Reşqelas: Jährlich sterben 450 Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung

Aufgrund der Luftverschmutzung in der nordkurdischen Provinz Reşqelas ist die Zahl der Krebsfälle in den vergangenen zehn Jahren um einhundert Prozent gestiegen. Der HDP-Abgeordnete Habib Eksik fordert Sofortmaßnahmen gegen die Luftverschmutzung.

Laut dem World Air Pollution Report für das Jahr 2021, in dem die Luftverschmutzungswerte von 117 Ländern und 6475 Städten weltweit analysiert werden, belegten Nordkurdistan und die Türkei den 46. Platz im Ranking. Die nordkurdische Stadt Reşqelas (tr. Iğdır) gilt als Ort mit der stärksten Luftverschmutzung auf türkischem Staatsgebiet und dem ganzen europäischen Kontinent.

Reşqelas liegt auf auf etwa 800 Metern Höhe und verfügt im Gegensatz zum Kontinentalklima der Umgebung über ein eigenes Mikroklima. Dies hat vor allem mit der Lage in einer Senke und dem Berg Ararat zu tun, an welchem warme Luftströmungen zirkulieren und wieder auf Reşqelas zurückgeworfen werden. Die Umgebung der Stadt ist ausgedörrt. Es gibt keine Pflanzendecke, die Schadstoffe absorbieren könnte. Die Versiegelung von Freiflächen mit Beton verstärkt die menschengemachte Umweltzerstörung. Die Verschmutzung resultiert vor allem aus der Armut der Region. Die Menschen sind gezwungen, minderwertige Braunkohle zum Heizen zu verwenden, viele Haushalte haben keinen Zugang zum Erdgas. Es mangelt an Infrastruktur oder sinnvoll geplanter Stadtentwicklung. Gleichzeitig führen permanenten Bauarbeiten unter dem Zwangsverwalter der Stadt zu einer weiteren Verschlechterung der Lage. Aufgrund dieser vielen Faktoren führt Reşqelas sowohl im Sommer als auch im Winter die Rangliste der Städte mit der größten Luftverschmutzung auf türkischem Staatsgebiet an.

Hundertprozentiger Anstieg der Krebsrate

Habib Eksik, Arzt und Abgeordneter der HDP in der türkischen Nationalversammlung, stammt aus Reşqelas. Seinen Angaben zufolge haben die Krebsfälle in der Region in den vergangenen zehn Jahren um hundert Prozent zugenommen. Er sieht in der Umweltverschmutzung die Ursache für die Erkrankungen und spricht in diesem Zusammenhang von 450 Toten jährlich. Eksik erklärt: „Die Anzahl an Neugeborenen mit Behinderungen nehmen zu, es kommt zu Todesfällen bei Kindern und das Leben von Tieren und anderen Lebewesen ist bedroht. In einem Bericht der Plattform für das Recht auf saubere Luft (THHP) heißt es, dass einer von drei Todesfällen der letzten Jahre in Reşqelas durch die Luftverschmutzung verursacht wurde. Darüber hinaus wird beobachtet, dass in der Provinz und insbesondere in den Gebieten an der Grenze zu Armenien schwere Umweltzerstörungen stattfanden.“

Die Verschmutzung verschlimmert sich rapide“

Eksik klagt, die Regierung lasse die Menschen in der Provinz mit dieser Situation alleine. Er führt weiter aus: „Das Problem der Luftverschmutzung in Reşqelas sollte durch die Entwicklung eines speziellen Lösungsmechanismus behoben werden. Obwohl die Region kontinental liegt, herrscht hier mediterranes Klima vor, und obwohl der Fluss Aras mit seinem Wasser und seiner Luft eine Oase für die Stadt ist, wurde er durch Staudammprojekten ausgetrocknet. Die Staudämme schädigen das Klima und vernichten die Wasserressourcen. Die Tatsache, dass Reşqelas eine so verschmutzte Luft hat, ist in erster Linie ein Problem, für das die Türkei und im weiteren Sinne auch die ganze Welt die Verantwortung tragen. Früher war die Region üppig und fruchtbar. Jetzt dörrt alles aus. Es findet keine Begrünung und Aufforstung statt. Landwirtschaftliche Flächen werden von den Treuhändern usurpiert, die Stadtverwaltung und das Ministerium für Stadtentwicklung geben diese Felder als Bauland frei. So wird alles zubetoniert.“

Hier zu leben, ist lebensgefährlich“

Eksik weist darauf hin, dass trotz ständig neuer Verschlechterung der Messwerte seit Jahren keine Maßnahmen ergriffen wurden: „In Artikel 56 der Verfassung heißt es: ‚Jeder hat das Recht, in einer gesunden und ausgeglichenen Umwelt zu leben. Die Verbesserung und der Schutz der Umwelt, die Vermeidung von Umweltverschmutzung sind Pflichten des Staates und seiner Bürger.‘ Doch statt die verfassungsmäßige Pflicht zu erfüllen, werden die Menschen in Reşqelas von der AKP regelrecht dem Sterben überlassen. Die Menschen in der Provinz mit drei Ländergrenzen kämpfen sowohl mit Armut als auch mit vielen Krankheiten, vor allem Krebs und Atemwegserkrankungen. In fast jeder Familie gibt es jemanden, der entweder krank ist oder an Krebs oder Atemwegserkrankungen gestorben ist. Die Geburt von Säuglingen mit Behinderungen und die Kindersterblichkeit haben zugenommen. Die Luftverschmutzung verursacht viele Krankheiten wie Krebs, Atemwegserkrankungen, Erkrankungen des Kreislaufs, Erkrankungen des endokrinen Systems und innere Erkrankungen. Diese Bedrohung gilt auch für das Leben der Tiere. Es braucht einen spezifischen Lösungsmechanismus für Reşqelas. Es müssen dringend Maßnahmen ergriffen werden, um die Schäden für Umwelt und Menschen zu stoppen.“

Kohle von schlechter Qualität hat negativen Einfluss“

Der Chemiker Yusuf Abay stammt ebenfalls aus Reşqelas. Er sagt, die Luftverschmutzung sei eine Ursache vieler Krankheiten wie COPD (chronisch obstruktive Lungenerkrankung), die in der Region überproportional oft aufträten. Ein Grund für die Luftverschmutzung sei die schlechte Kohle, die verteilt werde. Abay stellt fest, dass die Gesundheitseinrichtungen in der Provinz angesichts der Probleme äußerst unzureichend seien, und erklärt, dass die Menschen aufgrund dieser Unzulänglichkeit in den regionalen Krankenhäusern in Wan oder Erzîrom (tr. Erzurum) behandelt werden müssten. Er erklärt abschließend: „In vielen Häusern in Iğdır leben Menschen mit Sauerstoffgeräten. In vielen Haushalten gibt es Asthma-, COPD- und Bronchitis-Patienten. Die schlechte Kohle und die Versiegelung der Flächen sind Gründe für diese Missstände.“