„Alevitentum kann nur durch demokratischen Kampf bewahrt werden“

„Die Toten von Sivas rufen dazu auf, gemeinsam mit den Kurden, den Werktätigen, den Frauen und allen demokratischen Kräften für Demokratie zu kämpfen“, erklärt die KCK zum Jahrestag des Massakers an Aleviten in Sivas vor 27 Jahren.

Die Vorsitzenden des Exekutivrats der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) haben eine Erklärung zum Jahrestag des Sivas-Massakers abgeben. Am 2. Juli 1993 wurden in Sivas (kurdisch Sêwas) 33 Teilnehmer*innen eines alevitischen Festivals sowie zwei Mitarbeiter*innen des Madımak-Hotels durch einen Brandanschlag ermordet. Der Anschlag erfolgte aus einem islamistisch motivierten Mob heraus, der sich im Laufe des Tages vor dem Hotel versammelte und anschließend den Brand im Hotel bejubelte. Anfang 2020 ist einer der Hintermänner, der zunächst zum Tode und später zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde, vom türkischen Präsidenten Erdoğan begnadigt worden.

Die KCK erinnert in ihrer Erklärung an die Toten von Sivas und schreibt: „Dieses Massaker hat unter dem Schutz staatlicher Kräfte stattgefunden, deren Denkweise und Politik von der Idee einer einzigen Nation, eines Vaterlandes, einer Fahne, eines Staates und einer Religion geprägt ist. Damit sollte ein Zusammentreffen zwischen den kurdischen und türkischen Demokratiekräften der Aleviten mit dem Befreiungskampf des kurdischen Volkes verhindert werden. Das damalige Staatsverständnis hatte eine ähnliche Mentalität wie in der heutigen Zeit, in der alle, die für Demokratie kämpfen, als Verräter und Verbündete der kurdischen Befreiungsbewegung betrachtet werden. Wer für Demokratie kämpft, kämpft für alle unterdrückten Völker und Gemeinschaften. Aus diesem Grund betrachtet der Staat alle demokratischen Kräfte als Feind und greift sie an. Auch die alevitische Bevölkerung, die mit ihrer Kultur auf der Seite der Unterdrückten und ungerecht Behandelten steht, ist Teil des Demokratiekampfes und wird angegriffen. Damit sollen die Aleviten von einem Schulterschluss mit dem Kampf der demokratischen Kräfte und des kurdischen Volkes abgehalten werden. Für diesen Zweck ist das Massaker von Sivas geplant und ausgeführt worden. Dafür wurden Kräfte benutzt, die den Aleviten, den Kurden und der Demokratie feindlich gesinnt sind. Es waren der tiefe Staat und seine verlängerten Arme, die diese Kräfte provoziert und aufgehetzt haben.

Ein Blick auf die politischen Bedingungen und die staatliche Politik im Jahr 1993 zeigt, dass das Massaker von Sivas einen politischen Zweck verfolgt hat. Die Aleviten sollten eingeschüchtert und von den demokratischen Kräften ferngehalten werden. Sie sollten sich dem schmutzigen Krieg in jener Zeit fügen. Das bedeutet natürlich auch, dass die Aleviten dazu gebracht werden sollten, ihren eigenen Kampf für die Glaubensfreiheit aufzugeben und sich der staatlichen Strategie einer einzigen Religion zu beugen. Denn die Aleviten können nur in einem demokratischen Land ihre Glaubensfreiheit bekommen.

Glaubensfreiheit muss gemeinsam erkämpft werden

Auch die heutige AKP/MHP-Regierung hat eine in jeder Hinsicht monistische Denkweise. Sowohl die alevitische als auch die kurdische, ezidische, assyrische, aramäische, armenische und arabische Identität sollen ausgelöscht werden. Die Aleviten sollen assimiliert und innerhalb der herrschenden Glaubensrichtung und Konfession aufgerieben werden. Von dieser Regierung kann nicht erwartet werden, dass sie die freie Auslebung anderer Identitäten und Glaubensrichtungen zulässt. Zum Jahrestag des Massakers von Sivas kann man sich dem Gedenken der Toten nur verbunden zeigen, wenn man am Demokratiekampf teilnimmt und ein Land erschafft, in dem sowohl Alevitinnen und Aleviten als auch Kurdinnen und Kurden ihre Identität frei ausleben können. Anders kann das Alevitentum nicht bewahrt und Glaubensfreiheit nicht durchgesetzt werden. Ohne ein Bündnis mit den für Demokratie kämpfenden Kräften kann das Alevitentum nicht geschützt und nicht alevitisch gelebt werden. Die Toten von Sivas rufen dazu auf, gemeinsam mit den Kurden, den Werktätigen, den Frauen und allen demokratischen Kräften für Demokratie zu kämpfen.“

Zum Schluss der Erklärung heißt es: „Der Vorsitzende einer alevitischen Organisation hat einmal gesagt: Bis die Kurden frei sind, muss man Kurde sein, bis die Eziden frei sind, muss man Ezide sein. – Wenn danach gehandelt und mit allen Unterdrückten gemeinsam gekämpft wird, ist man wirklich Alevite und setzt die Glaubensfreiheit für die Aleviten durch.“

Die Toten von Sivas

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