Demirtaş: Ohne Öcalan geht es nicht!

Der inhaftierte ehemalige HDP-Vorsitzende Selahattin Demirtaş hat sich zum Widerstand von Leyla Güven geäußert und betont, ein politischer Prozess ohne Öcalan sei nicht möglich.

Der inhaftierte kurdische Politiker Selahattin Demirtaş hat einen Artikel zum Hungerstreik von Leyla Güven für die in der Türkei erscheinende Zeitung Yeni Yaşam verfasst. Leyla Güven fordert mit ihrer Aktion die Aufhebung der Isolation Abdullah Öcalans auf der Gefängnisinsel Imrali.

„Wir müssen dafür sorgen, dass Leyla Güvens Aktion Erfolg hat“

Leyla Güven befindet sich seit 54 Tagen im Hungerstreik. Obwohl sie gewählte Abgeordnete ist, wird sie als politische Geisel illegal im Gefängnis von Diyarbakır festgehalten. Für die Durchsetzung ihrer legitimen und gerechten Forderungen ist sie in einen Hungerstreik getreten.

Seit April 2015 konnte Abdullah Öcalan nur ein einziges Mal seinen Bruder sehen. Seit diesem kurzen Besuch gibt es weder von ihm noch von den anderen Gefangenen auf Imrali ein Lebenszeichen. Der Aufruf, an dessen Spitze Leyla Güven steht, ist daher von enormer Bedeutung. Die Haltung von Leyla Güven ist vor allem ehrenhaft und respektgebietend. Uns fällt es zu, das Recht auf Leben unserer Freundinnen und Freunde zu verteidigen und zu schützen, uns auf entschiedenste Weise hinter ihre gerechtfertigte Forderung zu stellen und so schnell wie möglich ein Ergebnis zu erzielen.

Dieses lebenswichtige Thema konnte immer noch nicht auf die internationale Tagesordnung gebracht werden, da die Regierung eine extreme Repression und ein Embargo praktiziert. Sogar 70 bis 80-jährige Mütter, die auf diese Situation aufmerksam machen wollen, werden bei illegalen Razzien in Parteigebäuden festgenommen.

Was ist zu tun?

Leyla Güven steht im vollen Fokus dieser Repression, sie verweist auf Imralı, auf die Situation von Abdullah Öcalan als Ausweg aus dieser Situation. Statt darauf zu warten, dass günstige Bedingungen entstehen, um ihre Forderung auf die Tagesordnung zu setzen, kämpft Leyla Güven, um selbst günstige Bedingungen zu schaffen. Es ist wichtig, dies zu begreifen und zu vermitteln.

Die friedliche Haltung, die Abdullah Öcalan insbesondere im Rahmen des Lösungsprozesses an den Tag gelegt hat, seine plausiblen und aufrichtigen Vorschläge haben in einem wichtigen Ausmaß Vertrauen in der Gesellschaft in der Türkei geschaffen. Aufgrund der vergeudeten Friedensprozesse und der zwischen ihnen liegenden schmerzhaften Zeiten mögen diese vergessen oder verdrängt worden sein. Es fällt heute unserem Volk, der demokratischen Politik, der Zivilgesellschaft und den Medien zu, auf passende Weise die Öffentlichkeit in der Türkei und weltweit daran zu erinnern.

Es ist wichtig, gut und richtig zu vermitteln, warum die Forderung von Leyla Güven bedeutend ist, warum es nicht nur eine persönliche Angelegenheit ist, sondern sie die Menschen vom Schwarzen Meer bis zur Ägäis, von Marmara bis in den Osten und bis hin zum Mittelmeer jede Bürgerin und jeden Bürger der Republik Türkei unmittelbar betrifft. Dafür wurden schon immer umfassende und detaillierte Kampagnen und Planungen durchgeführt, aber heute ist es wichtig, sich damit mit noch größerer Ernsthaftigkeit zu beschäftigen und mit allen Möglichkeiten den Fokus auf dieses Thema zu richten. Ohne Unterschied müssen alle Medien, die Redakteur*innen, die Autor*innen, die Verantwortlichen für Fernsehprogramme, die Gewerkschaften, Parteien, Berufsvereinigungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen eine nach der anderen besucht und über die Wichtigkeit und Sensibilität des Themas für die Türkei unterrichtet werden. Die Öffentlichkeit muss auf Volksversammlungen, Veranstaltungen und Konferenzen unterrichtet werden.

„Die richtige Wahl ist Öcalan“

Leyla Güvens Hungerstreik begann vor der Rückzugsentscheidung der USA aus Syrien und hängt natürlich nicht mit ihr zusammen. Aber diese Entwicklung eröffnet die Möglichkeit einer neuen Offensive. Angesichts des Diskurses der AKP/MHP, in dem behauptet wird, es gäbe in Syrien und Rojava keine Alternative zur Militärintervention und zum Krieg, sollten wir mit lauter Stimme sagen: ‚Doch, es gibt eine andere Wahl. Die logischste und richtigste Wahl ist Abdullah Öcalan.‘

Abdullah Öcalan hat im 2013 begonnenen Friedensprozess auf Imrali alle Bedrohungen und Gefahren vorausgesehen und einen großen türkisch-kurdischen Frieden, eine strategische Einheit im Mittleren Osten vorgeschlagen. Wenn seine logischen und passenden Vorschläge beachtet worden wären, hätte es weder im Inland noch im Ausland derartig viel Leid gegeben.

Die Diskussion, welche militärische Kraft nun die Lücke ausfüllen soll, die die USA in Syrien hinterlassen, bringt keine dauerhafte Lösung. Wenn es dort eine Lücke gibt, dann muss diese von einer strategischen Allianz der Völker ausgefüllt werden.

Es wäre naiv und träumerisch, von Erdoğan und Bahçeli einen Wandel in ihrer Haltung hin zu einem Friedensprozess zu erwarten. Aber nur weil es diese politische Clique es nicht will, bedeutet das nicht, dass wir die Wahl eines Friedens mit Öcalan vernachlässigen sollten.

„Nun ist die Zeit“

Jetzt ist genau die richtige Zeit dazu. Der Stimme Leylas Gehör zu verschaffen und diese Forderung auf einer richtigen Grundlage zu organisieren und in eine Offensive umzuwandeln, heißt Politik zu machen, politisch zu kämpfen. Bei Abdullah Öcalan geht es nicht um Strafrecht, nicht um Kriminologie, sondern um Politik. Staat und Regierung kennen die politische Kraft Öcalans genauso gut wie wir. Das ist ja auch der Grund für seine Isolation. Daher ist es wichtig, sich dieser Geiselnahme, dieses Erstickens der Politik und der Kriegstreiberei nicht zu ergeben.

„Ohne Öcalan geht es nicht, Punkt!“

Schließlich kann man fragen, warum Öcalan, warum nicht jemand anderes? Sagt denen, die diese Frage stellen, folgendes: Eine Führung, die Frieden schafft, entwickelt sich in einem historischen Prozess, sie wird nicht einfach gemacht. Es gibt in der Bevölkerung, der Politik und den internationalen Machtverhältnissen Beziehungen, aus denen Ergebnisse erzielt werden. Diese Realität kann man nicht ignorieren oder ändern. Es ist so, als wollte man TOKI beauftragen, neben dem Ararat einen neuen Ararat zu bauen. Abdullah Öcalan war bei seiner Suche nach Frieden seit 1993 extrem produktiv, erfinderisch und aufrichtig. Bei dieser Angelegenheit geht es darum, die Vorurteile niederzureißen und den Verstand einzuschalten. Wir können als Strukturen wie HDP, HDK, DTK und DBP eine Rolle beim Aufbau des Friedens spielen. Die Führungsrolle dabei ist jedoch etwas anderes. Deshalb geht es nicht ohne Öcalan, Punkt.