ÖHD veröffentlicht Bericht zur Mahnwache der Familie Şenyaşar

Der Verein freiheitlicher Jurist:innen (ÖHD) in Riha hat einen Bericht über die seit 522 Tagen andauernde Mahnwache der Familie Şenyaşar vorgestellt und die Menschenrechtskommission des Parlaments aufgerufen, ihrer Aufgabe nachzukommen.

Emine Şenyaşar und ihr Sohn Ferit Şenyaşar halten seit 522 Tagen vor dem Justizgebäude in Riha (tr. Urfa) eine Mahnwache ab, um Gerechtigkeit für ihre am 14. Juni 2018 in Pîrsus von Bodyguards und Angehörigen des AKP-Abgeordneten Ibrahim Halil Yıldız ermordeten Angehörigen zu fordern. Ein heute vom Verein freiheitlicher Jurist:innen (ÖHD) veröffentlichter Bericht fasst die Repressionen gegen Mutter und Sohn während ihrer Mahnwache zusammen und fordert die zuständigen Stellen auf, endlich aktiv zu werden und die Ereignisse und Hintergründe zu untersuchen. Gleichzeitig ruft die Organisation die Anwaltskammer sowie internationale NGOs dazu auf, die Familie zu unterstützen und ihr rechtlichen Beistand zu leisten.

In dem Bericht werden die schweren Menschenrechtsverletzungen gegen die Familie sichtbar gemacht. Er geht auch auf die Ereignisse am Tattag ein und macht deutlich, dass der Kampf der Familie Şenyaşar nur nötig wurde, weil ihr von Anfang an Gerechtigkeit verwehrt wurde.

Der Bericht über die Repression gegen Emine und Ferit Şenyaşar während ihrer Mahnwache

Aufruf zur Unterstützung und Solidarität

Gegen Emine Şenyaşar, die bei dem Angriff ihren Ehemann und zwei Söhne verlor, wurden insgesamt 14 Verfahren wegen „Verstoß gegen das Versammlungsgesetz“, „Beleidigung“, „Verunglimpfung der staatlichen Institutionen“ und „Behinderung der Pflichtausübung“ eingeleitet. Gegen Ferit Şenyaşar, der bei dem damaligen Angriff selbst schwer verletzt wurde, wurden insgesamt fünf Verfahren wegen der gleichen Vorwürfe eingeleitet. Von den insgesamt 19 Ermittlungsverfahren ist es bisher in vier Fällen zu einer Anklage gekommen, zehn Verfahren wurden jedoch wegen Aussichtslosigkeit eingestellt. Sechsmal sei die Familie grundlos festgenommen worden, außerdem erwähnt der Bericht, dass Emine Şenyaşar als Frau mit sexualisierter Gewalt konfrontiert wurde.

Die Familie wurde gelyncht

Mehmet Ali Aslan, Mitglied im Vorstand des ÖHD, sprach mit der Nachrichtenagentur Mezopotamya über die Situation der Familie Şenyaşar und ihre Forderung nach Gerechtigkeit.

Vor dem Massaker seien die Şenyaşars eine ganz normale Familie in Pîrsus gewesen, so Aslan. Die Angriffe des AKP-Abgeordneten Ibrahim Halil Yıldız und seiner Gefolgschaft haben das Leben der Familie für immer zerstört. Bei dem Überfall auf das Geschäft der Familie habe es keine Toten gegeben, nur Verletzte, die in das staatliche Krankenhaus in Pîrsus gebracht wurden. Dort seien sie von einem Lynchmob ermordet worden, ebenso der Vater Haci Esvet Şenyaşar, der ins Krankenhaus geeilt sei, um nach seinen Söhnen zu sehen.

Aslan zeigt auf, dass die Familie nicht nur physisch ermordet wurde, sondern es im Anschluss an das Massaker von staatlichen Stellen auch eine breit angelegte Rufmordkampagne gegeben habe, in der die Şenyaşars beschuldigt wurden, einer terroristischen Organisation anzugehören. Die Untersuchungen der Ereignisse seien voneinander getrennt worden, obwohl sowohl der Angriff im Geschäft als auch die Ereignisse im Krankenhaus am gleichen Tag stattgefunden hatten. Fadıl Şenyaşar, der bei dem Angriff seinen Vater und zwei seiner Brüder verloren hat und selbst schwer verletzt wurde, ist wegen „vorsätzlichen Mordes“ zu 37 Jahren Haft verurteilt worden.

Wir gehen davon aus, dass es politischen Druck in diesem Prozess gibt

Aufgrund der Repressionen und der ungerechten Urteile begannen Emine und Ferit Şenyaşar am 9. März 2021 eine Mahnwache vor dem Justizgebäude in Riha, die sie seit 522 Tagen ohne Unterbrechung fortsetzt. Die zwei Forderungen, die die Familie bei ihrer Aktion hätten, seien bis heute unerfüllt, erklärte Aslan. Der Prozess erfülle außerdem allgemeine juristische Grundsätze. Bis auf einige wenige alternative Medien bleibt der Prozess und der Kampf der Familie in den Mainstreammedien unerwähnt. Die Familie sei struktureller Gewalt in Form von Rechtlosigkeit ausgesetzt, so Aslan. „Die Ermittlungen sind seit vier Jahren als geheim eingestuft. Wir gehen davon aus, dass es politischen Druck in diesem Prozess gibt. Wir fordern die Menschenrechtskommission des Parlaments auf, eine Delegation zu Gesprächen mit der Familie Şenyaşar zu entsenden.“