Samstagsmütter: Wo ist Fehmi Tosun?

Fehmi Tosun aus Licê war 35 Jahre alt, als er heute vor 29 Jahren in Istanbul das letzte Mal lebend gesehen wurde. Seine Familie und die Initiative der Samstagsmütter bemühen sich seit Jahrzehnten um Aufklärung seines Schicksals.

Vor 29 Jahren von der Polizei verschleppt

Die Istanbuler Initiative der Samstagsmütter hat die türkische Regierung aufgefordert, das Schicksal von Fehmi Tosun endlich aufzuklären. Der Kurde war 35 Jahre alt, als er am 19. Oktober 1995 das letzte Mal in Istanbul lebend gesehen wurde. Es war die Zeit, als staatliche Todesschwadronen der türkischen Gendarmerie – zuständig für „Nachrichtenbeschaffung und Terrorabwehr”, kurz: JITEM – über Leben und Tod der Kurdinnen und Kurden entschieden und tausende Menschen verschwinden ließen.

„Wir wollen, dass die Verantwortlichen preisgegeben werden und sie ihre Strafe erhalten“, sagte Fehmi Tosuns Tochter Besna Tosun anlässlich der 1021. Mahnwache der Samstagsmütter, die heute stattfand. Sie war zwölf, als ihr Vater vor ihren Augen zusammen mit dessen Freund Hüseyin Aydemir vor ihrem damaligen Haus im Istanbuler Bezirk Avcılar von Polizisten in Zivil in einen Renault gezerrt und entführt wurde. „Denn Hoffnung darauf, dass beide noch leben könnten, haben wir schon lange nicht mehr. ‚Sie werden mich verschwinden lassen‘, rief mein Vater noch, als sie ihn mitnahmen. Leider hatte er recht.“

Fehmi Tosun wusste, dass der Staat hinter ihm her war. Anfang der 1990er Jahre, als der schmutzige Krieg der türkischen Armee gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) auf dem Höhepunkt war, kam der Familienvater aus Licê in der Provinz Amed (tr. Diyarbakır) ins Gefängnis. Die Polizei behauptete, Tosun sei PKK-Milizionär. Er wurde gefoltert und blieb rund drei Jahre in Haft. Nach seiner Freilassung zog Tosun mit seiner Familie nach Istanbul. Doch der Verfolgung durch den Staat konnte er nicht entkommen.

Nach der Mahnwache wurden rote Nelken für Fehmi Tosun und Hüseyin Aydemir auf den abgesperrten Platz des Menschenrechtsdenkmals in der Istanbuler Innenstadt geworfen © MA

Hanım Tosun hatte unmittelbar nach der Verschleppung ihres Ehemannes Anzeige bei der Polizei und den damals noch existierenden Staatssicherheitsgerichten erstattet. Doch die Behörden wiesen sie und den Menschenrechtsverein IHD, der sich dem Fall sofort annahm, ab: die Preisgabe der Identität des Fahrzeughalters verstoße gegen dessen Persönlichkeitsrechte, habe es geheißen. Die Polizei leugnete die Festnahme und Justizbehörden zeigten kein Interesse daran, das Schicksal des Kurden aufzuklären.

Als der innerstaatliche Rechtsweg ausgeschöpft war, zog die Familie bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg, um endlich herauszubekommen, was mit Tosun geschehen ist. In dem dortigen Prozess räumte die türkische Regierung unter dem damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Staatschef Recep Tayyip Erdogăn zwar ein, dass Tosuns Recht auf Leben verletzt worden sei. Doch die Verantwortlichen für seinen Tod wurden nie ermittelt. Die Akte wurde wegen Verjährung geschlossen und alle Einsprüche dagegen wurden zurückgewiesen.

„Seit nunmehr 29 Jahren kämpfen wir nun dafür, dass die Täter von damals bestraft werden. Denn nur durch die Aufarbeitung der Vergangenheit und Bestrafung der Täter wird der Straflosigkeit und dem gesellschaftlichen Trauma, die sich wie ein roter Faden durch die Generationen bis in die Gegenwart ziehen, ein Ende gesetzt“, sagte Besma Tosun. „Diejenigen, die Verbrechen der Vergangenheit verschweigen, ebnen den Weg für neue. Die Leugnung und Straflosigkeit dieser Verbrechen ist der Grund für das Versagen der Demokratie in der Türkei und das Scheitern des Rechtsstaates. Wir werden nicht aufhören, Gerechtigkeit einzufordern“, sagte sie.

Auch Hüseyin Aydemir bleibt verschwunden

Auch Fehmi Tosuns Freund Hüseyin Aydemir, der an jenem Tag vor 29 Jahren zum Frühstück bei der Familie Tosun eingeladen war, bleibt bis heute verschwunden. Auch seine Familie sucht ihn bis heute und fordert Aufklärung über sein Schicksal – doch die türkische Regierung will davon nichts wissen.