Demonstration „N-Wort stoppen!“ in Hamburg

Im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern darf man unter bestimmten Umständen das N-Wort benutzen, befand kürzlich ein deutsches Gericht. Um gegen das diskriminierende Urteil zu demonstrieren, sind in Hamburg hunderte Menschen auf die Straße gegangen.

+++Achtung: Im Folgenden wird das N-Wort mehrfach zitiert ausgeschrieben+++

Im Dezember 2019 urteilte das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, dass der Ordnungsruf der Landtagsvizepräsidentin im November 2018 wegen der mehrfachen Verwendung des Wortes „Neger” durch den AfD-Landtagsfraktionschef Nikolaus Kramer gegen die Landesverfassung verstoßen habe (Urteil vom 19.12.2019, Az.: LVerfG 1/19).

Unter anderem befand das Gericht, dass das Wort „Neger” nicht zu den Begriffen zählt, die ausschließlich der Provokation oder der Herabwürdigung anderer dienen können. Es werde zwar nach heutigem Sprachgebrauch in der Regel als abwertend verstanden – ob es tatsächlich so gemeint sei, könne jedoch nur aus dem Zusammenhang heraus beurteilt werden. Der Ordnungsruf habe den Abgeordneten somit in seinem Rederecht verletzt.

Von einer Petition zur Bewegung

Charlotte Nzimiro, die als Reaktion auf dieses haarsträubende Urteil eine mittlerweile von über 100.000 Menschen unterzeichnete Petition startete, schreibt in ihrem Aufruftext: „Das N-Wort ist immer abwertend! Und darüber entscheiden allein die Menschen, die diesen Begriff als höchst abwertend und entmenschlichend empfinden und das sind schwarze Menschen. Wir sind ein Teil dieser Gesellschaft und haben ebenso wie jeder andere Bürger ein Recht auf Menschenwürde und Gleichheit, welche durch dieses Urteil angegriffen werden und dem Rassismus in Deutschland noch mehr Spielraum und Entfaltungsmöglichkeiten geben. Schwarze Menschen verbinden den Begriff mit viel Leid, Diskriminierung, Gewalt ihnen gegenüber, Ungleichheit und Entmenschlichung! Wir dürfen es nicht dulden, dass Menschen, die nicht wissen wie es sich anfühlt als ‚N-Wort’ betitelt zu werden, darüber entscheiden, ob der Begriff (ganz gleich in welcher Situation) beleidigend ist oder nicht.“

„Unsere Stimmen erheben und zeigen, dass wir ein Teil dieser Gesellschaft sind“

Nachdem am 18. Januar bereits in Köln eine Demonstration stattfand, kamen am gestrigen Samstag  – dem letzten Tag des Black History Month – über 400 Menschen in Hamburg zusammen, um ihrer Wut über die Notwendigkeit, überhaupt darauf hinweisen zu müssen, dass die Verwendung des N-Worts rassistisch ist, Ausdruck zu verleihen. Die von Charlotte Nzimiro (Black Power Germany), Michele Leyangha (Africa United Sports Club), Tanja Daisy Scheffler und Christophe Twagiramungu (KölnSPD) organisierte Demonstration begann vor dem Hamburger Landgericht und zog unter dauerhaften, lautstarken „N-Wort stoppen!“ und „Alle zusammen gegen den Rassismus!“-Rufen bis vor das Rathaus.

Individueller und struktureller Rassismus in Deutschland

„Deutschland ist, wenn mir weiße Personen erklären wollen, was Rassismus ist“ war auf dem Schild einer Demonstrierenden zu lesen – und traf damit ins Mark: Das Landgericht Mecklenburg-Vorpommern besteht aus sieben weißen und fast ausschließlich männlichen Mitgliedern. Ein Umstand, den Charlotte Nzimiro im Text der Petition bereits deutlich macht und der auch auf der gestrigen Demonstration in den Mittelpunkt trat.

So sprach Jeff Kwasi Klein von EOTO Berlin in seinem Redebeitrag darüber, wie durch Ignoranz und dem Absprechen von Selbstbestimmung gegenüber BPoC (Black People of Color), die weiße Vormachtstellung vertuscht und dadurch zementiert wird: „Der Verlust von Privilegien macht vielen, die davon profitieren, Angst. Ob bewusst oder unterbewusst, ob links oder rechts, ob alt oder jung, ob arm oder reich, ungeachtet der Bildung und des Geschlechts – sie fürchten sich vor Einbußen, vor dem gesellschaftlichen Abstieg. Sie fürchten den Gedanken, dass sie auf unfaire Weise von ihrer weißen Haut profitiert haben, denn das würde bedeuten, dass sie Teil des Problems sind. Das lässt ihr eigenes Selbstbild nicht zu (…) Man sagt, Wissen ist Macht. Aber hier zeigt sich, dass auch Unwissen Macht sein kann.“

Diese rassistische Denkstruktur wirkt nicht nur in individuellem Denken, sondern findet seinen Ausdruck auch in einem Gesellschaftsmodell, das von Weißen bestimmt wird und in erster Linie ihnen dient. Der Verfassungsschutz unter Hans-Georg Maaßen, die Morde des NSU, die Existenz rechter Terrorzellen mit Verbindungen zur Polizei und zum Militär und das rassistische Attentat in Hanau als letztes, schreckliches Beispiel einer langen Geschichte von Gewalt – sie sind unübersehbarer Ausdruck der rassistischen Gesellschaft und bilden die Spitze eines massiven Eisbergs.

Genauso geht es um Dinge, die ungesagt bleiben. So fordert Charlotte Nzimiro, dass die Geschichte schwarzer Menschen endlich in den Geschichtsbüchern und Klassenzimmern Platz finden muss: „Es wird mit keiner Silbe erwähnt, dass es auch schwarze Menschen zu Zeiten des Holocausts hier in Deutschland gab, die ausgebeutet worden sind, benutzt worden sind für diese widerlichen deutschen Propagandafilme, wo sie die dummen Schwarzen spielen mussten (…) Und ich will, dass es jeder hört: Deutschland verschweigt seinen ersten Völkermord an den Herero und Nama!“

„Wo anfangen, wenn das ganze Haus in Flammen steht?“

Jeff Kwasi Klein benannte die Sprache als guten Ausgangspunkt, um den Kampf gegen das rassistische System zu führen: „Schwarze Menschen und auch alle anderen rassifizierten Communities als gleichwertige Individuen anzuerkennen bedeutet, uns das Recht auf Selbstbestimmung zuzugestehen und damit auch das Recht auf Selbstbezeichnung.“ Das N-Wort könne nicht von weißen Menschen benutzt und relativiert werden, denn dieses Wort begründe die historische Entmenschlichung von BpoC. „Uns weiterhin stur und ignorant mit einem Begriff zu adressieren, der historisch klar nachweisbar für unsere Unterdrückung steht und zu behaupten ‚Das stimmt ja gar nicht, das ist ja gar nicht so gemeint, das muss man ja im Kontext sehen’, das ist die Definition von Rassismus und der Ausdruck weißer Psychose.“

Anstatt Rassismus kleinzureden oder gar umzudrehen, muss die Existenz des White Privilege, also der Privilegien, die einer Person allein durch ihr weiß Sein zukommen – ob gewollt oder nicht – anerkannt werden. Ein längst überfälliger Schritt, um glaubhaft an den Punkt eines gemeinsamen Kampfes gegen Rassismus zu kommen.