert.

Die Bedeutung der eigenen Kraft des Volkes“

Demir erinnert an die Geschichte des HDK und erzählt: „Vor zehn Jahren haben sich viele Vereine, Nichtregierungsorganisationen und Einzelpersonen aus der Türkei getroffen, um eine Struktur zu schaffen, auf deren Grundlage sich die Menschen selbst organisieren und ihre Probleme aus eigener Kraft lösen können. Heute, mit dem Zusammenbruch vieler Strukturen des Staates und der Erosion sozialer Rechte im Rahmen der Wirtschaftskrise, hat sich gezeigt, wie unabdingbar eine Struktur wie der HDK ist.“

Der Zusammenbruch des Kapitalismus und die Institutionalisierung der Repression

Demir fährt fort: „Der Zusammenbruch, von dem ich gesprochen habe, gilt nicht nur für die Türkei, die Welt ist im vergangenen Vierteljahrhundert in eine ernsthafte Krise eingetreten. Die andauernden Kriege, die Ausweglosigkeit dieser Kriege, die Dilemmata und der Rückgang der Kapitalakkumulation spielten eine wichtige Rolle bei der Entstehung dieser tiefen Krise. Das kapitalistische System versucht, aus dieser Krise herauszukommen, und natürlichen bestehen hier Zusammenhänge mit dem Nationalstaat der Türkei, vor allem auch aufgrund der sie umgebenden Staaten des Mittleren und Nahen Ostens.

Wir wissen, dass der Zusammenbruch des Kapitalismus durch den Pandemieprozess beschleunigt wurde und er sich nun zu restituieren versucht. Dazu übt er großen Druck auf die Gesellschaft und die Bevölkerung aus. Das sehen wir auch in der Türkei, wo der Kapitalismus in Trümmern liegt und die AKP/MHP-Regierung versucht, den Faschismus zu institutionalisieren und Druck auf alle Teile der Gesellschaft aufzubauen, um so einen Weg durch diesen allgemeinen Zusammenbruch zu finden.

Die Herrschaft greift auf alle Bereiche des Lebens zu, von der Ökologie über die Kultur bis hin zur Gesundheit. Es findet ein massiver Angriff auf das Leben von Frauen, ihren Lebensraum und ihre Körper statt. Aus dem Austritt aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen vor Gewalt und den in diesem Rahmen geführten Diskussionen wissen wir, dass ein frauenfeindlicher Mechanismus herrscht.

Trotz alledem wissen wir aber auch, dass die AKP und der faschistische Block, den sie später mit der MHP bildete, in den 20 Jahren Herrschaft nicht in der Lage war, die gesamte Gesellschaft zu beherrschen. Menschen der verschiedensten gesellschaftlichen Bereiche stellen sich gegen diese Herrschaft.“

Heute richtet sich die Repression gegen die ganze Gesellschaft“

Demir erklärt, die Bedingungen bei der Gründung des HDK 2011 seien ganz anders gewesen als heute: „Das war die Zeit, in der über Friedensverhandlungen diskutiert wurde. Heute befinden wir uns in einer Phase, in der der Faschismus institutionalisiert wird und alle Segmente der Gesellschaft heftig angegriffen werden. Während sich die Angriffe im Jahr 2011 nur gegen das kurdische Volk richteten, können wir 2021 von einer Repression sprechen, die sich auf alle Teile der Gesellschaft ausgeweitet hat. Es hat ein religiös geprägter, reaktionärer Aufbauprozess stattgefunden. Deshalb fällt dem HDK angesichts des Versuchs des Faschismus, die Gesellschaft zu ersticken, die Rolle zu, mit größerem Mut auf vielfältige Weise in die Offensive zu gehen, der Gesellschaft damit Mut und Kraft zu geben und einen Fokus für die gespaltene Opposition darzustellen. Die Gesellschaft hat einen ernsthaften Bedarf an dieser Art von Organisation, denn es gibt einen wachsenden sozialen Aufstand. Dieser Aufstand reicht von den Landarbeiter:innen zu den Bauarbeiter:innen, von Studierenden bis zu den Akademiker:innen, von der Frauenbewegung bis hin zu den ökologischen Kämpfen. Überall gibt es ernsthaften Widerspruch und immer wieder auch Widerstand. In dieser Zeit fällt dem HDK die Aufgabe zu, mit Mut und Entschlossenheit eine antifaschistische Front aufzubauen. Die Entschlossenheit des HDK im Sinne seiner Organisierungsform, seiner Ideen und auch zur Ausweitung des Aufstands wird heute stärke denn je benötigt.“

Die antifaschistischen Kämpfe vereinen“

Der HDK spielt bei der Vereinigung der Opposition eine Schlüsselrolle, sagt Demir und beschreibt: „Der HDK will die Front der demokratischen Opposition stärken, denn er kann sich in vielen Formen organisieren. Die bestehende Struktur des HDK ermöglicht es ihm, alle antifaschistischen Strömungen unter einem Dach zu organisieren und den antifaschistischen Block und dessen Kampf zu stärken. Die HDK-Räte spielen eine wichtige Rolle, die antifaschistischen Kämpfe zu bündeln. Die Stadt- und Nachbarschaftsräte, die Ökologie-, Gesundheits-, Rechts- und weltanschaulichen Räte des HDK haben das Potential, verschiedenste gesellschaftliche Bereiche unter einem Schirm zusammenzubringen. Denn all diese Bereiche werden angegriffen. Sowohl die Idee als auch die Organisationsstruktur des HDK sind vollkommen geeignet, all diese Strukturen zusammenzubringen, um eine gemeinsame Basis für den Kampf gegen diese faschistischen Angriffe zu schaffen."

Wir werden den Kampf ausweiten“

Zu den Schwierigkeiten des HDK in der Vergangenheit erklärt Demir: „Der HDK hat ein Organisationsmodell in Form von Räten, aber er hatte auch ein Problem: Die Politik der HDP, die aus dem HDK hervorgegangen ist, hat eine größere politische Rolle übernommen, und der HDK hat seine Aufmerksamkeit auf diese Angriffe und diesen Kampf im Bereich der demokratischen Politik gerichtet. Aber natürlich haben beide deutliche strukturelle Unterschiede und keine gleiche Basis. Die eine ist eine Partei, die auf dem Gebiet der demokratischen Politik kämpft, und der HDK ist eine konföderale Dachorganisation. Es ist ein Modell, das viele oppositionelle Strukturen, Einzelpersonen und Organisationen umfasst. In der neuen Phase wird sich der HDK auf die lokale Organisation konzentrieren. Natürlich werden auch alle Komponenten des HDK in diesem Prozess mehr Verantwortung übernehmen und den HDK weiter stärken. Der HDK hat eine Aufbauphase der eigenen Infrastruktur vor sich.

Das größte Ziel des HDK im kommenden Prozess ist es, den Kampf der politischen Strukturen auszuweiten; aber auch diesen Kampf in den politischen Strukturen umzusetzen, indem lokale Mechanismen etabliert werden, um auf die Bedürfnisse der Bevölkerung einzugehen. Als brennendes Problem stehen wir vor der Wirtschafts- und Demokratiekrise. Diese Krisen betreffen einen sehr großen gesellschaftlichen Anteil. Insbesondere für unseren Rat für Arbeit wird es eine Zeit intensiven Kampfes werden. Darüber hinaus gibt es von den Ida-Bergen bis hin zum Kanal-Istanbul-Projekt eine gewaltige Umweltzerstörung. An dieser Front wird unser Ökologierat kämpfen. Wir haben bereits direkt nach dem Konstitutionskongress neue Regeln eingeführt. Die Mechanismen zur Arbeit mit unseren Räten bestehen, aber wir haben intensiv über die Ausweitung der Mittel des Kampfes diskutiert und mehrere Ziele vor Augen.“