Dayika Xeysa: Ich werde den Kampf meiner Tochter fortsetzen

Xeysa Nas, von vielen liebevoll „Dayika Xeysa“ genannt, floh in den 90ern vor Verfolgung und Unterdrückung aus Şirnex nach Bremen. Ihre Tochter Rojda wiederum brach von dort zur Guerilla auf, wo sie 2007 im Kampf fiel.

Der Lebensweg von Xeysa Nas beginnt in einem Dorf bei Hezex (tr. Idil) in der nordkurdischen Provinz Şirnex. Wegen der Verfolgung durch den türkischen Staat muss sie in den 1990er Jahren nach Deutschland fliehen. Seit ihrem ersten Tag im Exil engagiert sie sich für den Befreiungskampf. Im ANF-Interview spricht sie über ihre Tätigkeit im Bremer Mala Kurda, dem kurdischen Verein, und in der Kommission für Familien von Gefallenen. Dabei geht es auch um ihre Tochter Rojda Nas. Die PKK-Kämpferin, deren Nom de Guerre Rûken Hespistê lautete, kam 2007 zusammen mit sieben weiteren Mitgliedern der Guerilla in Botan ums Leben.

Könnten Sie sich bitte einmal vorstellen?

Ich stamme aus Şirnex. Unser Dorf heißt Hespist und gehört zum Bezirk Hezex. Dort bin ich geboren, aufgewachsen und habe geheiratet. Es ist das Dorf meiner Vorfahren.

Wie alt waren Sie, als Sie das Dorf verlassen mussten?

Ich war 34 Jahre alt, als ich hierherkam. Nur eines meiner Kinder wurde hier geboren. Alle anderen Kinder wurden in der Heimat geboren.

Wie war Ihr Leben im Dorf?

Unser Dorf war wirklich schön. Wir waren alle miteinander eng verbunden, es gab keine Fremden unter uns. Damals führten wir ein gutes Leben. Niemand behandelte den anderen unfair. Wir betrieben Landwirtschaft. Neben unserem Dorf floss ein wunderschöner Bach. Wir hatten Fisch, wir hatten Reis. Wir mussten nichts aus der Stadt kaufen – Paprika, Auberginen, Tomaten, Reis, und so weiter. Wir hatten alles. Unser Tal war zauberhaft.

Dann kam der Staat und sagte: „Ihr dürft kein Paprika und keine Tomaten mehr anbauen. Die PKKler kommen ins Tal und nutzen das Gemüse. Deshalb hungern sie nicht. Ihr dürft auch keinen Reis mehr pflanzen.“ Sie verboten uns, das Tal zu bewirtschaften, sodass wir es nicht mehr nutzen konnten.

Dann entstand der revolutionäre Kampf. Manche nannten sie „Banditen“, andere „Studierende“. Ich erinnere mich nicht genau, aber sie wurden mit verschiedenen Bezeichnungen beschimpft. Einige verunglimpften sie mit den Worten: „Es sind Diebe, die in unsere Häuser eingebrochen sind.“ Erst als die Menschen in Kontakt mit ihnen kamen, verstanden sie, dass sie die gleiche Sache verfolgten wie Şêx Seîd. Allmählich begannen wir, sie zu verstehen.


Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie die Guerilla zum ersten Mal sahen? Wie haben Sie sie gesehen?

Ich werde Ihnen etwas erzählen, aber Sie werden wahrscheinlich lachen. Ich bereitete Essen für sie zu, und andere nahmen es mit. Dann brachte man mir ihre Schuhe. Ich kannte sie noch nicht und dachte: „Oh, sind das wirklich Menschenschuhe?“ Ich roch daran und sagte: „Bei Gott, sie riechen menschlich!“ Man sagte mir nichts. Ich wurde nur gebeten, Essen zuzubereiten, aber sie sagten mir nicht, wem ich es bringen sollte. Also kochte ich die Mahlzeit. Manchmal brachte man mir alte und neue Schuhe mit. Man erklärte, dass man mit den alten Schuhen arbeiten könne. Einige Schuhe hatten Löcher. Am Anfang kannte ich die Guerilla nicht, aber nach und nach lernten wir sie kennen.

Manchmal trafen sie sich mit uns, führten Versammlungen durch und unterrichteten uns. Sie erklärten uns, dass wir Millionen werden würden. Manchmal baten sie um Hilfe. Sie versammelten uns in der Schule und sagten: „Wir sind eure Kinder, ihr seid unsere Eltern. Wir führen euren Kampf weiter. Wir akzeptieren nicht, dass ihr unterdrückt werdet.“ Unsere Bindung wurde so eng, dass wir alles mit ihnen teilen wollten, was uns bedrückte. Unsere Liebe zu ihnen war so stark gewachsen. Wir fragten uns oft, wann sie kommen und unsere Gäste sein würden, und was wir für sie tun könnten.

„Mit der Guerilla haben wir die Schönheit kennengelernt“

Wir haben durch die Guerilla die Schönheit kennengelernt. Als wir sie trafen, hatten wir bisher nur die Unterdrückung durch den Staat erfahren. Der Staat beschuldigte uns, dass wir sie aufnahmen, ihnen Essen gaben und ihnen halfen. Nun stürmte das Militär täglich unsere Häuser. Der Druck beschränkte sich nicht nur auf unser Dorf, sondern erreichte auch Filê, Bafê und alle umliegenden Ortschaften.

Unser Dorf liegt auf der Seite von Botan an der Einmündung der Straße nach Torî. Alle aus den umliegenden Dörfern reisten über unser Dorf nach Hezex. Auch die Wege nach Botan und Bagok führten über unser Dorf. Aus diesem Grund wurden auch die Dörfer Bafê, Acaniyê und Filê mit Repression überzogen. Die Menschen waren Patrioten wie wir. Sie liebten die Partei wie wir. Die Guerillakämpfer waren unsere eigenen Kinder. Wie könnten wir unsere eigenen Kinder nicht lieben? Wir lieben sie auch heute noch. Sie sind in die Berge gegangen. Wollten sie nicht auch ein eigenes Zuhause und eigene Kinder haben? Aber ihre Eltern werden unterdrückt. Ihre Brüder und Schwestern werden unterdrückt. Ihre Kinder sind der Unterdrückung ausgesetzt. Natürlich mussten sie in die Berge gehen. Sie sind nicht gegangen, weil ihnen langweilig war. Niemand geht dort einfach so hin.

„Wenn es das Mala Kurda nicht gäbe, würde ich ersticken“

Sie sind nach den Angriffen des Staates nach Deutschland gekommen. Auf welchem Weg? Was haben Sie hier erlebt?

Wir sind hierhergekommen, weil wir verfolgt wurden. Wenn es keine Verfolgung gegeben hätte, wäre es in unserem Dorf schön gewesen. Es war unsere Heimat, unser Dorf, wir hatten alles dort. Wenn die Mauer eines Hauses einstürzte, kamen die Dorfbewohner innerhalb einer halben Stunde zusammen und bauten sie wieder auf. Beim Bau eines Hauses halfen wir uns gegenseitig. Wir wollten unser Land nicht verlassen. Wer würde schon sein Land verlassen wollen? Aber wir wurden unterdrückt. Wir mussten weg. Wir kamen in ein Flüchtlingslager. Drei- oder viermal wurden wir an andere Orte gebracht, bis wir schließlich hier ankamen. Wir erlebten viel Demütigung, auch im Flüchtlingslager hier hatten wir Schwierigkeiten.

Meine Tochter war vor uns hier angekommen. Ich kam später. Meine Tochter und ich litten ein Jahr lang sehr. Ich sagte: „Meine Tochter, auch ich bin sehr traurig.“ Sie sagte: „Mama, wir gehen in die Küche, aber wir sprechen die Sprache nicht. Wir versuchen zu sprechen, aber wir wissen nicht, welche Sprache sie sprechen. Ich will zurück in die Heimat.“ Ich sagte: „Meine Tochter, schau, sie sagen, dass sich die Bedingungen nach einem Jahr verbessern werden.“

Ich kam hierher und fragte: „Gibt es hier keinen Verein? Gibt es kein kurdisches Haus, wo man zumindest etwas Luft holen und ein paar Landsleute sehen kann?“ Ich bekam mit, dass mein Bruder und seine Freunde dort in der Organisation aktiv waren. Sie bereiteten gerade eine Abendveranstaltung vor. Als ich sah, dass der Verein voller Menschen war, fühlte ich mich erleichtert und sagte mir: „Oh Herr, Gott sei Dank!“ Als wir in den Verein kamen und unser patriotisches Volk sahen, erzählten wir einander von unseren Problemen. So lernten wir nach und nach unseren Verein kennen. Wir lernten das Mala Kurda kennen und es wurde unser Zuhause. Ich lebe seit 27 Jahren hier. Meine Kinder sind jetzt 30. Sie kamen zwei bis drei Jahre vor mir. Seit 27 Jahren habe ich mein Land nicht mehr gesehen. Ohne das Mala Kurda würde ich eines Tages ersticken. Denn das Mala Kurda verkörpert unsere Sprache, unsere Kultur, unsere Existenz. Wenigstens können wir dort gemeinsam über unsere Probleme sprechen. Vor zwölf Jahren haben vier oder fünf Freundinnen und Freunde – alle kannten hier unseren Freund Herbijî [Celal Özkan]; er war der Vater von drei Gefallenen – die Bremer Kommission für Familien von Gefallenen gegründet.

Warum haben Sie diese Kommission gegründet?

Wir hatten dringenden Bedarf. Es gibt viele Menschen wie uns, deren Herzen vor Schmerz in Flammen stehen. Wir besuchen sie. Wir leben im Exil. Niemand will unsere Probleme hören. Wem sollten wir unsere Probleme erzählen? Deutschen, Arabern, Persern? Nein, das tun wir nicht. Aber wir können uns gegenseitig unsere Probleme erzählen. Mit anderen Worten, wir besuchen diese Familien und fragen, ob sie irgendwelche Wünsche haben, wie wir ihnen helfen können, was sie von uns brauchen. Deshalb wurde diese Kommission gegründet. In jeder Stadt wurde eine Kommission eingerichtet. Diese Kommissionen treffen sich einmal im Jahr, und alle berichten über ihre Arbeit. Die Kommission für Familien der Gefallenen arbeitet offiziell. Sie ist offiziell anerkannt. Es handelt sich nicht um eine illegale Tätigkeit. Es ist eine Kommission, die von Müttern gegründet wurde, deren Herzen brennen.

Könnten Sie uns ein wenig über Ihre Beziehung zum Verein erzählen? Wie war es, als Sie das erste Mal in den Verein gegangen sind? Wie haben sich Ihre Beziehungen entwickelt?

Wir waren so patriotisch, dass die Freunde, wenn sie uns unterrichteten, sagten: „Wenn Kurdistan gegründet wird, wird dieses Dorf seine Hauptstadt sein.“ Wir waren so glücklich! Also haben wir härter gearbeitet.

Als ich nach Deutschland kam, ging ich zum Verein. Als ich dort eine Karte von Kurdistan sah, war Hespist nicht eingezeichnet. Ich fragte: „Wo ist das Bild von Hespist?“ Sie sagten: „Wer kennt Hespist?“ Ich sagte: „Wie, du kennst also Hespist nicht! Hespist ist die Hauptstadt von Kurdistan.“ Wir begannen mit den Menschen zu arbeiten. Wir machten Witze. Schließlich verstanden wir. Was hatten wir bisher außer Hespist gesehen? Wir kamen höchstens bis Hezex und kehrten dann in unser Dorf zurück. Wir hatten nie etwas anderes gesehen.

„Ich habe meinen Kindern zuerst die Muttersprache beigebracht“

Können Sie etwas über Ihre Kinder erzählen? Wie viele Kinder haben Sie?

Ich habe vier Söhne und vier Töchter hier. Eine von ihnen ist gefallen. Meine Kinder arbeiten hier. Als wir hierherkamen, gab es Gott sei Dank das Mala Kurda. Wir haben unsere Kinder dorthin gebracht und sie dort aufgezogen. Sie sind mit der Kultur ihrer Eltern aufgewachsen. Sie sind mit ihrer Muttersprache aufgewachsen. Sie sprechen jetzt drei Sprachen. Natürlich hätten sie auch Türkisch lernen können. Aber ich habe ihnen verboten, Türkisch zu sprechen. Ich wollte nicht, dass sie diese Sprache sprechen, denn die Türkei hatte uns so sehr verfolgt. Als meine Kinder dann in die Heimat fuhren, brauchten sie einen Dolmetscher. Als sie zum Konsulat gingen, sagte man ihnen: „Warum sprecht ihr kein Türkisch?“ Sie sind hier aufgewachsen, ihre Mütter sprachen kein Türkisch, ihre Väter auch nicht. Was können wir tun, wir sprechen kein Türkisch.

Die Muttersprache muss an erster Stelle stehen. Ich habe alle meine Kinder in ihrer Muttersprache erzogen. Mein hier geborenes Kind spricht sehr gut Kurdisch. Manchmal verwechselt es die Wörter, aber Gott sei Dank ist es gut in der Sprache. Ich danke Gott, dass unsere Kinder mit der Kultur ihrer Mütter, ihrer Vorfahren und ihrer Heimat aufgewachsen sind.

„Meine Tochter war würdig für die Berge“

Lassen Sie uns über Ihre gefallene Tochter sprechen... Wie sah die Kindheit von Şehîd Rojda aus?

Ich kann nicht über ihre Kindheit sprechen. Sie ging mit Würde. Wir waren ihr nicht würdig. Sie war im Land sehr aktiv. Sie sagte immer: „Schau, Mama, wenn die Hevals kommen, bringe ich ihnen Essen.“ Selbst wenn sie hungrig war, dachte sie zuerst an die Freunde. Sie würde versuchen, ihnen einen Teller mit Essen zu bringen. Ich sagte: „Dieser Teller reicht nicht für dich, warum gibst du ihn weg?“ Sie antwortete: „Nein, ich habe keinen Hunger.“ Sie liebte ihre Freunde so sehr!

Als sie hierherkam, war sie sehr traurig. Sie wurde immer trauriger und war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Manchmal sagte ich mir, dass es nach zwei Jahren besser würde. Aber sie sagte immer: „Ich kann hier nicht atmen.“ Sie ging hier ein Jahr lang zur Schule. Sie verließ nie das Haus. Sie ging zur Schule und kam zurück, aber ging nicht aus dem Haus. Sie konnte schon Deutsch. Sie hörte ständig kurdische Musik auf einem Kassettenrekorder. Das hat sie eine Zeitlang gemacht. Dann kam sie auf die Idee, ins Land zurückzukehren. Sie sagte immer: „Ich werde nicht hierbleiben. Ich bleibe nicht hier, auch wenn ihr mich tötet.“

Eines Tages, nach dem Frühstück, sagte sie: „Mama, du kannst fernsehen, ich werde das Geschirr abräumen.“ Das hat sie immer gemacht. Sie erledigte alles alleine und organisierte den Haushalt. Unsere Gäste kamen, und sie räumte hinter ihren Kindern auf. Sie war ein so bescheidener, fleißiger Mensch. Sie hat diesen Platz verdient. Ich beglückwünsche sie, dass sie für diese Revolution gefallen ist. Ihr ist kein Unglück widerfahren.

Dann war sie weg... An diesem Morgen sah ich nach und die Teller waren noch da. Eine Freundin war zu uns nach Hause gekommen. Rojda sagte ihr, sie solle die Nacht bei uns verbringen. Am nächsten Morgen stellte ich fest, dass meine Tochter verschwunden war. Wir fragten überall, wo Rojda sei. Ihr Codename war Rûken, ihr Name zu Hause war Rojda. Wir fragten, wohin Rojda gegangen sei. Sie hatte eine Freundin, die sagte: „Jemand hat ein Taxi gerufen und deine Tochter Rojda ist eingestiegen und weggefahren.“ Ich schaute nach und sah, dass ihre andere Freundin auch nicht da war. Ich verstand und sagte mir: „Ok, sie sind weg.“

Egal, was wir sagen, es geht um das Herz. Es war die Zeit, als Rêber Apo nach Italien kam. Rojda war dort in der Bildung. Als sie verschwand, wussten wir nicht, wohin sie gegangen war. Die Polizei fragte uns, was wir wollten. Wir sagten: „Sie ist volljährig, aber wir wissen nicht, wohin sie gegangen ist.“ Sie fragten uns, ob sie sich der PKK angeschlossen habe. „Wir wissen es nicht“, sagten wir. „Wollt ihr eine Anzeige machen?“, fragten sie. Wir lehnten ab. Natürlich hatte ich erfahren, dass sie gegangen war. Es waren über sechs Monate vergangen. Da rief eine Person an: „Sie ist bei der Arbeit krank geworden, wir bringen sie nach Hause.“ Wir sagten, okay, bringt sie nach Hause. Unsere Tochter kam nach Hause, wir gingen mit ihr zum Arzt. Der Arzt sagte, ihre Blutwerte seien schlecht. Sie blieb einen Monat bei uns. Als es ihr besser ging, sagte sie: „Mama, ich werde gehen.“ Ich sagte: „Du warst dort, du hast sie gesehen, sie haben keine Kleidung, sie leben ohne Schuhe auf dem Berg, wo willst du hin? Du kannst das nicht wie sie ertragen.“ Aber sie sagte: „Nein, Mama, ich gehe.“

Als meine Tochter sagte, dass sie gehen würde, kauften ihr Vater und ich Kleidung und eine Telefonkarte für sie. Wir fragten: „Gehst du wirklich?“ Sie sagte: „Ja.“ Wir begleiteten sie zur Bushaltestelle und verabschiedeten uns von ihr. Am Anfang hatten wir Schwierigkeiten, aber jetzt haben wir sie selbst verabschiedet.

Fünf oder sechs Monate, nachdem sie gegangen war, erhielt ich einen Anruf. Ich nahm den Hörer ab und fragte, ob sie es sei. Sie antwortete: „Ja, Mama, ich bin es.“ Dann sagte sie: „Ich habe dich jetzt erreicht. Rede mit deiner Mutter, du hast vielleicht keine Chance mehr, mit ihr zu sprechen, haben die Freundinnen gesagt.“ Ich sagte: „Schau, meine Tochter Rojda. Du bist zu ihnen gegangen und hast dich eingelebt. Wenn du aber verwundet bist, spreng dich in die Luft, aber ergebe dich nicht dem Feind. Wenn du dich dem Feind ergibst und gegen deine Freunde aussagst, dann lastet meine Sünde auf dir.“ Sie stimmte zu, und wir versprachen, aneinander zu denken.

Einmal erhielten wir einen Brief von ihr. Sie schrieb: „Schickt mir eine Kamera.“ Wir schickten ihr eine Kamera und einen Fotoapparat, wir schickten viele Dinge, aber sie kamen nicht an. Sie war in Qendîl. Wir erhielten ein Foto von ihr. Und dann schickte sie einen Brief. Sie schrieb, sie gehe nach Botan und brauche Kleidung. Ich schickte ihr die Kleidung, sie machte ein Foto mit dem Kleid und schickte es mir. Danach habe ich meine Tochter nicht mehr gesehen. Sie rief mich nicht an, und ich rief sie auch nicht an.

Eines Morgens wachte ihr Vater auf und sagte: „Wir werden eine Kondolenzveranstaltung organisieren.“ Ich fragte ihn, warum, was für eine Trauerfeier? Er sagte: „Ich werde eine Beileidsbekundung für meine Tochter organisieren." Als ich ihn fragte, warum, sagte er: „Deine Tochter ist gefallen, und ihr Körper liegt im Moment am Boden.“ Dann sagte er, er habe geträumt, dass sie von einer Kugel getroffen worden sei, sie sei nur gelähmt gewesen. Doktor Mahir sei ihr Arzt gewesen, sagte er. Dieser Arzt sei mit ihr gefallen. Ich glaubte all das nicht und sagte: „Hör mal, Bekannte haben gesagt, dass sie nach Südkurdistan gekommen sei. Sie war in Botan und ist wieder in Südkurdistan.“

Danach gingen wir zum Verein. Dort lief gerade das Gedenken an Heval Zîlan. Ich sagte, schau, wir haben acht Gefallene. Orhan Doğan hatte einen Herzinfarkt. Die Leichen der Gefallenen lagen auf dem Video in den Nachrichten noch am Boden. Es stellte sich heraus, dass es im Fernsehen Untertitel gab, und der Name meiner Tochter auch zu lesen war. Ich selbst bin Analphabetin. Ich sagte, macht den Fernseher laut, es gibt eine Nachrichtensendung. Sie sagten, sie würden das nicht machen. Sie wussten es. Sie hatten die Untertitel gelesen. Dann schalteten sie den Fernseher ein, und in der zweiten Meldung hieß es: „Heval Rûken und sieben Freunde sind in Uludere gefallen.“

„Aus meinen Augen wird keine Träne fließen“

Es waren vielleicht 60 oder 70 Leute anwesend. Ich habe geschrien: „Meine Tochter Rojda, meine Rûken!“ Ich hatte geschworen, keine Träne zu vergießen, wenn sie nicht gegen ihre Freunde aussagt und fällt. Doch das Herz... Was können wir tun? Ich wandte mich erneut an meine Freunde und sagte: „Ich entschuldige mich bei euch. Meine Tochter ist in Würde gefallen, sie hat sich nicht ergeben. Sie hat bis zuletzt Widerstand geleistet. Ich gratuliere der Guerilla, Serok Apo und unserem patriotischen Volk zu ihrem Gefallenentod.“ Dabei stiegen Tränen in meine Augen. Wir standen zusammen auf und gingen zurück nach Hause. Ihr Vater sagte mir, er habe mir nicht direkt sagen können, dass unsere Tochter gefallen war. Dann bereiteten wir die Trauerfeier vor.

Sie sagten: „Hol dir einen türkischen Pass und reise dorthin, um an der Beerdigung deiner Tochter teilzunehmen.“ Ich lehnte ab. Eine ältere Schwester war vor Ort. Die anderen Kinder waren bereits gefahren, als sie davon erfahren hatten. Ich meine nicht nur unsere Familie. Tausende von Menschen marschierten bis nach Hespist hinter ihr her. Ich sagte: „Bin ich ihre einzige Mutter? Alle, die hinter ihr marschierten, sind ihre Mütter. Sie alle sind genauso untröstlich wie ich. Unsere Gefallene ist nicht allein, unsere Kinder sind nicht allein.“

„Der Staat fürchtet sogar die Knochen der Gefallenen“

Seit jenem Tag führe ich ihren Kampf weiter. Ich versprach ihr: „Meine Tochter, schaue nicht zurück. Solange deine Mutter lebt – und ich sage dies stellvertretend für meine Geschwister, Kinder und Verwandte – werden wir deinen Kampf fortsetzen. Wir werden unser Volk nicht verraten, wir werden unsere Gefallenen nicht verraten. Mehr sage ich nicht.“ Seitdem arbeite ich unermüdlich daran, Rojdas Kampf auf jede erdenkliche Weise weiterzuführen. Ich bin Teil von Rojdas Kampf. (Sie zeigt auf das Zeitungsfoto.) Acht Freunde sind gemeinsam gefallen. Seht ihr, einer von ihnen wurde lebend gefangen genommen. Wer hat ihn gefangen genommen und getötet? Wo ist er? Ich werde ihren Kampf weiterverfolgen. Wir möchten wissen, wer ihn getötet hat. Wir werden tun, was immer in unserer Macht steht. Tausende ihrer Brüder und Schwestern führen Rojdas Kampf fort, sie haben ihre Waffen nicht aufgegeben. Warum sagen wir „Şehîd Namirin“? Weil der Platz der Gefallenen immer wieder neu besetzt wird. Die Kurden sind über ganz Europa verteilt. Sie alle haben Kinder. Sie sind alle Teil dieses Kampfes. Wir werden verfolgt, unterdrückt. Unsere Heimat wurde niedergebrannt, unsere Häuser zerstört. Nach sechs Jahren sagte ich den Kindern, sie sollten ein Grab im Dorf vorbereiten, auch wenn nur noch Knochen übrig sind. Sie gingen hin, bauten einen Sarg und brachten ihre Überreste ins Dorf, um sie dort zu begraben. Insgesamt haben wir sechs oder sieben Gefallene. Selbst diese Friedhöfe hat der Staat zerstört. Man erlaubt uns nicht einmal, unsere Toten zu bestatten. Ich frage mich, wie weit kann das Unrecht gehen? Der Staat hat sogar Angst vor den Knochen unserer Gefallenen.

22.500 Unterschriften für die Freiheit Abdullah Öcalans gesammelt

Hier sind einige Fotos. Es gibt ein Foto von Abdullah Öcalan und Fotos von Rojda zu verschiedenen Zeiten. Können Sie uns mehr darüber erzählen?

Als es eine Unterschriftenaktion für Rêber Apo gab, sammelten auch wir Unterschriften. Wir gingen zum Verein und schlugen vor, gemeinsam in einer Straße Unterschriften zu sammeln. Anfangs legten wir die ausgefüllten Listen an einem Ort ab. Als die Freunde dann sahen, wie viele Unterschriften ich gesammelt hatte, sagten sie: „Du machst wirklich viel.“ Sie schlugen vor, meine Unterschriften separat aufzubewahren.

Ich wollte Unterschriften sammeln. Doch wir haben auch hier Feinde. Es gibt viele, die uns auch hier hassen. Ich kochte das Abendessen für meine Kinder und sammelte Unterschriften statt zu schlafen. Es wurde zu einer Art Schule für mich. Ich war auf dem Weg zum Bremer Bahnhof und konnte ein paar deutsche Wörter. Einige Leute nahmen das Blatt, das ich ihnen gab, und zerrissen es. Einige Deutsche machten Siegeszeichen und freuten sich.

Eines Tages sagte ein Freund aus dem Verein zu mir: „Hevala Xeysa, die Polizei hat mich gefragt, warum du nicht beim Unterschriftenstand für Rêber Apo warst.“ Stell dir vor, ein Polizist kommentiert die Unvollständigkeit unserer Solidarität! Der Polizist sagte ihm: „Nur Xeysa ist ernsthaft. Einige Leute beschweren sich über sie. Wir behalten sie im Auge. Wir wissen, dass die Vorwürfe nicht stimmen. Nur sie handelt ernsthaft und sammelt sogar selbst Unterschriften.“ Ich habe die Unterschriften unter großen Schwierigkeiten gesammelt. Innerhalb von eineinhalb Jahren habe ich allein 22.500 Unterschriften gesammelt. Man sagte mir, ich sei die Erste in Europa, die Unterschriften für Rêber Apo gesammelt hat.

Dies ist ein Foto von Şehîd Rojda. Das mittlere Foto ist das letzte Bild von ihr. Dieses Foto zeigt die Freunde, mit denen sie gefallen ist. Und hier ist das Notizbuch, das sie mir vor ihrem Tod schickte. Eine Freundin brachte es mir als Paket. Sie schrieb alles hinein. Sie war etwa neun Jahre lang in der Partei. Und sie ist gefallen.

„Tod dem Verrat – Nieder mit dem Barzani-Clan“

Möchten Sie abschließend noch etwas sagen?

Ich gratuliere in Gedenken an Rûken allen Guerillakämpfern, die heute in den Bergen, in den Gräben, in den Tunneln, in Rojava, in Şengal Widerstand leisten und kämpfen. Tod dem Verrat! Die Familie Barzanî ist verantwortlich dafür, dass täglich junge Menschen fallen. Sie ist eine Marionette der Türkei. Nieder mit der Familie Barzani! Ich spreche von der Familie Barzani, nicht von den Peschmerga oder dem kurdischen Volk in Südkurdistan. Dort gibt es patriotische Menschen. In Şengal wurden unsere Mädchen und Frauen entführt und bis nach Katar verkauft. Man hat die Ehre und Würde der Kurden bis nach Saudi-Arabien verkauft. Das wird uns immer im Halse stecken bleiben, solange wir leben. In Rojava hat sich vieles verbessert. Die Menschen dort haben eine Gelegenheit erkämpft. Wir sollten uns alle damit verbunden fühlen. Wir müssen ihnen mit allen verfügbaren Mitteln helfen. Dort haben wir 35.000 Versehrte. Wir müssen ihnen helfen und uns mit ihnen solidarisieren.

Die Besatzer sollen verschwinden, und eines Tages werden wir in unser Land zurückkehren!