Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) nimmt als Partei der dänischen und friesischen Minderheit zum ersten Mal seit sechs Jahrzehnten wieder an einer Bundestagswahl teil. Ein Vorteil für den SSW ist, dass Parteien nationaler Minderheiten nach dem Bundeswahlgesetz von der Fünf-Prozent-Hürde befreit sind. Das in Berlin ansässige Zentrum Civaka Azad e.V. hat den SSW-Landesgeschäftsführer Martin Lorenzen zu politischen Themen befragt, die für Kurdinnen und Kurden als Wahlprüfstein am 26. September zählen.
Seit Jahren fordert die kurdische Community die Anerkennung der Kurdinnen und Kurden als eigenständige Migrantengruppe in Deutschland. Wie stehen Sie zu dieser Forderung?
Wir unterstützen diese Forderung. Kurdinnen und Kurden sind Minderheitenangehörige und sollten auch als solche anerkannt werden. Fälschlicherweise werden Kurdinnen und Kurden in Statistiken den Staaten zugeordnet, aus denen sie einst geflohen oder ausgewandert sind.
Die Anerkennung der kurdischen Migrantinnen und Migranten als eigenständige Migrantengruppe und auch die Gleichstellung mit den anderen Migrantengruppen, was auch die Möglichkeit zur Bewahrung und Förderung der eigenen kulturellen Identität mit sich bringt, halten wir daher für mehr als angebracht.
Kurdische Organisationen fordern die Aufhebung des seit 1993 erlassenen Betätigungsverbots der PKK in Deutschland und deren Streichung von der EU-Terrorliste. Das Verbot und die Listung als Terrororganisation verhindern den dringend notwendigen politischen Dialog, um eine friedliche Lösung der kurdischen Frage im Mittleren Osten zu finden. Sieht Ihre Partei die Zeit für eine Neubewertung des PKK-Verbots für gekommen?
Ja, wir setzen uns aktiv für eine Neubewertung des PKK-Verbots ein. Das Betätigungsverbot der PKK war 1993 eine Reaktion auf gewaltsame Aktionen gegen türkische Einrichtungen in Deutschland. Seitdem hat sich die PKK aber personell und was ihre politischen Ziele angeht aus unserer Sicht verändert. Für uns ist die PKK heute keine Terrororganisation mehr.
Der SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag hat daher im Februar 2020 einen Antrag eingereicht, und den Landtag dazu aufgefordert, sich solidarisch mit kurdischen Minderheiten zu zeigen und das PKK-Verbot aufzuheben.
Uns ging es dabei auch darum, über die Doppelmoral zu reden, mit der in Deutschland über die PKK gesprochen wird und welche Folgen das für hier lebende Kurdinnen und Kurden hat. Die kurdischen Peschmerga, die neben der PKK gegen den IS kämpften, wurden mit deutscher Unterstützung ausgebildet und bewaffnet. Sie haben ganze Landstriche befreit und ihr Leben für die Freiheit anderer aufs Spiel gesetzt. Hier in Deutschland würden viele dieser Kämpferinnen und Kämpfer allerdings strafrechtlich verfolgt werden. So kann es nicht weitergehen.
Unser Antrag wurde leider, nachdem uns keine Anhörung zugestanden wurde, von allen anderen Fraktionen abgelehnt.
Abdullah Öcalan befindet sich seit über 20 Jahren unter unmenschlichen Isolationshaftbedingungen auf der Gefängnisinsel Imrali. Trotz dieser Bedingungen hat Herr Öcalan sich stets dafür eingesetzt, die Lösung der kurdischen Frage und die Demokratisierung der Türkei voranzubringen. Wie bewerten Sie die friedenspolitische Rolle von Öcalan und die anhaltende Isolation auf Imrali? Was gedenkt Ihre Partei, für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage und die Demokratie in der Türkei zu leisten?
Wir lehnen Isolationshaft generell ab. Abdullah Öcalan nutzte das erste Gespräch, das ihm nach acht Jahren zugestanden wurde, mit seinen Anwälten dazu, durch sie zu Versöhnung und demokratischen Verhandlungen aufzurufen. Öcalan, HDP und PKK müssen Gesprächspartner bei Friedensverhandlungen sein.
Eine friedliche Lösung der kurdischen Frage und die Demokratie in der Türkei müssen ein Schwerpunkt der Außenpolitik Deutschlands werden und die Verbesserung der Menschenrechtslage in der Türkei eine ständige außenpolitische Bemühung Deutschlands ausmachen.
Mit der Demokratischen Föderation Nordostsyrien (Rojava) entwickelt sich derzeit im kriegserschütterten Syrien ein demokratischer und friedlicher Schutzraum für Millionen von Menschen. Die Verteidigungskräfte der Demokratischen Föderation Nordostsyrien waren und sind der Garant für den erfolgreichen Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) und ein wichtiger Bündnispartner für die Internationale Allianz gegen den IS. Wird sich Ihre Partei dafür einsetzen, damit die Demokratische Föderation Nordostsyrien international anerkannt und unterstützt wird?
Ja. Rojava gilt vielen geradezu als Insel der Hoffnung. Als Autonome Region hat Rojava sich als Zufluchtsort für Armenier:innen, Assyrer:innen, Araber:innen und Kurd:innen bewiesen. Jedes Gremium berücksichtigt die Interessen der verschiedenen Minderheiten und ist damit auf dem besten Weg zu einem nachhaltig friedlichen Zusammenleben.
Die Zukunft Rojavas scheint jedoch ungewiss und ist immer auch von den Handlungen der USA, Russlands, der Türkei und der EU direkt betroffen. Die Eingliederung Rojavas in die Syrische Arabische Republik unter Wahrung gewisser Autonomierechte scheint uns die beste Lösung für alle zu sein.
Die Demokratische Partei der Völker (HDP) ist mit einem Verbotsverfahren konfrontiert und tausende ihrer Mitglieder sowie gewählten Bürgermeister:innen und Abgeordnete sind inhaftiert. Wie lassen sich demokratische Kräfte wie die HDP in der Türkei, durch die deutsche Außenpolitik stärken?
Nachdem die HDP über Jahre hinweg stigmatisiert wurde, sind ihre Politiker:innen Repressalien, Inhaftierung, Bedrohungen und Anschlägen ausgesetzt. Die Regierung und die türkische Staatsanwaltschaft handeln maximal eskalativ.
Für die deutsche Außenpolitik muss dies bedeuten, diese Geschehnisse bei Treffen mit türkischen Politiker:innen konsequent anzusprechen. Es muss immer wieder darauf hingewiesen werden, dass Meinungsfreiheit und freie Wahl zu den Kernelementen demokratischer Prinzipien gehört. Mit diesen Einschränkungen wurde der Demokratisierungsprozess der Türkei gestoppt.
Bei jedweder Art der Zusammenarbeit oder Förderung muss die Einhaltung der Menschenrechte eingefordert werden. Gerade auch als EU-Beitrittskandidat muss sich der türkische Staat an die Grundlagen der Demokratie halten.
Werden Sie sich dafür einsetzen, dass deutsche Rüstungsexporte an kriegführende, menschenrechts- und völkerrechtsverletzende Staaten wie die Türkei umgehend gestoppt werden?
Ja, das müssen wir. Deutsche Rüstungsexporte haben mit Waffenlieferungen an die Türkei zur Verschärfung des bewaffneten Konflikts beigetragen. So darf es nicht weitergehen! Waffenexporte an einen türkischen Staat, der seine Waffen gegen seine eigene Bevölkerung und Minderheiten einsetzt, müssen aufhören.