Bundesweites Gedenken an die Toten von Hanau - UPDATE

Bundesweit haben Gedenkveranstaltungen für die Toten von Hanau stattgefunden. Tausende Menschen klagten den Normalzustand von institutionellem Rassismus an.

Am 19. Februar 2020 wurden Ferhat Unvar, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Gökhan Gültekin und Hamza Kurtović von einem Rechtsterroristen ermordet. Bundesweit ist heute an sie erinnert worden.

Hamburg

 

In Hamburg fanden zum Gedenken an die Morde von Hanau zahlreiche parallele Kundgebungen mit tausenden von Menschen statt. Insbesondere auf St. Pauli, im Arrivati Park, auf der Feldstraße, am Millerntorplatz und im Karoviertel kamen zahllose Menschen zusammen. Aber auch auf der Veddel, in Willhelmsburg und anderen Orten wurde der Toten des rassistischen Anschlags gedacht. Im Karoviertel wurden Straßen symbolisch nach den Ermordeten benannt.

An der Feldstraße wurde ein Beitrag von Angehörigen und Überlebenden der Morde von Hanau verlesen. Hier waren viele Mitglieder der kurdischen Community zusammengekommen.

Die Initiative 19. Februar klagt an, dass nur sie selbst und Journalist*innen ermittelt hätten, die Behörden fast nichts zur Aufklärung ungelöster Fragen beigetragen hätten. Die Politik rede viel über eine Zäsur, diese sei aber keineswegs erreicht, sondern müsse von unten erkämpft werden. Serpil Temiz Unvar, die Mutter von Ferhat Unvar, stellte in einer Audiobotschaft die Bildungsinitiative, die den Namen ihres Sohnes trägt, vor. Zahlreiche Schilder mit den Gesichtern und Namen der neun Toten wurden hochgehalten, immer wieder wurden ihre Namen gerufen.

Der Song des Rappers Aksu: „Sag mir, wo wart ihr, als sie kamen, sie von uns nahmen“ sprach die Menschen auf der Kundgebung auf emotionaler Ebene an.

Zusammenhalt von Angehörigen-Initiativen

Naomi Henkel-Gümbel, Überlebende des antisemitischen Anschlages von Halle, sagte auf der Kundgebung in Hamburg, die jüdische Kultur hätte ohne das Gedenken an die Ermordeten nicht überlebt. Sie erklärte sich solidarisch mit den Angehörigen der Toten von Hanau, ebenso wie die jüdische Künstlerin Talya Feldman.

Candan Yilmaz-Özer, die Witwe eines Opfers des rassistischen Anschlages in der Kölner Keupstraße, Attila Özer, berichtete über die täglichen rassistischen Morddrohungen, die sie bis heute erleben muss. Hinsichtlich der Kollaboration der Justiz mit den Mördern des NSU rief sie die Kundgebungsteilnehmer*innen auf: „Erzieht eure Kinder so, dass sie zum Beispiel Richterinnen und Richter werden, die keine Akten für 100 Jahre wegsperren.“

Auch Angehörige der Opfer des rassistischen Anschlages von Mölln, Faruk und Ibrahim Arslan, Canan, die Nichte von Semra Ertan, Gulistan Avci, die Ehefrau von Ramazan Avci, der 1985 in Hamburg von rechtsextremen Skinheads ermordet worden war, und Osman Taşköprü als Bruder von Süleyman Taşköprü, der in Hamburg vom NSU ermordet wurde, sprachen ihre Solidarität und Verbundenheit mit den Angehörigen und Freund*innen der Opfer von Hanau aus.

Ibrahim Arslan erklärte, die Zeit, in der die Angehörigen zu Statisten der Gedenkkultur des Staates und der weißdeutschen Dominanzkultur gemacht worden wären, sei vorbei. Sie definieren selbst, wie sie gedenken wollen. Die Überlebenden und Angehörigen von Hanau haben deutlich gemacht, dass sie sich nicht zu Statisten machen lassen. Sie zeigen mit ihrer politischen Initiative auf, dass sie sich nicht mit leeren Versprechungen abspeisen lassen. Sie haben selbst Orte und Initiativen geschaffen, die eine Anklage an die Mehrheitsgesellschaft sind, das Märchen von den durchgeknallten Einzeltätern nicht länger weiterzuspinnen, wenn die Faschisten längst im Parlament und in allen staatlichen Institutionen festsitzen.

Das Gedenken an Hanau in Hamburg war kämpferisch und die Teilnahme einer großen Menge von Menschen, zeigt, dass die Angehörigen und Freund*innen es trotz der weltweiten Lähmung durch die Corona-Pandemie geschafft haben, aufzuzeigen: Hanau ist überall und überall stehen Menschen dagegen auf.

Bielefeld

 

In Bielefeld hat eine Kundgebung im Gedenken an die Opfer des rechtsterroristischen Anschlags in Hanau stattgefunden. Die Kundgebung begann um 17 Uhr am Kesselbrink. Die Vorbereitungen der Kundgebung fanden im großen Rahmen statt: Zahlreiche linke Gruppierungen in Bielefeld mobilisierten dafür und riefen gemeinsam zur Teilnahme auf.

Die Kundgebung begann mit der offiziellen Begrüßung aller Teilnehmenden. Daraufhin folgten Redebeiträge von „Rise up for justice“, Bir-Kar, Bündnis gegen Rechts und Antinationale Linke. Nach einer Schweigeminute gab es weitere Redebeiträge von Café Exil, TCŞ/TEKO-JIN, Jüdische Hochschulgruppe und Revolutionäre Jugend.

In ihren Redebeiträgen verwiesen die Organisationen auf die staatliche Förderung rassistischer Gewalt, die Mitschuld von staatlichen Behörden und politischen Parteien an dem rechtsterroristischen Anschlag in Hanau, „Alltagsrassismus“ in Deutschland, Rassismus als Fluchtursache, die Kriminalisierung von linkem Aktivismus, die freie Organisierung von Rechten und die Historik von rechtem Terror in Deutschland. Sie appellierten für organisierten Widerstand. Mit dem Abspielen von Tonaufnahmen von Angehörigen der Opfer des Attentates wurde den Familien aus Hanau ermöglicht, ihre Emotionen, Gedanken und Forderungen in die breite Gesellschaft zu tragen.

Bis zu 500 Menschen nahmen an der Kundgebung teil, die um 19 Uhr endete. Nach Beendigung riefen die Moderator*innen zur aktiven Organisierung auf und verwiesen auf einen antifaschistischen Stadtrundgang durch Bielefeld. Bis zu diesem Sonntag können an folgenden Orten der Stadt Textbeiträge und Ausstellungen über das Attentat von Hanau angeschaut werden: Eulenspiegel Buchladen, IBZ, Kulturhaus, Kurdistan-Zentrum, Mädchentreff, Mondo, Potemkin, Rachid‘s Kitchen, Welthaus.

Celle

In Celle wurde anlässlich des Jahrestages des rassistischen Anschlages in Hanau ein Gedenkort eingerichtet. So wurden die Bilder von Ferhat Unvar, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz und Gökhan Gültekin an einem Baum im Triftpark aufgehängt und Kerzen und Blumen aufgestellt. Ein großes Transparent weist alle Vorbeigehenden auf das Gedenken hin. Im Laufe des Tages kamen weitere Kerzen hinzu und viele Menschen hielten auf ihrem Weg kurz an.

Die Initiator*innen wollen, dass die Opfer von Rassismus nicht vergessen werden, sie betonen die Wichtigkeit des Erinnerns: „Der Anschlag und auch der Täter von Hanau waren kein Einzelfall. Immer wieder werden Menschen aus rassistischen Gründen ermordet – ein gesellschaftlicher Zusammenhang wird dabei verleugnet. Rassismus in Behörden und Medien führt zu einer Umwelt, die rassistische Gewalttaten legitimiert oder zumindest fördert.

Offensichtlicher Bezug zu Verschwörungstheorien und rassistischer Ideologie bleibt immer wieder folgenlos oder wird verharmlost. Wir wollen, dass auch in Celle das Problem des Rassismus stärker angegangen wird. Dabei erwarten wir nicht viel von der Regierung, sondern müssen selbst Teil der Veränderung sein. Denn im kapitalistischen Patriarchat ist Rassismus ein Grundbaustein, der dabei hilft, dass die Gesellschaft gespalten wird. Das wollen wir gemeinsam überwinden und stellen uns deswegen klar und entschlossen gegen Rassismus und jede Form der Diskriminierung. Und der erste Schritt ist dabei, gemeinsam zu erinnern und die Ermordeten nicht zu vergessen.“

Ergänzend wurde auch auf das frauenfeindliche Weltbild des Täters von Hanau aufmerksam gemacht: „Bevor der Täter sich selbst erschoss, ermordete er auch seine pflegebedürftige Mutter - das war ein Femizid. Bei vielen der rassistischen Anschläge ist Frauenfeindlichkeit Teil der mörderischen Ideologie.“

Der Ort im Triftpark wurde bewusst ausgewählt, weil in direkter Nähe auch am 7. April 2020 der 15-jährige Arkan Hussein Khalaf ermordet wurde. Zudem ist neben dem Gedenkort das Denkmal für die Ermordeten des Celler Massakers vom 8. April 1945. Bei diesem wurden über 170 KZ-Häftlinge, die nach einer Zugbombardierung entfliehen konnten, von SS und Teilen der Celler Bevölkerung ermordet.

Mit dem Gedenken wird auch direkt auf die Initiative „19. Februar Hanau“ Bezug genommen, die Recherchen zum Hintergrund des Anschlags angestellt hat und die Schuld des Staates mit anklagt. Der Gedenkort wird noch das Wochenende über im Triftpark in Celle vorhanden sein.

Berlin

 

In Berlin fanden Gedenkveranstaltungen auf dem Leopoldplatz, Rathausplatz und Oranienplatz statt, an denen sich auch der Rat freier Menschen aus Kurdistan, der Frauenrat DEST-DAN, die kurdischen Jugendbewegungen TCŞ und TEKO-JIN, Young Struggle, YXK, Migrantifa und zahlreiche antifaschistische Gruppen beteiligten.

Duisburg

 

In Marxloh fand eine Demonstration am August-Bebel-Platz statt, anschließend eine Kundgebung in Hamborn-Altmark.