Chemnitz: Wir werden heute lauter sein denn je!

Ein Jahr nach der Besetzung eines CDU-Büros in Chemnitz aus Protest gegen die türkische Invasion in Rojava erklären die Aktivistinnen und Aktivisten, dass Solidarität heute mehr denn je gefragt ist.

Während der türkischen Invasion in Nordsyrien im Oktober vergangenen Jahres fanden weltweit wütende und vielfältige Proteste statt. Tausende Menschen zeigten sich solidarisch mit der Revolution von Rojava und prangerten das völkerrechtswidrige Vorgehen des türkischen Staates an. Vor genau einem Jahr, am 25. Oktober 2019, besetzten 13 Internationalist*innen das CDU-Wahlkreisbüro in Chemnitz, um gegen die bundesdeutsche Unterstützung der Türkei zu protestieren. Nun laufen Ermittlungen gegen alle Beteiligten und die ersten Strafbefehle ergeben Repressionskosten im fünfstelligen Bereich.

Die Betroffenen erklären dazu: „Als in Efrîn Bomben fielen, hat die internationale Gemeinschaft geschwiegen. Als die türkische Armee mit Dschihadisten verschiedenster islamistischer Organisationen wie al-Nusra und dem IS 2019 in Rojava einfiel, bombardierte, exekutierte, Chemiewaffen einsetzte, vertrieb, plünderte und vergewaltigte, schwiegen die Herrschenden abermals. Hunderttausende Internationalist*innen tragen seitdem ihren Protest, ihre Wut und ihre Solidarität mit den Menschen in Rojava und einer einzigartigen Revolution auf die Straße.

Um gegen die kriegerische Zusammenarbeit der Bundesregierung mit der Türkei zu protestieren, besetzten am 25. Oktober 13 Internationalist*innen erfolgreich das CDU-Wahlkreisbüro am Markt in Chemnitz. Im Verlauf eines simulierten Interviews mit der Kreisvorsitzenden gelangten die Aktivist*innen in das Parteibüro. Drei der Besetzer*innen ketteten sich mit Eisenschlössern irre-versibel an eine Absturzsicherung am Fenster. Aus den Fenstern im zweiten Stock wurde während der ganzen Besetzung mit Passant*innen und der unterstützenden Kundgebung vor dem Haus der CDU-Geschäftsstelle kommuniziert. Während den Verhandlungen mit der Polizei und der anschließenden Räumung verhielten sich alle Besetzer*innen entschlossen und gewaltfrei. Trotz aller Angebote, Einschüchterungsversuche, Provokationen und Beleidigungen von Einsatzleitung und Beamt*innen ließen sich die Internationalist*innen gewaltvoll räumen. Die Polizei wendete bei der Räumung permanent Schmerzgriffe und rohe Gewalt an. Nach fast vier Stunden war das CDU-Büro vollständig geräumt. Allen Besetzer*innen wurde nach der Räumung ein Platzverweis erteilt, eine Internationalistin wurde aus inszenierten Gründen für mehrere Stunden in der Hauptwache gefangen gehalten.“

Im Nachgang der Aktion wurden alle 13 Besetzer*innen wegen Hausfriedensbruch, Nötigung, und Vermummungsverbot bei Versammlungen angezeigt. Eine weitere Person, welche auf der Kundgebung ein Interview gegeben hat, wurde wegen Mittäterschaft angeklagt. Mehrere Betroffene haben nun zusätzlich zu Zahlungsaufforderungen, welche den Polizeieinsatz refinanzieren sollen, Strafbefehle erhalten. Dagegen wollen sie juristisch vorgehen. Die Strafbefehle betragen pro Person zwischen 1200 und 2700 Euro. Somit befinden sich die Kosten bereits im fünfstelligen Bereich.

Für die Betroffenen ist im Mai eine Spendenkampagne gestartet worden. Angesichts der hohen Kosten rufen die Aktivistinnen und Aktivisten erneut zur Solidarität auf. Gleichzeitig weisen sie auf die aktuelle Situation hin und erklären, dass es an der Zeit für globalen Widerstand ist:

Wir werden heute lauter sein denn je!

Gerade jetzt ist es umso wichtiger, den Kampf der Befreiungsbewegung Kurdistans zu unterstützen und darauf aufmerksam zu machen! Während des Ausbruches der Corona-Pandemie begannen sich auf der ganzen Welt - in den USA, Chile, Belarus, Polen, Slowenien oder Frankreich - Menschen gegen staatliche Herrschaft, Patriarchat, Unterdrückung und Rassismus zu wehren. Diese Menschen kämpfen für ein besseres Leben für uns alle, die Gleichberechtigung der Frau, einen bewussten Umgang mit der Umwelt und ein selbstverwaltetes Leben! Rojava versucht alles zu vereinen, was diese Kämpfe fordern, und zeigt, das ein anderes Leben möglich ist. […]

Es zeichnet sich ab, dass die nächste Eskalation kurz bevor steht. Im Angesicht der Corona-Pandemie und dem globalen Angriff auf die Gesellschaften, im Angesicht der wachsenden Aggression des türkischen Faschismus in Kurdistan und in der gesamten mittelöstlichen Region heißt es, im Sinne einer internationalen antifaschistischen, antiimperialistischen und antikapitalistischen Front gemeinsam Hand in Hand den Widerstand zu organisieren und sich auf den nächsten Angriff auf Rojava vorzubereiten. Der türkische Faschismus wird weder in Libyen, noch im Mittelmeer gestoppt werden, sondern in Rojava, in den Bergen Kurdistans, und mit dem Aufstand in den Metropolen wird er sein Ende finden. Wir sehen uns als Teil der internationalen revolutionären Linken in der Verantwortung, die basisdemokratische, ökologische Frauenrevolution in Rojava zu verteidigen. Nichts wird uns davon abbringen, Seite an Seite mit den Freund*innen in Rojava für die Revolution in Westkurdistan und gegen den Faschismus zu kämpfen.

Bei all diesen Grausamkeiten dürfen wir nicht vergessen, dass Deutschland einer der wichtigsten Partner der Türkei ist und diesen Krieg unterstützt. Unter dem Deckmantel der EU werden mit deutschen Waffen, Geldern und logistischer Unterstützung immer wieder völkerrechtswidrige Angriffe von der Türkei durchgeführt. In den ersten vier Monaten von 2020 hat der Export von Kriegswaffen im Vergleich zu diesem Zeitraum im Jahr 2019 um 40 Prozent zugenommen. Die Empfängerländer sind mittlerweile Verschlusssache. 2019 war die Türkei das Land, welches die meisten Kriegs- und Rüstungsexporte aus der BRD empfangen hat. Dieser Umstand dürfte sich in Anbetracht der neoosmanischen Kriegsbestrebungen der türkischen Republik nicht geändert haben.

Dies bedeutet für uns als Linke in der BRD, dass wir den Ernst der Lage und unsere Position in diesem Krieg erkennen und handeln müssen. Nun ist die Zeit des globalen Widerstandes! Gegen Faschismus, Rassismus und Imperialismus. Die deutsche Gesellschaft muss sich ihrer privilegierten Stellung innerhalb der EU und ihrer Bedeutung als Partner der Türkei bewusst werden. Wir als Linke Bewegung müssen zeigen, was der Kampf hier in Deutschland bewirken kann und den Widerstand organisieren.