„Dass ich heute meinen Sohn nicht sehen kann, ist Isolation“

Die in Istanbul lebende Mutter des in Straßburg hungerstreikenden KCDK-E-Ko-Vorsitzenden Yüksel Koç, Mihriban Koç, kann ihren Sohn seit 30 Jahren nicht sehen. Sie erklärt: „Wenn die Isolation aufgehoben wird, endet meine 30-jährige Sehnsucht.“

Yüksel Koç, der Ko-Vorsitzende des europaweiten kurdischen Dachverbands KCDK-E, ist einer der 14 Aktivistinnen und Aktivisten, die sich seit 78 Tagen in Straßburg im unbefristeten Hungerstreik für die Aufhebung der Isolation des kurdischen Repräsentanten Öcalan befinden. Auch sein Gesundheitszustand wird von Tag zu Tag kritischer. Seine 88-jährige Mutter hat ihren Sohn seit 30 Jahren nicht mehr sehen können und zieht von Konsulat zu Konsulat, um ein Besuchsvisum zu ihrem Sohn zu erhalten.

 

Mihriban Koçs Sohn lebt seit 30 Jahren im Exil in Deutschland. Das Leben der Mutter ist geprägt von der Verleugnungs-, Vertreibungs- und Vernichtungspolitik des türkischen Staates. Sie musste 1993 mit ihrem Mann ihre Heimatstadt Erdêxan (Ardahan) verlassen und nach Istanbul fliehen. Sie erinnert sich noch lebhaft daran, wie damals ihr Schwiegervater drei Mal festgenommen und gefoltert worden ist.

„Wir leiden seit 50 Jahren unter dieser Unterdrückung“

„Sie haben meinen alten Schwiegervater drei Mal festgenommen und gefoltert. Yüksel war damals noch ein kleines Kind. Wir leiden seit 50 Jahren unter dieser Unterdrückung. Als mein Schwiegervater damals festgenommen und gefoltert wurde, war er 97 Jahre alt. Seitdem hat sich für uns rein gar nichts verändert.

Wir waren eine der großen Familien von Erdêxan. Mein Schwiegervater war kein Anführer eines Stammes oder ein Großgrundbesitzer, aber er war wohlhabend. Wegen der Unterdrückung des Staates hat es uns alle an unterschiedliche Orte verschlagen. Manche sind heute in Europa, manche im Dorf, andere in Istanbul. Mein Ehemann ist in dem Kummer, seinen Sohn nicht mehr sehen zu können, voller Sehnsucht aus dem Leben gegangen“, berichtet Mihriban Koç.

„Während mein Sohn hungert, bekomme ich keinen Bissen herunter“

Während sie auf ihren Sohn zu sprechen kommt, füllen sich ihre Augen mit Tränen. Sie ist in Gedanken immer in Straßburg. Sie sagt, sie bekomme keinen Bissen herunter, während ihr Sohn hungert, und bete jeden Tag dafür, dass die kommenden Generationen nicht das Leid ihrer Kinder und Enkel erfahren müssten.

Da er mittlerweile Schwierigkeiten beim Sprechen hat, konnte Mihriban Koç seit zehn Tagen nicht mehr mit ihrem Sohn telefonieren. „Yüksel hat gesundheitliche Probleme, er ist lungenkrank. Wenn doch alles, was ihm widerfährt, stattdessen mir widerfahren würde“, sagt sie. Sie kritisiert die Ignoranz der Regierungen und Parlamente und forderte die Länder der EU und die Menschrechtsorganisationen auf, endlich etwas zu unternehmen.

„Wenn die Isolation auf Imralı endet, dann gibt es Frieden“

Sie fährt wie folgt fort: „Wenn die Isolation Öcalans aufgehoben wird, dann bedeutet das, dass die Isolation von allen aufgehoben wird. Die gesamte Lage wird sich entspannen und Frieden wird einkehren. Dass ich heute mein Kind nicht sehen kann, ist auch eine Form von Isolation. Wenn jemand gezwungen wird, sein Land zu verlassen und nach Europa zu fliehen, ist das auch Isolation.“

Sie erklärt, sie stehe bis zum Ende hinter ihrem Sohn, und fordert die sofortige Aufhebung der Isolation des kurdischen Repräsentanten Öcalan: „Wenn er seine Anwältinnen und Anwälte sowie seine Familie treffen könnte, dann wäre das ein Schritt zur Aufhebung der Isolation. Wenn die Isolation endet, dann endet auch meine 30-jährige Sehnsucht.“

„Jede Sekunde ist wichtig“

Yüksel Koçs Bruder Vural Koç erklärt, er habe drei Mal beim deutschen Konsulat in Istanbul einen Antrag gestellt, um seinen Bruder besuchen zu dürfen. Aber der Antrag sei jedes Mal abgelehnt worden. Er erklärt, dass die Isolation nicht nur die Kurd*innen, sondern alle 81 Millionen in der Türkei lebenden Menschen betreffe. Als Familie stünden sie hinter Yüksel Koç und betrachteten die Forderung nach Aufhebung der Isolation als legitim, gerechtfertigt und menschlich. Er betont, alle müssten die Forderung unterstützen, bevor es zu spät ist.