Erneut Gewalt und Festnahmen gegen Samstagsmütter

Heute vor genau 28 Jahren sind in Istanbul erstmals Menschen auf die Straße gegangen, um nach dem Verbleib ihrer in Haft verschwundenen Angehörigen zu fragen. Wie bereits in den Wochen zuvor wurde die Mahnwache erneut von der Polizei vereitelt.

Im Schneidersitz niedergelassen demonstrierten die Samstagsmütter am 27. Mai 1995 auf dem Galatasaray-Platz in Istanbul zum ersten Mal. Es waren Angehörige und Anwälte des zu dem Zeitpunkt bereits von der Polizei zu Tode gefolterten Hasan Ocak, die Aufklärung über den Verbleib des Lehrers forderten. Die beim ersten Zusammentreffen eine Handvoll Menschen zählende Gruppe wuchs mit jeder folgenden Woche, inzwischen steht der Name der Samstagsmütter synonym für die am längsten andauernde Aktion zivilen Ungehorsams in der Türkei. Einem Land mit etwa 17.000 Opfern ohne Täter, die der Staat zwischen 1984 und 1999 verschwinden ließ. Viele sind in Untersuchungshaft „verschollen“, andere auf offener Straße ermordet worden.

Heute sollte die 948. Mahnwache der Samstagsmütter stattfinden. Doch trotz eines gegensätzlichen Urteils des türkischen Verfassungsgerichts, wonach die Mahnwache der Initiative „respektiert“ werden müsse, wurde den Samstagsmüttern und ihren Unterstützenden wie bereits in den Wochen zuvor der Zugang zu ihrem angestammten Kundgebungsort vor dem Galatasaray-Gymnasium auf der Einkaufsmeile Istiklal Caddesi durch die Polizei verwehrt. Es ist beinahe wie ein Ritus: Seit Monaten wird der Platz frühmorgendlich von „Anti-Aufruhr-Einheiten“ auf Weisung des vom Hardliner Süleyman Soylu gelenkten Innenministeriums abgesperrt und belagert, die Teilnehmenden eingekesselt, um die Forderung nach Aufklärung des Schicksals von in staatlichem Gewahrsam verschwundenen Menschen und die Bestrafung der Täter zu unterdrücken. Demonstrativ widersetzt sich die Regierung damit dem höchsten Gericht des Landes. Das ist die Realität der Türkei.


Zu dem allwöchentlichen Ritual gehört auch die Festnahme der Beteiligten. Insgesamt achtzehn Menschen nahm die Polizei in Gewahrsam mit der „Begründung“, gegen ein behördliches Versammlungsverbot verstoßen zu haben. Es handelt sich um die Rechtsanwältin und Ko-Vorsitzende des Menschenrechtsvereins IHD, Eren Keskin, die Vorsitzende des Istanbuler IHD-Zweigs Gülseren Yoleri, die Vertreterin der Menschenrechtsstiftung der Türkei (TIHV), Ümit Efe, TIHV-Generalsekretär Coşkun Üsterci, IHD-Vorstandsmitglied Leman Yurtsever sowie die Vermissten-Angehörigen und Aktivist:innen Besna Tosun, Irfan Bilgin, Hüseyin Aygül, Ikbal Eren, Maside Ocak, Hanife Yıldız, Ali Ocak, Mikail Kırbayır, Hasan Karakoç, Hünkar Yurtsever, Cüneyt  Yılmaz, Mehmet Mert Karatağ und Özge Bakır Efe.