Niedersachsens Linkspartei stellt am morgigen Samstag in Stade ihre Landesliste zur Bundestagswahl auf. Der Politologe und Verdi-Gewerkschaftssekretär Mizgin Ciftci bewirbt sich um Platz 4 und muss sich gegen zwei Gegenkandidaten durchsetzen. Nihal Bayram von der Tageszeitung Yeni Özgür Politika hat mit ihm gesprochen.
Herr Ciftci, stellen Sie sich uns vor.
Ich bin vor 29 Jahren als ältester Sohn einer kurdischen Arbeiterfamilie in Osterholz-Scharmbeck in der Nähe von Bremen geboren. Meine Eltern sind vor über 30 Jahren vor der türkischen Militärdiktatur geflüchtet. In dieser Zeit war es in der Türkei verboten, kurdisch zu sprechen. Linke und Gewerkschafter wurden verfolgt und in Knästen gefoltert.
Warum wollen Sie in den deutschen Bundestag?
Als Kind kurdischer Flüchtlinge weiß ich, wie Menschen noch lange danach unter den Folgen von Krieg und Verfolgung leiden. Ich bin mit vier Geschwistern in einfachen Verhältnissen aufgewachsen und habe auch in der deutschen Gesellschaft Ausgrenzung erfahren. Der Widerstand des kurdischen Volkes, aber auch andere revolutionäre Bewegungen auf der Welt haben mich schon früh beeindruckt und die Hoffnung auf eine bessere Welt nie aufgeben lassen. Als Internationalist fühle ich mich deswegen heute allen Bewegungen auf der Welt verbunden, die für eine befreite Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung kämpfen.
Wie bewerten Sie die deutsche Politik? Welche Erfolge sehen Sie, wo liegen die Fehler?
Obwohl Deutschland eines der reichsten Länder der Welt ist, wachsen auch hier Millionen Kinder in Armut auf. Beschäftigte arbeiten zu Hungerlöhnen und Familien kämpfen vor allem jetzt, in der Corona-Krise, um ihre Existenz. Das merke ich jeden Tag in meiner Arbeit als Gewerkschafter.
Doch statt in den sozialen Zusammenhalt und den Klimaschutz zu investieren, rüstet die Bundesregierung weiter auf und schützt die Profite der großen Konzerne. Statt sich mit den demokratischen Kräften in der Türkei zu solidarisieren, hofieren Merkel und Maas einen Erdogan, der die Türkei immer mehr zu einer „Ein-Mann-Diktatur“ verwandelt. Statt Menschen vor dem Ertrinken zu retten, verbarrikadiert sich die Europäische Union vor den Folgen ihrer eigenen Politik. Dass Millionen Menschen heute auf der Flucht sind, ist auch die Folge eines ungerechten Welthandels und europäischer Rüstungsexporte.
Was wollen Sie verändern, wenn Sie gewählt werden?
Wir brauchen dringend einen Politikwechsel: hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit, für Frieden und Abrüstung, gegen Rassismus und Faschismus. Für ein Wirtschaftssystem, das sich an den Hoffnungen und Bedürfnissen der Menschen orientiert und das Klima schützt. Für eine Demokratie, die Menschen aktiv beteiligt und nicht nur alle paar Jahre zu Wahlen aufruft. Dazu will ich mit meiner Kandidatur einen Beitrag leisten!