Antikurdischer Rassismus: Ein in Deutschland verdrängtes Problem

„Ich kenne keine kurdische Person, die noch keinen antikurdischen Rassismus erlebt hat“, mit diesem Satz bringt Civan Akbulut von der IAKR eine bittere Realität auf den Punkt, die in Deutschland kaum thematisiert wird – obwohl sie täglich stattfindet.

Civan Akbulut von der IAKR

Kurdische Stimmen werden überhört, ihre Symbole kriminalisiert, ihre Anliegen verzerrt oder verschwiegen. Während extrem nationalistische und islamistische Netzwerke in Deutschland weitgehend unbehelligt agieren können, werden kurdische Organisationen pauschal verdächtigt, ihre Kultur marginalisiert, ihre Existenz delegitimiert. Der antikurdische Rassismus hat viele Gesichter – und kaum einen festen Platz in der öffentlichen Debatte.

Im folgenden Interview gibt Civan Akbulut, Mitbegründer der Informationsstelle antikurdischer Rassismus (IAKR), einen tiefen Einblick in das komplexe, oft unsichtbare Netz aus Diskriminierung, politischer Einflussnahme und institutioneller Ignoranz. Er spricht über die strukturelle Ausgrenzung von Kurd:innen, die gefährlichen Auswirkungen der deutsch-türkischen Beziehung und die dringend notwendige Arbeit der IAKR.

Was versteht man unter antikurdischem Rassismus, und wie äußert er sich in Deutschland?

Als Initiative gegen antikurdischen Rassismus (IAKR) haben wir dazu folgenden Definitionsentwurf erarbeitet:

„Antikurdischer Rassismus kennzeichnet sich durch eine systematische Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt gegenüber Personen kurdischer Herkunft. Sie kann sich in vielfältigen Ausprägungen manifestieren, von struktureller Unterdrückung und politischer Marginalisierung bis hin zu sozialer Stigmatisierung und kultureller Negation. Sie fußt auf historisch gewachsenen Vorurteilen sowie politisch und sozial konstruierten Feindbildern, die kurdische Identitäten entwerten und delegitimieren.“

In Deutschland begegnet man antikurdischem Rassismus in unterschiedlichen Kontexten. Kurdische Organisationen sind pauschaler Verdächtigung ausgesetzt, kulturelle Ausdrucksformen wie Symbole oder Veranstaltungen werden teils eingeschränkt oder kriminalisiert, während extrem nationalistische Vereine und Bewegungen, wie u.a. die Graue Wölfe-Bewegung, aber auch islamistische Netzwerke, weitestgehend ungestört agieren können. Auch im Alltag berichten viele Kurd:innen von Benachteiligung in Schule, Beruf und bei Behörden.

Wie unterscheidet sich antikurdischer Rassismus von anderen Formen des Rassismus?

Antikurdischer Rassismus weist natürlich viele Parallelen zu anderen Formen von Rassismus auf. Er äußert sich in Abwertung, Ausgrenzung und strukturellen Benachteiligungen. Im Fokus steht bei antikurdischem Rassismus die Herabsetzung kurdischer Identität, Kultur und Sprache. Ihnen wird ein Kurdischsein „attestiert“, gefolgt von einer Abwertung und Delegitimierung, welche sich aus Vorurteilen über eine vermeintlich homogene Gruppe der Kurd:innen speisen.

In welchen gesellschaftlichen Bereichen begegnen Kurd:innen besonders häufig Diskriminierung?

Nahezu überall. Ich kenne keine kurdische Person, die noch keinen antikurdischen Rassismus erlebt hat.

Welche Rolle spielen Medien bei der Wahrnehmung von Kurd:innen in Deutschland?

Medien spielen eine zentrale Rolle bei der Wahrnehmung von Kurd:innen in Deutschland. Leider werden Kurd:innen in diesen häufig nicht als unterdrückte Minderheit mit berechtigten Anliegen dargestellt, sondern oft als reines Sicherheitsproblem. Hinzu kommt, dass Positionen der türkischen Regierung, die alles andere als neutral sind, dabei oft unkritisch übernommen werden oder, was ich noch schlimmer finde, ohne Kennung paraphrasiert werden. Die türkischen Erzählungen über Kurd:innen dominieren dann die Geschichte.

Wie reagieren deutsche Behörden auf antikurdische Gewalt oder Diskriminierung?

Wie aus einer parlamentarischen Anfrage der Gruppe „Die Linke“ im Bundestag hervorging, werden von den deutschen Behörden Angriffe auf kurdische Vereine, Veranstaltungen, Versammlungsstätten und Kundgebungen allgemein unter „Hasskriminalität“ im Themenfeld „sonstige ethnische Zugehörigkeit“ subsumiert, sodass anschließend keine Differenzierung mehr möglich ist und keine gesonderten Zahlen zu Angriffen auf kurdische Institutionen und Versammlungen festgehalten werden können.

Sie existieren gänzlich nicht für die Behörden, obwohl die Bundesregierung in ihrer Antwort sogar darauf hinweist, dass eine besondere Bedrohung für kurdische Menschen von Anhänger:innen der türkisch-ultranationalistischen Graue Wölfe-Bewegung ausgehe.

Nun geht der antikurdische Rassismus natürlich von mehr als nur einer Tätergruppe aus, und auch wenn dieser in Deutschland nicht von offiziellen Stellen erfasst wird, bleibt er eine Realität. Das muss sich ändern. Diese Untätigkeit könnte teils auf mangelndes Wissen zurückgehen, teils darauf, dass Vorfälle als innermigrantische Konflikte abgetan und nicht ernst genommen werden.

Immer wieder wird berichtet, dass kurdische Symbole kriminalisiert werden – warum ist das so? Inwiefern betrifft die sogenannte „PKK-Kriminalisierung“ auch Kurd:innen, die sich nicht politisch betätigen? Gibt es Beispiele für Fälle, in denen Kurd:innen in Deutschland durch Sicherheitsbehörden ungerecht behandelt wurden?

Eine der zentralen und tiefgreifendsten Ausdrucksformen des antikurdischen Rassismus ist die Darstellung und Kriminalisierung der Kurd:innen als „gewaltaffin“, oft im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Terrorismus. Diese geht neben machtpolitischen Gründen auf die Verschwörungserzählung zurück, in der Kurd:innen im Irak, Iran, Syrien und auch der Türkei eine destabilisierende Rolle angedichtet wird, um entsprechende repressive Maßnahmen zu rechtfertigen.

Diese Praxis findet sich in allen besetzten Teilen Kurdistans wieder, ebenso wie in den kurdischen Gesellschaften außerhalb Kurdistans. Es ist ein äußerst effektives Mittel, politischen Gegner:innen Schaden zuzufügen, indem man diese dämonisiert und als Gefahr für Frieden und Ordnung darstellt. Über diese Art der Politik lässt sich auch Außenpolitik machen, was für die entsprechenden Communities im Land in innenpolitischer Kriminalisierung münden kann. So etwa auch in Deutschland, wo es seit vielen Jahren zu einer entsprechenden Praxis kommt.

Welche Auswirkungen hat die deutsche Türkei-Politik auf Kurd:innen in Deutschland?

Die enge Beziehung der beiden Staaten hat neben der Kriminalisierung auch Auswirkung auf die Auseinandersetzung mit problematischen Akteuren wie etwa der Grauen Wölfe-Bewegung oder Verbänden wie der DITIB. Ein Verbot oder gar eine klare Abgrenzung würde zwangsläufig Spannungen mit der türkischen Regierung hervorrufen. Ein Schritt, der mit Blick auf die enge Partnerschaft der beiden Länder äußerst unwahrscheinlich ist. Themen innenpolitischer Tragweite werden dadurch zu einer außenpolitischen Frage. Leidtragende dieser tragischen Beziehungspolitik sind Minderheiten und Oppositionelle, die unter diesen Strukturen hierzulande leiden.

Inwiefern sind kurdische Geflüchtete von besonderen Herausforderungen betroffen?

Kurdische Geflüchtete stehen in Deutschland definitiv vor besonderen Herausforderungen. Ihre Fluchtgründe werden häufig nicht anerkannt und sie erfahren im Asylverfahren spürbare Benachteiligung. Der notwendige Schutz wird ihnen abgesprochen. Die allermeisten Asylanträge von z.B. Kurd:innen aus der Türkei werden zunächst abgelehnt, zum Teil mit der absurden Begründung, dass ihnen dort keine Gefahr aufgrund ihrer kurdischen Identität drohe.

Eine Begründung, die nichts mit der Realität zu tun hat. Gleichzeitig kam es in deutschen Geflüchtetenunterkünften bereits zu mehreren uns bekannten Übergriffen auf Kurd:innen, etwa durch Islamisten oder durch türkische und arabische Ultranationalisten.

Gibt es Zusammenhänge zwischen antikurdischem Rassismus in Deutschland und den politischen Entwicklungen in der Türkei, Syrien, Iran oder Irak?

Ja, diese Dinge lassen sich nicht trennen. Wenn dort Stimmung gegen Kurd:innen gemacht wird, braucht es nicht lange, bis es auch hier zu Anfeindungen und Übergriffen kommt. Das sind gut aufgebaute Netzwerke, die bis nach Deutschland reichen und hier ihr Unwesen treiben.

Was hat Sie persönlich dazu bewegt, sich mit diesem Thema zu beschäftigen?

Ich mache seit vielen Jahren Aufklärungsarbeit zu den Themen türkischer Ultranationalismus und Islamismus in Deutschland. In dieser thematischen Auseinandersetzung war ich zwangsläufig mit dem Phänomen des antikurdischen Rassismus konfrontiert. Aber natürlich spielt auch mein Kurdischsein eine zentrale Rolle, denn wie ich bereits zuvor gesagt habe, kenne ich keine kurdische Person, die noch keinen antikurdischen Rassismus erlebt hat. So bin ich neben meiner Expertenrolle auch Betroffener.

Die Gründung einer entsprechenden Stelle, die sich schwerpunktmäßig damit auseinandersetzt, erfolgte dann Ende 2023, als wir uns als überschaubares Team zusammengefunden haben und den Entschluss trafen, diesen unsäglichen Missstand nicht weiter unkommentiert zu lassen.

Welche Arbeit leistet die IAKR und wie kann man sie unterstützen?

Auf unserer Internetseite kann man Vorfälle von antikurdischem Rassismus melden. Wir anonymisieren und kontextualisieren diese dann mit Unterstützung von Wissenschaftler:innen. Diese Zahlen samt Einordnung werden wir in Form von Jahresberichten veröffentlichen. Auch weiteres wichtiges Informationsmaterial ist aktuell in Überlegung.

Wir versuchen aber auch, themenbezogene wissenschaftliche Arbeit zu fördern und geben deutschlandweit Vorträge und Workshops zu diesem Thema. Uns kann man aktuell am besten unterstützen, in dem man unseren Social Media Kanälen und dem Newsletter folgt und Betroffene auf unsere Arbeit aufmerksam macht. Über Ehrenamtliche, die uns unter die Arme greifen wollen, freuen wir uns natürlich auch. Dafür kann man uns einfach kontaktieren.

Foto Civan Akbulut © Moritz Mandlburger