Seit 153 Tagen findet ein Hungerstreik gegen die Isolation Abdullah Öcalans und die lebensbedrohlichen Haftbedingungen in den türkischen Gefängnissen statt. Die Gefangenen aus der PKK und PAJK lösen sich in Fünftagesschichten ab. Im ANF-Gespräch ordnet der Anwalt Şemdin Şahin vom Anwaltsverein für Freiheit (ÖHD) die Isolation auf Imrali und den Widerstand dagegen ein.
„Das kurdische Volk wird durch die Isolation Öcalans bestraft“
Şahin beschreibt die seit 22 Jahren andauernde, mit unterschiedlicher Intensität praktizierte Isolation Abdullah Öcalans als systematisch und als gravierendstes Beispiel der Isolation in türkischen Gefängnissen. „Abdullah Öcalan ist der Ansprechpartner für eine Lösung der kurdischen Frage”, betont er und erklärt: „Der türkische Staat nimmt ihn ebenfalls als solchen wahr. Dies wurde auch durch die aktive Rolle deutlich, die Öcalan im Friedensprozess spielte. In diesem Kontext betrachtet wird deutlich, dass tatsächlich das kurdische Volk in der Person von Abdullah Öcalan mit der gegen ihn angewandten Isolation bestraft wird. Das ist bezeichnend für die Herangehensweise des Staates an die kurdische Frage. Mit der Isolation von Abdullah Öcalan soll die Diskussion der kurdischen Frage blockiert und die Forderungen der Gesellschaft ins Leere laufen. Der Staat vertieft die Isolation, weil er die kurdische Frage nicht mit demokratischen Mitteln lösen will. Mit anderen Worten, es geht um die Fortsetzung der Isolation und darum, nicht zuzulassen, dass der Staat solche extralegalen Methoden wie Telefonanrufe nutzt, um die Isolation zu rechtfertigen. So sehen wir diesen Punkt. Es gibt keine andere Erklärung für die Verweigerung eines von Rechtswegen anerkannten Anspruchs auf Kommunikation mit dem Rechtsbeistand und Angehörigen.“
„Man muss Abdullah Öcalan genau verstehen“
Şahin weist darauf hin, dass Isolationshaft ein Mittel der Einschüchterung und der Unterwerfung mit dem Ziel des Brechens von Gefangenen sei. Diese Praxis habe keinen Platz in der Gesetzgebung, weil es sich um eine Methode der Folter handele: „Die jüngste Überprüfung des Europäischen Komitees zur Verhinderung von Folter (CPT) im Gefängnis Imrali im Jahr 2019 ergab, dass Abdullah Öcalan absolut isoliert wird und diese Praxis gegen das Folterverbot verstößt. Das CPT bestätigte damit die schon seit Jahren von Juristen vorgebrachten Klagen über die Bedingungen in Imrali. Diese Feststellung des CPT ist natürlich wertvoll, aber es wurde kein Versuch unternommen, die Bedingungen des Inselgefängnisses Imrali zu verbessern.
„Staaten agieren im Eigeninteresse, deswegen werden keine Sanktionen verhängt“
Der Staat hat keinerlei Regulierung vorgenommen und die Isolation immer weiter verschärft. Die Ergebnisse des CPT sind eindeutig. Die Türkei ist verpflichtet, die Bedingungen den internationalen Übereinkommen, denen sie beigetreten ist, entsprechend anzupassen. Aber das tut die Türkei nicht und führt immer neue Gründe dafür an. Natürlich müsste es Sanktionen geben, wenn die Bedingungen nicht im Einklang mit den internationalen Konventionen gebracht werden. Der Grund für das Fehlen von Sanktionen ist, dass die Staaten auf der Grundlage ihrer Eigeninteressen handeln. Ein weiterer Grund, warum die Bedingungen nicht geändert wurden, ist dass es keine Vorschriften für die Umsetzung von EGMR-Beschlüssen gibt und der Europarat keinen entsprechenden Druck ausgeübt hat.“
„Öcalan wird seinen Beitrag in Kurdistan, dem Mittleren Osten und Europa leisten“
Şahin spricht von der politischen und sozialen Bedeutung von Abdullah Öcalan und führt aus: „Es wäre richtig zu sagen, dass Abdullah Öcalan eine Auswirkung nicht nur auf die Türkei, sondern auch auf den Mittleren Osten und Europa hat und haben wird. Angesichts des Beharrens Abdullah Öcalans auf demokratischer Politik besteht kein Zweifel daran, dass er einen großen Beitrag zur Schaffung von Demokratie und Frieden im Mittleren Osten, in Europa und insbesondere in Kurdistan leisten wird.“
„Die Forderungen der Hungerstreikenden müssen erfüllt werden“
In Bezug auf den Hungerstreik erklärt Şahin: „Die Forderungen der Gefangenen im Hungerstreik richten sich gegen die Totalisolation von Abdullah Öcalan. Die politischen Gefangenen befinden sich im Hungerstreik, um die rechtswidrige Isolation zu beenden und die türkische Justiz dazu zu bringen, sich an ihre eigenen Gesetze zu halten.
„Menschen sterben für die Umsetzung geltenden Rechts“
Dafür gibt es weltweit keinen Präzedenzfall. Menschen sterben, um die Umsetzung bestehenden Rechts zu erkämpfen. Die Tatsache, dass Hungerstreiks negative Auswirkungen auf das Leben der Teilnehmenden haben, ist unbestreitbar. Die Forderungen der Gefangenen müssen erfüllt werden, bevor es zu einer so gravierenden Situation wie 2018/2019 kommt. Die Forderungen der politischen Gefangenen sind völlig legal. Die Isolation, die derzeit praktiziert wird, ist eine Form der Willkür.“