Antikurdischer Rassismus: Bundesregierung stellt sich blind

Die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Gökay Akbulut zeigt, dass sich die Bundesregierung praktisch nicht mit antikurdischem Rassismus beschäftigt. Dieser scheint auch in den Behörden zu grassieren.

Anfrage von Gökay Akbulut

Die linke Abgeordnete Gökay Akbulut befragte die Bundesregierung nach ihren Kenntnissen über antikurdischen Rassismus. In Deutschland leben zwischen 1,3 und 1,5 Millionen Kurd:innen. Genau ist diese Zahl nicht zu erfassen, da Kurd:innen oft nicht als solche, sondern als Staatsangehörige der Länder, die den jeweiligen Teil Kurdistans besetzt halten, also Syrien, Türkei, Iran und Irak, registriert werden. Insbesondere aufgrund des PKK-Verbots, aber auch durch die Aktivitäten türkischer Agentenorganisationen, faschistischen Gruppen und Verbänden wie DITIB oder Milli Görüs, die an vielen Schulen, unter anderem in Berlin, den Islamkundeunterricht stellen, entsteht eine besondere Qualität des antikurdischen Rassismus in Deutschland.

Akbulut prangert auch eine Ungleichbehandlung von Kurd:innen aus der Türkei im Asylverfahren an. So belegen Statistiken, dass kurdische Asylsuchende aus der Türkei beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wesentlich seltener Schutz gewährt wird als türkischen Antragstellenden. Dabei ist der Verfolgungsdruck für Kurd:innen in der Türkei wesentlich größer als für Türk:innen. Akbulut erklärte dazu: „Das BAMF übernimmt in seinen Entscheidungen teilweise unkritisch die Sichtweise der türkischen Justiz und geht von einem legitimen Strafverfolgungsinteresse aus, obwohl zahlreiche Menschenrechtsorganisationen, der Europarat und selbst das Auswärtige Amt auf den Abbau rechtsstaatlicher Standards in der Türkei hinweisen.“

Keine digitale Erfassung von antikurdischen Angriffe

Nicht nur die kurdische Identität wird von deutschen Behörden unsichtbar gemacht, auch Angriffe auf Kurd:innen werden nicht systematisch digital erfasst. Die Länder melden zwar die Fälle, sie werden aber offensichtlich dann als politische Hasskrimininalität im Unterfeld „sonstige ethnische Zugehörigkeit“ digital erfasst. Offenbar mangelt es eher an politischem Interesse als an Möglichkeiten, den antikurdischen Rassismus erfassbar dazustellen. Akbulut kommentierte: „Ich finde es kurios, dass die Bundesregierung keine Fallzahlen zu Straftaten mit antikurdischem Hintergrund nennen kann, obwohl diese Fälle offenbar erfasst werden. Laut der Antwort der Bundesregierung werden politisch motivierte Straftaten gesondert dokumentiert, die aufgrund von Vorurteilen des Täters bezogen auf die ethnische Zugehörigkeit von Kurden begangen werden. Jedoch soll eine automatisierte Darstellung der Fallzahlen nicht möglich sein. Diese Vorgänge müssen dringend digitalisiert werden, denn wir brauchen belastbare Angaben zur Quantität von antikurdischem Rassismus.“

Türkische Rassisten agieren frei und staatlich unterstützt in Deutschland

Die Bundesregierung benennt die faschistische Ülkücü-Bewegung als einen Akteur des antikurdischen Rassismus. Dennoch sind Vereine der rassistischen rechtsextremen Alperen Ocaklar, einem integralen Bestandteil der Ülkücü-Bewegung, unter anderem in Berlin gemeinnützig und veranstalten beispielsweise in Berlin-Wedding unbehelligt jeden Sommer „Kinderfeste“ unter türkisch-faschistischen Fahnen. Zwischen dem 18. und 20. Mai 2024 steht die nächste dieser faschistischen Rekrutierungsveranstaltungen am Nettelbeckplatz in Wedding an.

Graue Wölfe hetzen in den sozialen Medien

Laut Bundesregierung sind insbesondere auch die sozialen Medien ein wichtiges Spielfeld für antikurdischen Rassismus geworden. Hier heißt es von der Regierung: „Verhöhnung kurdischer Opfer in Nordsyrien fanden sich entsprechend in Sozialen Netzwerken, inklusive Darstellungen von Kriegstoten. Insbesondere für Kinder und Jugendliche birgt diese Kurdenfeindlichkeit v.a. im Kontext mit einem ‒ sich normalisierenden oder legitimierenden ‒ türkischen Ultranationalismus ein hohes Beeinträchtigungs- oder gar Gefährdungspotenzial. Das ist umso mehr der Fall, als er in relativ homogenen, kulturell geschlossenen Social-Media-Blasen stattfindet und von dort ausstrahlt.“

Graue Wölfe müssen verboten werden“

Die Abgeordnete Gökay Akbulut kritisiert die Bundesregierung dafür, dass ein Verbot der Grauen Wölfe immer noch hinausgezögert werde: „Obwohl sich alle Bundestagsfraktionen 2020 für ein Verbot der Vereine von Grauen Wölfen ausgesprochen haben, gibt es in dieser Sache keinen Fortschritt. Trotz antikurdischer Lynchattacken im belgisch-deutschen Grenzgebiet, bei dem mutmaßlich auch Graue Wölfe aus Deutschland beteiligt waren, bleibt die Bundesregierung erstaunlich passiv gegenüber den türkischen Rechtsextremisten. Die Vereine der Grauen Wölfe müssen endlich verboten werden!“

Keine Förderung für Meldestelle

Wie die Bundesregierung mitteilt, gibt es keine Förderung für eine Melde- oder Beratungsstelle für Betroffene von antikurdischem Rassismus. Stattdessen verweist die Bundesregierung von antikurdischem Rassismus Betroffene an Beratungsstellen für Personen von rechtsextremer und rassistischer Gewalt. Dieser Ausschluss ist hochproblematisch, da in den meisten Beratungsstellen eine Sensibilisierung für antikurdischen Rassismus fehlt. Außerdem versuchen sich türkisch-nationalistische Verbände wie Milli Görüs oder DITIB immer wieder unter dem Slogan eines vermeintlichen Antirassismus selbst als antirassistische Initiativen zu gerieren. Auch eine Studie zur Verbreitung von antikurdischem Rassismus plant die Bundesregierung nicht.

Asylstatistik als Beispiel des antikurdischen Rassismus

Antikurdischer Rassismus spiegelt sich auch in den Anerkennungsquoten wieder. So gab es im Jahr 2023 24.131 Entscheidungen zu Asylanträgen aus der Türkei. 19.687 der Entscheidungen betrafen Kurd:innen, 3.907 als türkisch registrierte Menschen. 537 wurden nicht eingeordnet. Von den Verfahren wurden 6.427 aus formalen Gründen erledigt. Das heißt, man kann von 17.704 inhaltlichen Entscheidungen ausgehen, 14.045 bei Kurd:innen und 3.298 bei als Türkisch registrierten Personen. Dabei erhielten 891 der kurdischen Antragssteller:innen und 2.031 der als Türk:innen registrierten Personen einen Schutztitel. Das bedeutet, die bereinigte Schutzquote 2023 bei Kurd:innen aus Nordkurdistan und der Türkei lag 2013 bei 6,3 Prozent, bei als türkisch registrierten Personen bei 64,6 Prozent. Diese Zahlen benötigen keinen Kommentar.