Über 1.500 Anwält:innen fordern Kontakt zu Öcalan

Mehr als 1.500 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte aus 35 Ländern haben das türkische Justizministerium aufgefordert, die Isolation von Abdullah Öcalan und seinen Mitgefangenen auf Imrali aufzuheben.

Isolation auf Imrali aufheben

Mehr als 1.500 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte aus 35 Ländern haben das türkische Justizministerium in einem gemeinsamen Brief aufgefordert, juristischen Besuch auf Imrali zuzulassen. Die völlig von ihrer Außenwelt abgeschottete Gefängnisinsel im Marmarameer beherbergt vier Insassen, die bewacht werden von tausenden Polizisten und Soldaten: den PKK-Begründer Abdullah Öcalan, der als wirkmächtigster politischer Gefangener der Gegenwart gilt, sowie Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş. Seit dem Sommer 2019 unterliegen die vier Kurden einem Kontaktverbot zu ihrem Rechtsbeistand und werden in „Incommunicado“-Haft gehalten. „Diese Form der totalen Informations- und Kontaktsperre ist nach internationalem Recht verboten“, betonten der Kölner Verein für Demokratie und Internationales Recht Maf-Dad e.V., die Anwaltskammer Brüssel, European Democratic Lawyers (AED) und die Europäische Vereinigung von Juristinnen & Juristen für Demokratie und Menschenrechte in der Welt, die den Appell an Ankara initiiert haben, am Montag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz im Europäischen Presseclub in Brüssel. Sie forderten die türkische Justiz auf, sich an die eigenen Gesetze und internationale Konventionen zu halten und die Isolation auf Imrali aufzuheben.


Foltersystem auf Imrali

„Wir fordern die umgehende Gewährleistung des grundsätzlichsten Bürgerrechts von Abdullah Öcalan und seinen Mitgefangenen, Kontakt zu ihrer anwaltlichen Vertretung zu haben“, lautete der Tenor auf der Pressekonferenz. Die Redner:innen, unter ihnen die Bochumer Rechtsanwältin Heike Geisweid, AED-Präsidentin Hélène Debaty, Yves Oschinsky von der Anwaltskammer Brüssel und ELDH-Generalsekretär Thomas Schmidt betonten, dass ihre Organisationen in den letzten Jahren bereits mehrfach auf internationaler Ebene aktiv geworden sind, um das auf Imrali praktizierte „Foltersystem“ anzuprangern und den Europarat sowie andere Institutionen aufzufordern, gegen die Rechtslosigkeit auf der Insel vorzugehen. Es wurde daran erinnert, dass das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter (CPT) bereits im Jahr 2019 nach einem Besuch in dem Inselgefängnis festgestellt hat, dass die Incommunicado-Haft im Widerspruch zu internationalen Menschenrechtsstandards steht. Unter anderem verstößt das Verbot von Anwaltsbesuchen gegen die 2015 aktualisierten Standard-Mindestregeln der Vereinten Nationen (UN) für die Behandlung von Gefangenen (Nelson-Mandela-Regeln), aber auch gegen die Empfehlungen des Antifolterkomitees des Europarats (CPT) und gegen das türkische Vollzugsgesetz. Doch entgegen der europäischen Rechtsprechung, mehrmaligen Aufforderungen des UN-Menschenrechtsausschusses und einer Resolution der Parlamentarischen Versammlung des Europarats ist der türkische Staat nicht bereit, die auf Imrali praktizierte Isolation zu beenden.


Europa muss Druck ausüben

„Internationale Rechtsorganisationen sind sich einig, dass die Türkei die Rechte von Gefangenen verletzt“, stellte Thomas Schmidt fest. Die Europäische Union müsse daher Druck auf Ankara ausüben, damit sich die Menschenrechtslage in dem Land ändere und der Zugang von Anwältinnen und Anwältin auf Imrali gewährleistet werden könnte. Heike Geisweid wies darauf hin, dass Staaten verpflichtet sind, dafür zu sorgen, dass Gefangene und Häftlinge ihre Rechte unabhängig von ihrer Identität und der Art ihrer Strafe ausüben können. Nach universellem wie auch nationalem Recht stehe jedem Inhaftierten der Zugang zu einem Rechtsbeistand zu, betonte die Ko-Vorsitzende von Maf-Dad. Es handele sich nicht nur um ein grundlegendes Element des Verteidigungsrechts, sondern ebenfalls um eine der wichtigsten Garantien gegen mögliche Misshandlungen im Rahmen des Strafvollzugs. „Wir sprechen von einer zwingenden rechtstaatlichen Notwendigkeit“, so Geisweid. Ignoriert die Türkei diese Notwendigkeit, verstößt sie gegen die eigenen Gesetze und internationale Übereinkommen, denen sie beigetreten sind. Und dies sei nun mal gängige Praxis, und zwar seit Jahren.

Ankara stellt sich taub

Der Brief, der laut Rechtsanwalt Yves Oschinsky von insgesamt 1.524 seiner Kolleginnen und Kollegen auf allen Kontintenten unterzeichnet wurde, sei schon vor Tagen an das türkische Justizministerium, aber auch Einrichtungen wie das CPT gegangen. Eine Reaktion aus Ankara habe es bislang aber nicht gegeben. Schon frühere Initiativen internationaler Rechtsorganisationen mit dem Ziel, die Imrali-Isolation zu durchbrechen und den Kontakt Öcalans und seiner Mitgefangenen mit der Außenwelt zu ermöglichen, waren bei der türkischen Regierung auf taube Ohren gestoßen.