Kobanê-Doku „Nû Jîn“: Haftstrafen für Regisseur und Kinodirektor

Terrorpropaganda: Der kurdische Filmemacher Veysi Altay ist in der Türkei wegen einer Dokumentation über den Widerstand in Kobanê zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Auch Dicle Anter als Direktor eines Kinos, in dem der Film lief, wurde verurteilt.

Der kurdische Filmemacher Veysi Altay ist in Êlih (tr. Batman) wegen seiner Dokumentation „Nû Jîn” zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Die Anklage lautete auf „Terrorpropaganda”, als Grundlage wurde das Filmplakat herangezogen. Auch Dicle Anter, der ehemalige Direktor des Yılmaz-Güney-Kinos, in dem der Film lief, wurde verurteilt.

Nû Jîn ist ein Dokumentarfilm, der aus der Perspektive von Frauen den Widerstand in Kobanê gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) im Jahr 2014 behandelt. „Frauen bedeuten Leben. Leben bedeutet Widerstand und Widerstand bedeutet Kobanê“ - das ist der Kerngedanke, mit dem Regisseur Veysi Altay seine Dokumentation beschreibt. Er porträtiert den Alltag dreier kurdischer Kämpferinnen im Angesicht eines IS-Agriffs am 14. September 2014. Die drei schlossen sich den Frauenverteidigungseinheiten YPJ an und kämpften gemeinsam mit den YPG gegen den Vormarsch des IS an.

Die Staatsanwaltschaft Batman allerdings sieht in dem Filmposter zu Nû Jîn eine Straftat, weil darauf eine der drei YPJ-Kämpferinnen mit YPG-Fahne zu sehen ist. Laut Anklageschrift trage das Plakat dazu bei, eine Terrororganisation „positiv darzustellen“.

Film über eine existierende Realität

„Ich habe einen Film über eine existierende Realität gedreht. Meine Kamera hat lediglich das eingefangen, was in Kobanê zum damaligen Zeitpunkt geschehen ist”, erklärte Regisseur Veysi Altay zu seiner Verteidigung. Den Vorwurf der Terrorpropaganda wies er zurück. Auf dem Plakat sei lediglich eine Szene vom Film zu sehen. „Bei der Aufführung in Êlih saßen sogar Polizeibeamte im Saal, einen Straftatbestand konnten sie aber nicht erkennen“, sagte Altay.

Dicle Anter bezeichnete das Motiv der Anklage als „Illegalisierung eines Dokumentarfilms“, allerdings auf lokaler Ebene. Nû Jîn sei in etlichen Städten gezeigt worden, aber nur in Êlih habe es Ermittlungen gegeben. Anter, der ein Sohn des 1992 von der türkischen Konterguerilla ermordeten kurdischen Intellektuellen und Schriftstellers Musa Anter ist, leitete jahrelang das nach dem Wegbereiter des kurdischen Films, Yılmaz Güney, benannte und 2005 gegründete Kino in Êlih. Nach dem Pseudoputschversuch im Sommer 2016 wurde Anter per Notstandsdekret aus dem Staatsdienst entlassen.

Dicle Anter | Foto: Altyazı Fasikül

Zu den ersten Amtshandlungen des kurz darauf im Zuge des ersten Schlags gegen die kurdische Kommunalpolitik anstelle der abgesetzten Ko-Bürgermeister:innen ins Rathaus gezogenen Zwangsverwalters gehörte die Schließung des Kinos. Die zuvor von der DBP-geführten Stadtverwaltung angeordnete Renovierung ließ der Treuhänder nicht durchführen. Ende Januar 2017 kam es dann angeblich zu einem Kurzschluss an der Elektronik des geschlossenen Kinos. Das Gebäude brannte nahezu vollständig aus und wurde abgerissen. Per Volksentscheid wollte die Zwangsverwaltung daraufhin eine Moschee an der Stelle errichten, bekam von den Bewohnerinnen und Bewohnern der Stadt aber eine Ohrfeige.

Regisseur Veysi Altay  | Foto: Altyazı Fasikül

Aber auch nach der Abwahl des Zwangsverwalters im März 2019 konnte die nun von der HDP regierte Stadtverwaltung das kurz nach der Kommunalwahl in Angriff genommene Projekt für den Bau eines neuen Kinos für Êlih nicht in die Tat umsetzen. Denn schon wenige Monate später wurden die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in kurdischen Städten erneut abgesetzt, wieder regieren vom türkischen Innenministerium ernannte Treuhänder in den Rathäusern. Das Grundstück, wo früher das Yılmaz-Güney-Kino stand, wurde in einen städtischen Park integriert. Zuletzt hieß es, an der Stelle solle ein Springbrunnen entstehen.

Hintergrund zum Verfahren

Angeklagt worden waren Veysi Altay und Dicle Anter erstmals im April 2018. Ein knappes Jahr später wurden sie von einem Strafgericht in Êlih zu jeweils zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Diese Entscheidung wurde angefochten: Ein Berufungsgericht hob das Urteil auf und ordnete die Wiederaufnahme des Verfahrens an, seit Juni 2020 lief der Prozess bereits. Nun gab es für Dicle Anter zehn Monate Haft, die in eine Geldstrafe von umgerechnet etwa 600 Euro umgewandelt wurde. Veysi Altay erhielt eine Freiheitsstrafe in Höhe von einem Jahr und fünfzehn Tagen Gefängnis, ausgesetzt zur Bewährung. Das Ausreiseverbot gegen beide Männer wurde aufgehoben.

Das Filmplakat von Nû Jîn