In Cewlîg (tr. Bingöl) fand eine Versammlung der Anwaltskammern der Region statt. Unter Teilnahme von Anwaltskammern aus ganz Nordkurdistan wurde eine Erklärung verabschiedet, in der zur Erfüllung der Forderungen der hungerstreikenden Gegangenen aufgerufen wird. Die politischen Gefangenen aus PKK und PAJK befinden sich seit dem 27. November in einem rotierenden Hungerstreik. Bereits mehrere tausend Gefangene haben an dem Widerstand teilgenommen. Die in Fünftagesschichten streikenden Gefangenen fordern die Aufhebung der Isolation Abdullah Öcalans und aller politischen Gefangenen. In der Corona-Pandemie wurden die Haftbedingungen der politischen Gefangenen massiv verschärft. Sie sind insbesondere für vorerkrankte Gefangene akut lebensbedrohlich und haben bereits zu mehreren Todesfällen geführt.
„Legale Forderungen der Gefangenen müssen erfüllt werden“
In ihrer Erklärung gingen die Anwaltskammern unter anderem die Einschränkung der Anwaltskammern durch die Regierung an und erklärten zum Hungerstreik: „Es ist allgemein bekannt, dass Hungerstreiks äußerst schwerwiegende Folgen für die Gesundheit der Gefangenen haben. Um schwerwiegende Konsequenzen zu verhindern, ist es notwendig, die legalen Forderungen der Gefangenen zu erfüllen und die Hungerstreiks zu beenden. Wir möchten auch erklären, dass wir bereit sind, unsere Pflicht und Verantwortung für die Beendigung des Hungerstreiks wie bereits in der Vergangenheit zu übernehmen. Wir möchten an dieser Stelle darauf hinweisen, dass wir die Praxis der Nacktdurchsuchungen von Gefangenen beim Transport von einem Gefängnis in ein anderes als menschenrechtswidrig betrachten. Wir fordern die sofortige Einstellung dieser Praxis, die wir als Folter bzw. Misshandlung einordnen.“
Misshandlungen und Folter bei Razzien
Die Anwaltskammern gingen auch auf Polizeiübergriffe bei Razzien ein: „Bei Hausdurchsuchungen und den Festnahmen in diesem Zusammenhang können wir immer wieder Vorwürfe von Folter- und Misshandlung gegenüber den Verdächtigen und deren Mitbewohner*innen feststellen. Regelmäßig werden bei Razzien die Türen der Wohnungen der Betroffenen eingeschlagen. Wir stellen auch fest, dass Strafanzeigen, die im Zusammenhang mit solchen Vorwürfen erhoben werden, nicht effektiv und schnell untersucht werden. Deshalb fordern wir, dass die Politik der Straflosigkeit in Bezug auf Vorwürfe von Folter und Misshandlung beendet wird und diese Anschuldigungen wirksam untersucht werden.“
Bereits mindestens 67 Femizide im Jahr 2021
In der Erklärung beschäftigten sich die Anwält*innen auch mit der steigenden Zahl von Feminiziden: „In den ersten drei Monaten des Jahres 2021 sind mindestens 67 Frauen an den Folgen männlicher Gewalt gestorben. Die Zahl der gemeldeten Fälle von körperlicher und psychischer Gewalt gegen Frauen ist Dutzende Male höher. Um diese Morde und Gewalttaten an Frauen zu verhindern, fordern wir, dass die Behörden die Bestimmungen des Gesetzes Nr. 6284 und die Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen vor Gewalt, welche die Türkei unterzeichnet hat, vollständig umsetzen und in dieser Hinsicht spezialisierte Einheiten innerhalb der Strafverfolgungs- und Justizbehörden schaffen. Während diese Realität auf der Hand liegt, halten wir es für falsch, Diskussionen um den Austritt aus der Istanbul-Konvention zu führen. Wir fordern den Staat auf, alle seine Institutionen und Einrichtungen einzusetzen, um Gewalt und Morde an Frauen wirklich zu bekämpfen.
Unterzeichnende Anwaltskammern
Das Schreiben wurde von den Anwaltskammern von Semsûr (Adıyaman), Agirî (Ağrı), Êlih (Batman), Cewlîg (Bingöl), Dersim, Amed (Diyarbakır), Colemêrg (Hakkari), Mêrdîn (Mardin), Mûş (Muş), Sêrt (Siirt), Şirnex (Şırnak), Riha (Urfa) und Wan (Van) unterzeichnet.