Christen und Eziden entsetzt über IS-Unterkünfte in Ninive

Der Irak lässt in Ninive (Ninawa) Aufnahmestellen für irakische IS-Gefangene errichten, die aktuell im Camp Hol in Nordostsyrien untergebracht sind. Christen und Eziden sind entsetzt darüber und fordern solidarischen Beistand von der Weltöffentlichkeit.

Noch im März will der Irak damit beginnen, schrittweise irakische Staatsangehörige, die derzeit im Hol-Camp in Nordostsyrien untergebracht sind, ins Land zurückzuholen. Für die Unterbringung mehrerer zehntausend Iraker*innen werden Lager im Gouvernement Ninive (Ninawa) gebaut.

Die Rückholaktion wirft allerdings Fragen auf – und sorgt für Entsetzen. Denn bei einer Vielzahl der in Camp Hol südlich von Hesekê internierten Personen handelt es sich um Dschihadisten der Terrororganisation „Islamischer Staat” (IS) sowie ihre Angehörigen, die nach der Einnahme der letzten IS-Bastion in Ostsyrien im März letzten Jahres von den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) aufgegriffen wurden. Zwar stellt die Aufnahme der mehr als 31.000 Irakerinnen und Iraker durch die Regierung ihres Heimatlandes eine große Entlastung für die nordostsyrische Autonomieverwaltung dar, die aktuell etwa 67.000 Personen aus 50 verschiedenen Ländern im Hol-Camp beherbergt und aufgrund der unzureichenden Unterstützung durch internationale Hilfsorganisationen mit der Versorgung des Lagers praktisch auf sich allein gestellt ist. Doch die Unterbringung tausender IS-Dschihadisten in Zumar bei Tel Afar (auch Tal Afar) unweit der Ninive-Ebene, und nur eine Autostunde von Şengal, dem Hauptsiedlungsgebiet der Ezid*innen im Nordirak/Südkurdistan entfernt, versetzt die Menschen in der Region in Angst.

Karte der Ninive-Ebene in der Provinz Ninawa. Bild: Chaldean/CC BY-SA 3.0

Darauf machen auch der europaweite Dachverband der Suryoye (European Syriac Union - ESU) und der Exilrat Şengal (Meclise Şengale ya Dervayi welat – MŞD) aufmerksam. In einer Mitte der Woche von den ESU-Vorsitzenden Hülya Gabriel und Tony Vergili und dem MŞD-Vorsitzenden Fikret Igrek veröffentlichten gemeinsamen Stellungnahme zu den Plänen der irakischen Regierung, IS-Mitglieder in Ninive anzusiedeln, heißt es: „Diese Entwicklung ist für die im Irak verbliebenen Chaldäer, Aramäer und Assyrer sowie für die Eziden äußerst besorgniserregend und beunruhigend. Die irakische Regierung und ihre Behörden sind verfassungsmäßig verpflichtet, die lokale Bevölkerung und ihr Wohlergehen zu schützen.“

Weiter teilen die beiden Minderheitenorganisationen mit: „Şengal und die Ninive-Ebene sind authentische Regionen des Irak, in denen die ezidische Bevölkerung und Angehörige der Suryoye, die einen großen Beitrag zum sozialen, kulturellen und politischen Leben des Irak geleistet haben, zu Hause sind. Während die Ninive-Ebene mit ihren christlichen Kirchen, Klöstern und Denkmälern ein einzigartiger Ort der levantischen Kultur ist, ist die Şengal-Region, die das Lalisch-Tal und die Heiligtümer der Eziden beherbergt, von zentraler Bedeutung für ihre Angehörigen. Seit Tausenden von Jahren gelten beide Orte diesen alten Gemeinschaften als heilig.

Vom IS zerstörte Al-Tahira-Kirche in Baghdeda, der größten christlich besiedelten Stadt in der Ninive-Ebene. Foto: Jako Klamer/Aid to the Church in Need

 

Als der IS im Jahr 2014 die Ninive-Ebene und Şengal überrannte, wurden Hunderttausende Menschen aus diesen Orten vertrieben. Tausende wurden Opfer von Massakern, Frauen und Kinder wurden verschleppt, historische Denkmäler, Klöster und Gebetshäuser geschändet und zerstört. In dieser von Konflikten und Spannungen geladenen Atmosphäre haben die Vereinten Nationen, die USA und das Europäische Parlament den Völkermord an den ethnischen und religiösen Minderheiten im Irak als solchen anerkannt. Auch wenn die Anerkennung des Genozids eine wichtige Maßnahme darstellt, so benötigen die noch immer belagerten Gemeinschaften Solidarität, Unterstützung und Garantien für ihr Überleben und ihre Existenz.

Inmitten von anhaltenden politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Schwierigkeiten und Umwälzungen im Irak stellt der laufende Plan, in Ninive Auffanglager für die in Syrien inhaftierten irakischen IS-Gefangenen zu errichten, eine große Herausforderung und Gefahr für die ezidische und christliche Bevölkerung dar. Die Verfolgung durch die IS-Terrormiliz hat 2014 ein Ausmaß erreicht, das die Existenz unserer Volksgruppen in Frage stellte. Vor diesem Hintergrund müssen Bauvorhaben für die Unterbringung von IS-Gefangenen nahe Şengal oder der Ninive-Ebene aus Respekt vor der lokalen Bevölkerung und der langfristigen Erhaltung des sozialen und kulturellen Gefüges rückgängig gemacht werden.

Eine Ezidin sucht am 3. Februar 2015 in Sinunê/Şengal in einem Massengrab mit den sterblichen Überresten von 25 IS-Opfern nach Hinweisen, die sie zu vermissten Verwandten führen könnten. Foto: Safin Hamed

 

Als Komponenten des Iraks haben die Chaldäer, Assyrer, Aramäer und Eziden ihre Forderungen sowohl national als auch international auf verschiedenen Plattformen wiederholt zur Sprache gebracht. Ob bei international ausgerichteten Konferenzen oder persönlichen Gesprächen mit Regierungsvertretern haben sie stets die Notwendigkeit autonomer Regionen hervorgehoben, um ihre Gemeinschaften zu schützen und ihre Zukunft und damit ihre Existenz abzusichern.

In diesem Sinne rufen wir als ESU und Exilrat von Şengal die irakische Regierung und die Behörden in Ninive auf, den Willen der angestammten Bevölkerung nach Frieden im Irak zu respektieren und vom Bau von Unterkünften für IS-Angehörige in der Ninive-Ebene und der Şengal-Region abzusehen. Gleichzeitig erwarten wir von der internationalen Gemeinschaft, humanitären Einrichtungen und Menschenrechtsorganisationen Engagement für unser Anliegen und solidarischen Beistand in diesen gefährlichen Zeiten.“