Die Anwaltskammern aus 15 kurdischen Provinzen in der Türkei haben sich auf einer gemeinsamen Sitzung über die zentralen Themen ihres Berufsstandes verständigt. Die Sitzung fand am Freitag auf Einladung der Anwaltskammer Ağrı (ku. Agirî) statt, heute wurde die Abschlusserklärung veröffentlicht. An der Versammlung nahmen die Anwaltskammern Adıyaman, Ağrı, Batman, Bingöl, Bitlis, Tunceli, Diyarbakır, Hakkari, Kars, Mardin, Muş, Siirt, Urfa, Şırnak und Van (ku. Semsûr, Agirî, Êlih, Cewlîg, Bedlîs, Dersim, Amed, Colemêrg, Qers, Mêrdîn, Mûş, Sêrt, Riha, Şirnex und Wan) teil.
In der Abschlusserklärung wird die kurdische Frage als das wichtigste und schmerzhafteste Problem in der Türkei bezeichnet. Die Anwaltskammern betonen, dass das Problem nicht mit „sicherheitspolitischen" Maßnahmen gelöst werden kann, und drückten sich wie folgt aus: „Die ungelöste kurdische Frage ist eines der wichtigsten Hindernisse für den Demokratisierungsprozess der Türkei. Es wurde schmerzlich erfahren, dass die kurdische Frage nicht durch Gewalt und Sicherheitspolitik gelöst werden kann. In diesem Zusammenhang halten wir es für unerlässlich, einen breiten Konsens unter Einbeziehung aller Teile der Gesellschaft für eine demokratische und friedliche Lösung der Frage auf der Grundlage der gleichen Bürgerrechte zu erreichen.“
Hinsichtlich des drohenden Verbots der Demokratischen Partei der Völker (HDP) fordern die Anwaltskammern, dass das Verfassungsgericht „die Schließungsverfahren gegen politische Parteien, insbesondere die HDP, auf der Grundlage der Vereinigungsfreiheit“ grundsätzlich ablehnen sollte.
In der Erklärung wird auch auf die Verhaftung von Şebnem Korur Fincancı, der Vorsitzenden des Zentralrats der Türkischen Ärztekammer (TTB), wegen ihrer Äußerungen über den Einsatz von Chemiewaffen durch den türkischen Staat gegen die Guerilla eingegangen. Die Anwaltskammern warnen vor der Einführung eines neuen Systems der Treuhänderschaft über Berufsverbände und Organisationen der Zivilgesellschaft durch eine Gesetzesänderung und erklären: „Diese Situation deutet auf ein neues Klima hin, in dem die Vereinigungsfreiheit ernsthaft unter Druck geraten wird. Wir halten diese Situation für inakzeptabel und fordern den Verzicht auf derartige Initiativen."
Die Anwaltskammern verweisen außerdem auf die Politik der Straffreiheit bei Rechtsverletzungen, das Fehlen wirksamer Maßnahmen gegen Femizide, die drohenden schwerwiegenden Eingriffe in die Meinungs- und Pressefreiheit durch das vom Parlament verabschiedete „Zensurgesetz" und die Bedrohung durch die Kombination von physischer Gewalt gegen Anwältinnen und Anwälte mit wirtschaftlicher Gewalt.