In Hamburg ist an den Genozid und Femizid an den Ezid:innen in Şengal erinnert worden. Am 3. August 2014 begann mit dem IS-Überfall auf das ezidische Hauptsiedlungsgebiet Şengal der letzte Genozid an den Ezidinnen und Eziden. Etwa 7.000 ezidische Frauen und Mädchen wurden entführt und auf Sklavenmärkten verkauft, misshandelt und vergewaltigt. Verschleppte Jungen wurden zu Selbstmordattentätern ausgebildet. Mindestens 10.000 Menschen wurden Schätzungen nach getötet, über 400.000 aus ihrer Heimat vertrieben. Rund 2.700 bis 2.800 ezidische Frauen, Männer und Kinder werden bis heute vermisst.
Fünf Minuten das Leben für Şengal anhalten
Einem Aufruf des Demokratischen Autonomierats Şengal (MXDŞ), im Gedenken für fünf Minuten das Leben an jedem Ort anzuhalten, sind in Hamburg Mitglieder der ezidischen Community, des Frauenrates Rojbîn, der PYD, des Volksrats Hamburg, der feministischen Organisierung „Gemeinsam Kämpfen“ und der Initiative Demokratischer Konföderalismus (IDK) gefolgt, um die Forderungen nach Selbstbestimmung und Gerechtigkeit für die Ezid:innen zu unterstützen.
Die Gedenkkundgebung begann mit einer kurzen Erklärung des Frauenrates Rojbîn zum Genozid und Femizid an den Ezid:innen in Şengal. Darauf folgte ein fünfminütiges Schweigen und das Abspielen einer Sirene.
Verschiedene Redner:innen, u.a. Mechthild Exo vom Jineolojî Komitee Deutschland, erklärten ihre Solidarität mit dem Kampf der Ezid:innen im Şengal und unterstützten die Forderungen des Dachverbandes des Ezidischen Frauenrates e.V. (SMJÊ).
Yavuz Fersoğlu berichtete von den Eindrücken einer Reise nach Şengal: Sowohl von den großen Verwüstungen und dem Trauma der betroffenen Bevölkerung als auch von den hoffnungsvollen Aufbauarbeiten in der Region, die jedoch durch das Abkommen vom 9. Oktober 2020 zwischen der südkurdischen Regionalregierung und der irakischen Regierung akut bedroht sind.
„Ich war erst zwölf Jahre alt“
Zum Abschluss der Kundgebung sprach spontan die 19-jährige Ezidin Zîlan, Überlebende des Genozids vom 3. August. Damals war sie zwölf Jahre alt. Mit brüchiger Stimme berichtete sie über Kinder, die während der Flucht in die Berge verdurstet sind. Sie erzählte, dass ihr Großvater vor ihren Augen ermordet und ihre Cousine und ihre Tante vom IS verschleppt wurden. „Der türkische Staat lässt uns nie in Ruhe. Stellt euch vor, ihr müsst plötzlich alles zurücklassen. Das ist uns passiert, nur weil wir ezidische Kurden sind. Und wir erleben das noch immer, auch in Efrîn und Kobanê. Ich finde keine Antwort auf die Frage nach dem ‚Warum?‘. Ich war erst zwölf Jahre alt und hatte niemandem etwas getan.“
Weinend berichtete sie, dass sie noch nie öffentlich über die Ereignisse vom 3. August gesprochen habe und mit der Hilfe auch von Traumatherapie das Erlebte zu überwinden versucht. Dabei sei sie schon ein gutes Stück vorangekommen und wünsche sich, eines Tages in ein freies Şengal zurückzukehren.