DAV verurteilt Absetzung des Istanbuler Anwaltskammer-Vorstands

Der Deutsche Anwaltverein hat die Absetzung des Vorstandes der Istanbuler Anwaltskammer durch die türkische Justiz scharf kritisiert. Diese Entscheidung sei mit dem Rechts- und Berufsverständnis der deutschen Anwaltschaft nicht vereinbar.

Angriff auf die Unabhängigkeit der Anwaltschaft

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat die Absetzung des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer Istanbul durch die türkische Justiz scharf kritisiert. Die Maßnahme, die am Freitag vollzogen wurde, betrifft auch Kammerpräsident Prof. Dr. Ibrahim Kaboğlu und steht laut offizieller Begründung im Zusammenhang mit dem Vorwurf der „Terrorpropaganda“ sowie der „Verbreitung irreführender Informationen“.

Auslöser des Amtsenthebungsverfahrens war eine Forderung des Kammervorstandes nach einer unabhängigen Untersuchung der Todesfälle der kurdischen Journalist:innen Nazım Daştan und Cihan Bilgin. Sie waren im vergangenen Dezember durch einen türkischen Drohnenangriff in der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien ums Leben gekommen. Zuvor beobachteten sie die Angriffe der türkischen Armee auf die Tişrîn-Talsperre am Euphrat.

Mit Rechts- und Berufsverständnis deutscher Anwaltschaft nicht vereinbar

„Der DAV steht an der Seite der Kolleginnen und Kollegen der Rechtsanwaltskammer Istanbul und verurteilt das inakzeptable Vorgehen der türkischen Justiz“, erklärte DAV-Präsident und Rechtsanwalt Stefan von Raumer. Der DAV unterhält seit Jahren partnerschaftliche Beziehungen zu Anwaltsorganisationen in der Türkei.

Die Amtsenthebung sei Teil einer Serie von Entwicklungen, die Anlass zu großer Sorge gäben, betonte von Raumer weiter: „Diese Entscheidung ist mit dem Rechts- und Berufsverständnis der deutschen Anwaltschaft nicht vereinbar. Eine unabhängige Anwaltschaft ist Gewähr zur Aufrechterhaltung der Demokratie.“ Sie habe nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, sich an öffentlichen Debatten zu beteiligen und für die Einhaltung der Menschenrechte einzutreten, so von Raumer.

Auch Rechtsanwältin Gül Pinar, Mitglied im Strafrechtsausschuss des DAV, äußerte sich deutlich: „Wir verurteilen den Angriff auf die türkische Anwaltschaft und stehen fest an der Seite unserer Kolleginnen und Kollegen. Der Angriff trifft nicht nur sie, sondern auch die gesellschaftliche Gerechtigkeit.“

Internationale Kritik am Vorgehen der türkischen Justiz

Bereits zuvor hatten internationale Juristenverbände und Menschenrechtsorganisationen die Ermittlungen gegen den Vorstand der Istanbuler Kammer als politisch motiviert kritisiert. In einer gemeinsamen Erklärung vom 29. Januar forderten sie die türkischen Behörden auf, die Verfahren einzustellen und die Unabhängigkeit der Anwaltskammern zu achten.

Istanbuler Anwaltskammer geschlossen hinter dem Vorstand

Auf einer außerordentlichen Generalversammlung am 23. Februar hatte die Istanbuler Anwaltskammer ihrem Vorstand ausdrücklich das Vertrauen ausgesprochen. Über 65.000 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sind dort organisiert – sie gilt als eine der größten Kammern weltweit. Auch internationale Vertreterinnen und Vertreter, darunter Mitglieder des DAV, nahmen an der Versammlung teil.

„Schwarzer Tag für die freie Advokatur“

Angesichts der Amtsenthebung hatte Kammerpräsident Prof. Dr. Ibrahim Kaboğlu, der einige Jahre als Abgeordneter der CHP im türkischen Parlament saß, nach der Gerichtsverhandlung von einem „schwarzen Tag für die freie Advokatur“ in der Türkei gesprochen. Die Entwicklungen markieren einen weiteren Tiefpunkt im Verhältnis zwischen türkischer Justiz und unabhängiger Rechtsvertretung – und werfen erneut ein Schlaglicht auf die schwierige Lage von Rechtsstaat und Meinungsfreiheit im Land.

Foto: Presseerklärung des abgesetzten Vorstands der Istanbuler Rechtsanwaltskammer und der Verienigung der Rechtsanwaltskammern der Türkei (TBB) am 21. März 2025 vor dem Justizpalast Çağlayan © TBB