KCK: 3. August als Tag gegen Feminizid anerkennen

Der Genozid des IS am ezidischen Volk in Şengal hat sich systematisch gegen Frauen gerichtet und stellt somit in seiner Form zugleich auch einen Feminizid dar. Der KCK-Exekutivrat fordert daher, den 3. August als Tag gegen Feminizid anzuerkennen.

Heute jährt sich der genozidale Angriff des sogenannten „Islamischen Staates” (IS) gegen die Ezidinnen und Eziden in Şengal zum fünften Mal. Die am 3. August 2014 im Hauptsiedlungsgebiet der Ezid*innen begonnenen Angriffe und Massaker führten damals nicht nur zu einer humanitären Katastrophe, sondern hatten zum Ziel, die ezidische Religionsgemeinschaft auszulöschen. Als Mittel dazu richtete sich der Angriff systematisch gegen Frauen. Daher stellt dieser Genozid in seiner Form zugleich auch einen Feminizid dar.

Anlässlich des fünften Jahrestages des Völkermords an den Ezid*innen hat der Exekutivrat der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) eine Erklärung veröffentlicht. Darin fordert die KCK von den Vereinten Nationen, der Europäischen Union sowie allen internationalen Institutionen, die Verbrechen an den Ezid*innen als Genozid anzuerkennen und den 3. August als Tag gegen Feminizid zu begehen. Die Frauen der Welt werden dazu aufgerufen, als Zeichen der Solidarität schwarze Schleifen an diesem Tag zu tragen.  

Die Erklärung des KCK-Exekutivrates beginnt mit einer Trauerbekundung: „Seit die IS-Schergen den 74. Ferman an unserer ezidischen Bevölkerung verübten, sind fünf Jahre vergangen. Wir erinnern uns mit Respekt an die Menschen, die bei diesem genozidalen Angriff ihr Leben verloren und Leid erfahren mussten. Als KCK versprechen wir, dass ihre Träume und Sehnsüchte in einem freien und autonomen Êzîdxan Leben finden werden.“ Schätzungen nach fielen etwa 10.000 Menschen dem ezidischen Genozid zum Opfer. Über 7.000 Frauen und Kinder wurden entführt, mehr als 400.000 Menschen aus ihrer Heimat vertrieben und weitere Tausende werden bis heute vermisst. Die KCK erklärt, dass der IS mit den Angriffen in Şengal das Ziel verfolgte, sämtliche Ezidinnen und Eziden auszulöschen: „Doch zwölf Guerillakämpfer der PKK verhinderten, dass dies dem IS vollständig gelang“, heißt es weiter.

Vorabkommando auf Forderung Öcalans

Als der IS damals in Şengal einrückte, zogen sich die rund 12.000 in der Region stationierten Peschmerga der südkurdischen Regierungspartei PDK ohne Vorwarnung zurück und überließen die dort lebenden Ezid*innen schutzlos dem IS. Für die ezidische Gemeinschaft begann die systematische Massakrierung, Vergewaltigung, Folterung, Vertreibung, Versklavung von Mädchen und Frauen sowie Zwangsrekrutierung von Jungen als Kindersoldaten. Wer fliehen konnte, zog sich in das Gebirge zurück. Dort schützten zunächst weniger als ein Dutzend Guerillakämpfer der HPG den Eingang zum Gebirge und verhinderten das Eindringen der Dschihadisten.

Die PKK hatte bereits am 28. Juni 2014 nach einem Aufruf des kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan ein zwölfköpfiges Vorabkommando zur Verteidigung von Şengal entsandt. Zwanzig Tage vor dem Massaker nahmen die Peschmerga drei Mitglieder der Gruppe und einen ezidischen Unterstützer fest. Die übrigen Guerillakämpfer zogen auf den Şengal-Berg und begannen mit der Organisierungsarbeit der Jugend. Als am 3. August der IS-Angriff begann, verteidigte eine neunköpfige Guerillagruppe die auf den Şengal-Berg geflohene Bevölkerung.

Die Guerillakämpfer hielten die westlich von Şengal verlaufende Straße von Sinûnê nach Dugirê und ließen keine Eroberung des Bergs durch den IS zu. Die ezidischen Jugendlichen zogen Kraft aus dem Guerillawiderstand und schlossen sich der Verteidigung des Berges an. Nachdem die neunköpfige Guerillagruppe ohne Essen und Trinken mehrere Tage gegen die Angriffe des IS Widerstand geleistet hatte, kamen am 6. August zwei Bataillone der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ aus Rojava den HPG zu Hilfe. Anschließend richteten die YPG/YPJ und die HPG einen Sicherheitskorridor ein, um die zu Hunderttausenden auf den Şengal-Berg geflohenen Ezid*innen nach Rojava zu evakuieren. Über diesen Korridor konnten mit der Zeit mehr als 200.000 Ezid*innen nach Rojava gelangen. So konnte ein noch größeres Massaker verhindert werden. Die YPG/YPJ und HPG kämpften aufopferungsvoll und immer wieder auch unter Verlusten, um diesen „humanitären Korridor“ aufrechtzuerhalten. 100 Kämpfer*innen fielen beim Schutz der Evakuierung der Bevölkerung. Insgesamt wurden beim Şengal-Massaker fast 300 Kämpfer*innen von YPG/YPJ und HPG durch den IS getötet. Die KCK betont: „Die Guerilla zeigte eine der größten Heldentaten in der Geschichte der Menschheit und rettete nicht nur die militärischen und politischen Kräfte in der Region, sondern die gesamte Menschheit vor der Schande eines Völkermords.“

Eziden autonomen Status verleihen

Der 74. Ferman habe offen vor Augen geführt, dass ein autonomer Status für die Ezidinnen und Eziden unabdingbar sei, damit die Angehörigen dieser Religionsgemeinschaft in Şengal und allen weiteren Orten, in denen sie leben, auf der Basis eines freien und selbstbestimmten Lebens ihre Existenz verteidigen können, so die KCK. „Die Verantwortung für diese Autonomie obliegt dem Irak, den UN und allen internationalen Mächten. Die Ezid*innen sind ein Erbe an alle politischen Akteure, Völker und Menschenrechtsorganisationen. Es gilt, diesem Erbe Freiheit und Selbstbestimmung zu verleihen, um es zu schützen. Dass den Ezid*innen bislang kein autonomer Status zugesprochen wurde, ist als eine Schande für die Menschheit zu werten. Die irakische Regierung sollte keine Zeit mehr verlieren, den autonomen Status von Êzîdxan verfassungsrechtlich zu garantieren. In diesem Sinne müssen auch die kurdischen Parteien PDK, YNK, Goran, Yekgirtû, PYD und andere Organisationen ihren Pflichten gegenüber den Ezid*innen nachkommen.“   

Seit dem letzten Völkermord an den Ezid*innen bestehe die Gewissheit, dass aus der Intoleranz gegenüber anderen Glaubensrichtungen und ethnischen Identitäten im Mittleren Osten Genozide resultieren. Vor diesem Hintergrund sei das Verständnis einer ‚demokratischen Nation‘, die auf Pluralismus, der Freiheit und der Gleichberechtigung gesellschaftlicher Gruppen, die ein Leben in gegenseitiger Solidarität führen, basiert, die Lösung der Probleme der gesamten Region. Ein autonomes Êzîdxan würde sowohl für den Irak als auch den restlichen Mittleren Osten ein vorbildliches Modell einer demokratischen Nation darstellen, so der Exekutivrat.

3. August - Internationaler Tag gegen Feminizid

In diesem Zusammenhang schlägt die KCK vor, den 3. August als internationalen Tag gegen Feminizid anzuerkennen und fordert die Ahndung der Verbrechen an ezidischen Frauen. „Der patriarchalische Geist muss dort in der Geschichte begraben werden, wo er entstanden ist. Die Völker des Mittleren Ostens sollten einen frauenemanzipatorischen Ansatz gegen die dunkle Mentalität des IS verfolgen und die Region wieder in einen Ort verwandeln, in dem der freiheitliche Geist von Frauen das Feld beherrscht.  

Rêber Apo (Abdullah Öcalan) kämpft seit Jahrzehnten um ein freies und demokratisches Leben für die ezidische Bevölkerung. Sowohl vor dem Genozid vor fünf Jahren als auch bei den Anschlägen im Jahr 2007 bat er um den Schutz der Ezidinnen und Eziden. Somit steht nicht nur unsere Befreiungsbewegung, sondern die gesamte Menschheit tief in seiner Schuld. Hätte Rêber Apo nicht an uns appelliert, die Ezid*innen zu beschützen, wäre die vollständige Auslöschung dieser Religionsgemeinschaft womöglich nicht verhindert worden. Diese Tatsache möchten wir allen Menschen in Erinnerung rufen. Das Verständnis der demokratischen Nation ist für uns alle der Weg zu Frieden, Demokratie und Freiheit.

In diesem Sinne wiederholen wir unseren Eid, unseren Kampf für ein freies Kurdistan und einen demokratischen Mittleren Osten für alle Menschen und insbesondere für die Frauen, denen beim 74. Ferman großes Leid angetan wurde, mit Entschlossenheit fortzusetzen.“