Aktionswoche für Şengal in Deutschland

Ezidische Organisationen haben in Deutschland eine Aktionswoche für Şengal ausgerufen. Die Selbstbestimmung und Selbstverteidigung in dem ezidischen Siedlungsgebiet in Südkurdistan sind akut gefährdet, es drohen neue Massaker.

Angesicht der bedrohlichen Lage in Şengal hat die Koordination der Êzîdischen Gesellschaft (KCÊ-E) eine Aktionswoche vom 13. bis 19. März in Deutschland ausgerufen. Geplant sind Demonstrationen, Kundgebungen und Versammlungen. Zusammen mit zahlreichen weiteren Organisationen der ezidischen Gemeinschaft ruft die KCÊ-E zur Solidarität mit Êzidxan, dem Land der Ezidinnen und Eziden, auf: „Steht auf und lasst uns gemeinsam NEIN zu Genoziden und Massakern sagen. Es ist Zeit für Zusammenhalt, es ist die Zeit, für Êzîdxan einzustehen, es ist Zeit, auf die Straßen zu gehen.”

Geplante Aktivitäten

13. März 2021: Demonstrationen und Kundgebungen in Bielefeld, Hannover Berlin, Oldenburg, Münster, Wesel, Emmerich, Duisburg, Saarbrücken, Bremen

14. März 2021: Versammlungen in Bielefeld, Wesel, Emmerich, Bremen, Saarbrücken

14. bis 19. März 2021: Kundgebungen in Hannover, Bielefeld, Wesel, Emmerich

19. März 2021: Demonstration in Celle

Hintergrund

Die ezidische Bevölkerung in Şengal wird seit Jahrhunderten verfolgt. Der jüngste Völkermord an den Ezidinnen und Eziden begann im August 2014, als die Terrorgruppe „Islamischer Staat" (IS) in Şengal und umliegende Gebiete eindrang, Tausende Menschen tötete, entführte und versklavte und Hunderttausende vertrieb. Der Völkermord an den Eziden war eines der schändlichsten Verbrechen des IS gegen die Menschlichkeit und wurde als Hauptmotiv für die internationale Militärintervention gegen die Terrorgruppe angeführt, eine Anstrengung, die schließlich zur Niederlage des IS als territoriale Einheit in der Region führte. Doch Jahre später werden immer noch Tausende entführter Ezidinnen und Eziden vermisst und Şengal kämpft mit dem Wiederaufbau.

Şengal-Abkommen: Eziden sollen Selbstverteidigung aufgeben

Der jüngste Völkermord an den Eziden ereignete sich, nachdem die Sicherheitskräfte der irakischen Zentralregierung und der Peschmerga der Demokratischen Partei Kurdistans (PDK) bei der Verteidigung von Şengal versagt hatten und sich entschieden, das Gebiet aufzugeben, als der IS sich näherte. Als Reaktion auf das Massaker, das auf die IS-Invasion folgte, bildeten die Völker von Şengal einschließlich der Eziden eine eigene autonome Verwaltung und Sicherheitskräfte, um sich vor zukünftigen Angriffen zu schützen. Nun fordern die irakische Regierung und die PDK, dass die lokalen Sicherheitskräfte, die Asayîşa Êzîdxanê, Şengal verlassen, obwohl sie zuvor von den irakischen Bundesbehörden anerkannt wurden. Diese Entwicklung folgt auf das „Şengal-Abkommen" vom 9. Oktober 2020, das von der irakischen Regierung und der PDK unter der Koordination von Vertretern der Vereinten Nationen und mit Unterstützung der Türkei und der Vereinigten Staaten geschlossen wurde. Das „Şengal-Abkommen" wurde von der irakischen Regierung und der PDK ohne jegliche Konsultation mit den Eziden unterzeichnet. Seit der Bekanntgabe dieses Abkommens kam es in Şengal zu Protesten der Bevölkerung, die die Bedingungen des Abkommens ablehnten und sich mit den Asayîşa Êzîdxanê solidarisch zeigten.

Strategische Bedeutung und türkischer Expansionismus

Die Instabilität in Syrien und der Aufstieg des IS haben die weltweite Aufmerksamkeit nicht nur auf die Gräueltaten gegen die Eziden gelenkt, sondern auch auf die strategische Lage von Şengal, das westlich der Stadt Mosul und nicht weit von der irakischen Grenze zu Syrien liegt. Der türkische Staat, der offen eine Kampagne des militärischen Expansionismus und der Besatzung im Irak, in Syrien und anderswo verfolgt, sieht Şengal als wesentlich für die Strategie der Ausweitung seiner Besatzungszonen in der Region und der Wiedererlangung der Kontrolle über die Gesamtheit der ehemaligen osmanischen Provinz (vilayet) von Mosul, die viele Provinzen des heutigen Irak umfasste.

Sowohl Bagdad als auch die PDK haben ihr Image auf der Weltbühne aufpoliert, nachdem sie Papst Franziskus zu Gast hatten, und nutzen nun diesen verbesserten globalen Status, um ihre Macht auszubauen. Die jüngsten Entwicklungen in Şengal sind ein wichtiger Bestandteil dieser Kampagne. Der türkische Staat erlitt Anfang des Jahres nach einer viertägigen Militäroffensive gegen die PKK-Guerilla in Gare, Südkurdistan (Nordirak), eine große Niederlage und plant nun, diese Gelegenheit zur Expansion zu nutzen.

Forderungen an Bagdad, PDK und internationale Organisationen

Der Demokratische Autonomierat Şengal (Meclîsa Xweseriya Demokratîk a Şengalê, MXDŞ) hat eine Lösung der Probleme in der Region im Einklang mit dem Willen der Bevölkerung von Şengal gefordert und erklärt: „Wir betonen noch einmal, dass wir keinen Krieg, sondern Frieden wollen." Er hat auch auf die anhaltende Marginalisierung des ezidischen Volkes aufmerksam gemacht.

Der Kurdistan Nationalkongress (KNK) unterstützt die Forderungen und Vorschläge des MXDŞ und schließt sich der Forderung nach einem Frieden in Şengal an. Er fordert die irakische Regierung und die PDK auf, den Willen der Eziden und aller Völker in Şengal zu respektieren und anzuerkennen und sie beim Wiederaufbau ihrer Gesellschaft und der Gewährleistung ihrer eigenen Sicherheit zu unterstützen, anstatt sie zu verfolgen, während sie darum kämpfen, sich von dem jüngsten Völkermord zu erholen.

Die Vereinten Nationen, die Europäische Union, die Vereinigten Staaten und die weltweiten Menschenrechtsorganisationen ruft der KNK auf, sich für den Schutz der Eziden vor zukünftigen Massakern einzusetzen, beim Wiederaufbau von Şengal zu helfen und politische und militärische Schritte in Şengal abzulehnen, die dem Willen der Völker der Region widersprechen.