Verfassungsschutz rückt in den Fokus
Vor dem Oberlandesgericht Hamburg ist am Mittwoch der Prozess gegen den kurdischen Politiker Kenan Ayaz fortgesetzt worden. Die kurze heutige Verhandlung war von dem Verlesen von Stellungnahmen durch den Generalbundesanwalt und von Beschlüssen durch das Gericht geprägt. Wie gehabt, lehnte das Gericht fast alle Anträge der Verteidigung ab. Immerhin musste das Gericht drei Beschlüsse aus der letzten Hauptverhandlung korrigieren, weil es in diesen zu offensichtlich zu erkennen gegeben hatte, dass es sich schon längst ein Urteil über Kenan Ayaz gebildet hat und ihn für schuldig im Sinne der Anklage hält.
Kenan Ayaz mit seinen Verteidiger:innen Antonia von der Behrens und Stephan Kuhn. Ayaz ist im März 2023 aufgrund eines deutschen Auslieferungsersuchens in der Republik Zypern festgenommen worden, wo er seit 2013 als anerkannter politischer Flüchtling lebte. Wegen seiner politischen Aktivitäten war er bereits in der Türkei insgesamt zwölf Jahre im Gefängnis. Seit vergangenem Juni befindet sich Ayaz im Hamburger Untersuchungsgefängnis Holstenglacis, Prozessauftakt war im November. Ihm wird vorgeworfen, von 2018 bis 2020 als mutmaßliches PKK-Mitglied verschiedene Gebiete, unter anderem Hamburg, verantwortlich geleitet und hierbei personelle, finanzielle und organisatorische Angelegenheiten koordiniert zu haben.
Immer mehr in den Fokus des Verfahrens rückt das Verhalten des Verfassungsschutzes, insbesondere das des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Der Verfassungsschutz behauptet, er habe Informationen von drei sogenannten Vertrauenspersonen erhalten, dass Kenan Ayaz für die Region Hamburg verantwortlich gewesen sei. Zu diesem Thema wurde bereits ein Beamter des Verfassungsschutzes als Zeuge gehört, der mit Perücke und Brille getarnt im Gerichtssaal erschienen war und so gut wie keine sinnvollen Antworten auf die Fragen der Verteidigung geben hatte. Dies könnte den Behörden jetzt zum Problem werden. Die Verteidigung hatte nämlich wegen der ausgebliebenen Antworten des Beamten beantragt, die drei besagten V-Personen selbst als Zeugen zu hören.
Dagegen wandte sich der Verfassungsschutz und erklärte, dass eine Befragung dieser V-Personen die Interessen der Bundesrepublik gefährden würde. Dieses Argument überzeugte das Gericht und es ging nicht gegen die Sperrerklärung vor. Selbst eine Videovernehmung mit verfremdeter Stimme stelle die Gefahr einer Enttarnung dar und könne die V-Personen gefährden. Maßgeblich wurde als Argument auf das Verfahren vor dem OLG Stuttgart Bezug genommen, in dem ein lügender Kronzeuge Gewaltmärchen über die PKK erzählt hatte. Mangels konkreter Belege musste dieses Verfahren nun als Beleg für die angebliche Gefährdung der V-Personen im Falle einer Enttarnung dienen.
Die Verteidigung hatte daher am letzten Hauptverhandlungstag beantragt, wenigstens schriftliche Fragen an diese V-Personen stellen zu können. Diesem Antrag der Verteidigung konnte auch der Generalbundesanwalt nichts mehr entgegen setzen. Es war deutlich, dass die Behauptung, schriftliche Fragen könnten die Informanten gefährden, absurd wäre.
Wie das Gericht nun über den Antrag der Verteidigung entscheidet, ist offen. Allerdings setzte das Gericht heute vorsorglich weitere Termine bis August 2024 fest, was dafür sprechen könnte, dass die Frage, welchen Stellenwert die Informationen des Verfassungsschutzes haben und wie diese aufklärt werden können, schwierig ist.
Die Verhandlung wurde gegen Mittag unterbrochen und auf den 19. April vertagt. Den Prozess begleitet hat heute auch der zyprische Journalist Alekos Michaelides Phileleftheros.
Weitere anberaumte Termine sind 19.4., 24.4., 2.5. 31.5. ab 13 Uhr, 6.6., 19.6. bis 13 Uhr, 27.6., 2.7., 9.7., 11.7., 17.7., 22.7. und 19.8. Der Prozess findet im 1. Stock des OLG Hamburg am Sievekingplatz 3 statt, entweder in Saal 237 oder 288. Die Verhandlungen beginnen in der Regel um 9:30 Uhr.
Postadresse und Spendenkonto
Auf der Seite kenanwatch.org werden Informationen in den Sprachen Griechisch, Englisch und Deutsch über den Prozess und die Proteste auf Zypern und in Deutschland angeboten. Kenan Ayaz freut sich über Post. Briefe können auch in anderen Sprachen als Kurdisch oder Türkisch geschrieben werden, da eine Übersetzung gewährleistet ist. Zu beachten ist die Schreibweise des Behördennamens „Ayas“, damit die Briefe auch zugestellt werden.
Kenan Ayas
Untersuchungshaftanstalt Hamburg
Holstenglacis 3
20355 Hamburg
Spendenkonto:
Rote Hilfe e.V. OG Hamburg
Stichwort: Free Kenan
IBAN: DE06200100200084610203