Abdullah Öcalan kann seit drei Jahren nicht das Recht wahrnehmen, sich mit seinem Rechtsbeistand zu treffen. Das teilt die Anwaltskanzlei Asrin mit, die den auf der Gefängnisinsel Imrali inhaftierten PKK-Gründer und kurdischen Vordenker seit seiner Verschleppung in die Türkei im Februar 1999 vertritt. Der Kontakt zu seinen Verteidiger:innen sei „eines der selbstverständlichen Rechte, die ihm das Gesetz und die allgemeinen Rechtsgrundsätze zugestehen“, heißt es in einer Mitteilung der Kanzlei.
„Bereit für eine demokratische Lösung der kurdischen Frage“
Demnach haben nach einem Besuch seines Anwaltsteams auf Imrali am 27. Juli 2011 bis zum 2. Mai 2019 gar keine Kontakte stattgefunden. 2019 wurde das rechtswidrige Kontaktverbot kurzzeitig gelockert, vorangegangen war ein von der inhaftierten HDP-Abgeordneten Leyla Güven initiierter Hungerstreik, dem sich Tausende politische Gefangene anschlossen. Innerhalb von drei Monaten konnten die Anwältinnen und Anwälte fünf Mandantengespräche auf Imrali durchführen, der letzte Besuch fand am 7. August 2019 statt. „In diesen fünf Gesprächen erklärte Öcalan, dass die kurdische Frage ein Demokratieproblem ist und er dazu bereit sei, seinen Teil zu einer demokratischen und friedlichen Lösung der kurdischen Frage beizutragen. Durch seinen Aufruf sorgte er dafür, dass der Hungerstreik, der einen sehr gefährlichen Punkt erreicht hatte, beendet wurde. Er gab Botschaften ab, die die Öffentlichkeit beruhigen sollten“, so die Anwaltskanzlei Asrin.
Auf Imrali ist der politische Willen und nicht das Gesetz entscheidend
Der damalige türkische Justizminister hatte am 16. Mai 2019 öffentlich erklärt, dass es kein rechtliches Problem mit Anwaltsbesuchen im Inselgefängnis Imrali mehr gebe. Seit dem letzten Besuch am 7. August 2019 wurden jedoch alle Besuchsanträge erneut abgelehnt. „In den drei Jahren, die bis heute vergangen sind, hat nicht ein einziges Gespräch mit unseren Mandanten auf Imrali stattgefunden. Auch der damalige Hungerstreik gegen die Isolation und die diesbezügliche Erklärung des Justizministers im Nachhinein zeigen hinreichend, dass auf Imrali der politische Willen und nicht das Gesetz entscheidend ist“, stellt die Anwaltskanzlei Asrin fest und führt weiter aus:
Neue Regelung in der türkischen Rechtsordnung
„Vom 27. Juli 2011 bis zum Putschversuch am 15. Juli 2016 wurden alle Anträge auf wöchentliche Anwaltsbesuche von den Behörden mit der Begründung abgelehnt, das widrige Wetterverhältnisse oder ein Defekt des Schiffes die Überfahrt nicht erlauben. Unmittelbar nach der Ausrufung des Ausnahmezustands nach dem Putschversuch vom 15. Juli erließ der Vollstreckungsrichter von Bursa als eine der ersten Amtshandlungen ein Anwaltsverbot für das Imrali-Gefängnis. Später wurde mit den rechtswidrigen Notstandsdekreten eine Verordnung erlassen, die den Weg für das Verbot von Rechtsanwälten ebnete, und es wurde versucht, der Situation einen ,legalen' Anstrich zu geben. Damit wurde zum ersten Mal in der türkischen Rechtsordnung eine Regelung eingeführt, die das Recht des Einzelnen auf Vertretung durch einen Rechtsbeistand einschränkt - im Fall von Imrali wurde es in der Praxis sogar ganz abgeschafft. Um zu zeigen, wie negativ sich das Isolationssystem in Imrali auf das derzeitige Rechtssystem auswirkt, möchten wir daran erinnern, dass die Verordnung, die darauf abzielt, Anwältinnen und Anwälten zu verbieten, als Verteidiger für ihre Mandanten aufzutreten, nicht aber das Recht auf einen Anwalt für Einzelpersonen, ebenfalls 2004 erlassen wurde und sich wiederum gegen unseren Mandanten Abdullah Öcalan richtete. Unmittelbar nach Inkrafttreten des entsprechenden Artikels wurde 15 Anwälten per Gerichtsbeschluss für ein Jahr untersagt, Öcalan zu verteidigen. Im Rahmen dieser Verordnung wurden viele der Anwälte von Herrn Öcalan weiterhin mit einem Verbot belegt.“
Seit 17 Monaten kein Lebenszeichen aus Imrali
Das nach dem 15. Juli 2016 unter dem Vorwand des Ausnahmezustands verhängte Besuchsverbot wurde dann kontinuierlich um sechs Monate verlängert. Betroffen sind auch Öcalans Mitgefangene Ömer Hayri Konar, Veysi Aktaş und Hamili Yıldırım, die ebenfalls von der Kanzlei Asrin vertreten werden, ihre Verteidiger:innen seit ihrer Verlegung nach Imrali im Jahr 2015 jedoch noch nie gesehen haben. Seit 17 Monaten gibt es überhaupt kein Lebenszeichen mehr von den Imrali-Gefangenen.
Die Anwaltskanzlei Asrin erklärt dazu: „Als Anwältinnen und Anwälte, die in elf Jahren nur fünfmal mit einem ihrer unter strengen Isolationsbedingungen in einem Inselgefängnis festgehaltenen Mandanten zusammentreffen konnten und seit 17 Monaten nichts mehr von ihnen gehört haben, möchten wir die gesamte Öffentlichkeit, insbesondere Anwaltskammern, Rechts- und Menschenrechtsorganisationen, fragen: Ist dies eine Situation, die als normal akzeptiert werden kann? Kann es in einem Land, dessen Verfassung besagt, dass es ein Rechtsstaat ist, ein Gefängnis wie Imrali geben, in das kein Zivilist hineingehen darf? Kann ein schwarzes Loch im Rechtssystem wie das Imrali-Isolationssystem als normal akzeptiert werden? Wie lange wird die Gesellschaft in der Türkei zu diesem beispiellosen Unrecht auf Imrali schweigen und wie lange wird sie die Fakten ignorieren? Wir möchten Sie daran erinnern, dass ein Rechtssystem solche ,Ausnahmen' nicht lange dulden kann, denn nach einiger Zeit breiten sich diese ,Ausnahmen' im gesamten System aus und machen es unbrauchbar. Das ist genau das soziale, politische und wirtschaftliche Bild, das wir heute in der Türkei erleben. Damit ein gesellschaftlicher Frieden entstehen kann und wir eine echte institutionalisierte Demokratie und einen Rechtsstaat erreichen, erwarten wir, dass die gesamte öffentliche Meinung diese Realität erkennt und der Ungerechtigkeit und Gesetzlosigkeit die Stirn bietet. Wir rufen alle auf, für die unmenschliche Isolation auf Imrali sensibel zu sein."