Kurdische Freie Medien: „Wir machen weiter“

Wir wurden verbrannt, gefoltert, bombardiert und getötet, aber vergeblich. Die in den 1990er Jahren entstandene kurdische Tradition der Freien Presse kann nicht verhindert oder zerstört werden. Sie wird wachsen und ihren Weg fortsetzen.

Trotz Repression die Wahrheit berichten

Geschichtsbewusstsein war für die Menschheit schon immer wichtig. Besonders wichtig ist es für das kurdische Volk mit seiner langen Verfolgungsgeschichte. Ein Rückblick in die Vergangenheit zeigt uns sowohl Vernichtungsangriffe als auch Widerstand.

In der letzten Zeit haben Razzien, Verhaftungen, Verbote, Zensur und alle Arten von Druck gegen die Freie Presse zugenommen. Die Freie Presse setzt ihren Weg fort, indem sie die Geschichte betrachtet und Lehren daraus zieht. Sie weiß, was zu tun ist und wie man richtig kämpft. Seit den 1970er Jahren bis heute ist sie mit allen möglichen Schwierigkeiten, Repression und Angriffen konfrontiert worden. Sie hat einen großen Kampf dagegen geführt. Dass sie heute noch besteht, ist diesem historischen Widerstand zu verdanken.

Die Freie Presse hat eine eigene Identität, eine eigene Originalität und Linie. Als Stimme des kurdischen Volkes und der Unterdrückten, die auf der Wahrheit basiert und ihre Kraft aus dem Volk schöpft, ist sie unbesiegbar. Solange die Freie Presse ihre Identität beibehält, können Angriffe sie nicht aufhalten. Sie wird noch mehr wachsen und sich entwickeln.

Die erste Entwicklung der Freien Presse fand in den 1990er Jahren statt. Die Massaker, Folterungen, Hinrichtungen, kurz gesagt, die unvorstellbare Grausamkeit gegen das kurdische Volk wurden öffentlich gemacht. Die Stimme der Freiheitsbewegung und insbesondere des Guerillakampfes erreichte dadurch die ganze Welt. Weil die Freie Presse die Wahrheit verbreitete, wurde sie angegriffen. Um zu verhindern, dass die Wahrheit die Menschen erreicht, wendete der türkische Staat jede nur erdenkliche Brutalität an. Aber die Freie Presse antwortete auf diese Angriffe mit Wachstum. Ein paar Beispiele reichen aus, um zu erklären, was geschah.

Im Oktober 1990 erschien erstmalig die Wochenzeitung Yeni Ülke. Bis auf wenige Ausnahmen wurden alle Ausgaben beschlagnahmt. Die Zeitung durfte in Kurdistan nicht vertrieben werden, erreichte aber trotzdem eine Auflage von 50.000 Exemplaren. Kinder und Jugendliche begannen, die Zeitung auf den Straßen Kurdistans zu verteilen. Um die Verteilung zu verhindern, griffen Elemente der Hizbulkontra die Verteiler mit Hackbeilen an. Einige wurden ermordet, einige verwundet, einige lebendig verbrannt, aber sie gaben nicht auf. In einem Umfeld, in dem die Menschen Angst hatten, überhaupt eine Zeitung zu kaufen, verteilten sie Yeni Ülke auf der Straße und riskierten dabei, ermordet zu werden. 35 Ausgaben wurden eine nach der anderen verboten und beschlagnahmt. So entstand der Slogan der Zeitung: „Kauft Yeni Ülke sofort am Sonntagmorgen, wenn die Staatsanwaltschaft sie vor euch liest, gibt es vielleicht keine mehr.“

Journalistinnen und Journalisten wurden verhaftet. Es wurde mit allen Mitteln versucht, sie an der Berichterstattung zu hindern. Als das nicht gelang, kam es zu Anschlägen. Zuerst wurde Cengiz Altun ermordet, der Korrespondent in Êlih (tr. Batman).

Die Freie Presse reagierte auf die Angriffe, indem sie wuchs. Es wurde beschlossen, mit einer Tageszeitung weiterzumachen. Die Zeitung Özgür Gündem wurde am 30. Mai 1992 ins Leben gerufen. Dieses Wachstum brachte eine Zunahme der Angriffe mit sich. Zensur und Druck nahmen kein Ende. Fast jede Woche wurden Journalist:innen ermordet, Chefredakteur:innen verhaftet oder Mitarbeiter:innen inhaftiert und gefoltert.

Als der türkische Staat feststellte, dass all diese Maßnahmen nicht fruchteten, führte er einen größeren Angriff durch, um die Veröffentlichung zu verhindern. Am 10. Dezember 1993, dem Tag der Menschenrechte, wurden bei einer Razzia in der Istanbuler Zentrale in Kadırga und vielen weiteren Büros fast 200 Personen festgenommen. Die Chefredakteurin Gurbetelli Ersöz, der stellvertretende Chefredakteur Ferda Çetin und die Nachrichtenchefin Gültan Kışanak wurden zusammen mit vielen weiteren Betroffenen gefoltert und tagelang inhaftiert, wobei die Foltermethoden vom „Palästinenserhaken“ bis hin zu Elektroschocks reichten.

Doch trotz alledem erschien die Zeitung mit der Schlagzeile „Es geht weiter“. Mehmet Şenol, einer der Gefallenen der Freien Presse, gehörte zu den ersten, die Istanbul erreichten, um die Zeitung nach der Razzia herauszugeben. Der Titel des ersten Leitartikels war ebenfalls von ihm: „Osmanische Machenschaften“. Die Machenschaften nahmen kein Ende.

Aufgrund der Repression setzte die Freie Presse ihren Weg mit einer Namensänderung fort. Özgür Ülke erschien zum ersten Mal am 28. April 1994. Weil Zensur, Folter, Massenverhaftungen und Massaker keine Ergebnisse brachten, ahnten wir alle, dass größere Angriffe bevorstanden. Wir konnten nur nicht vorhersehen, wann und was sie tun würden ...

Am 3. Dezember 1994, um drei Uhr nachts, explodierten gleichzeitig Bomben im Gebäude der Zeitung in Istanbul und im Büro in Ankara. Ersin Yıldız wurde getötet und 23 unserer Kolleginnen und Kollegen wurden verwundet. Auch dieser Bombenanschlag konnte die Freie Presse nicht aufhalten. Am nächsten Tag erschien die Zeitung mit der Schlagzeile „Dieses Feuer wird auch euch verbrennen“. Den Befehl für den Anschlag gab die damalige Ministerpräsidentin Tansu Çiller, wie aus einem später veröffentlichten Geheimdokument hervorging.

Ähnliche Beispiele gibt es in allen Teilen Kurdistans. Auch in Rojava, Rojhilat und Başûr waren die Angriffe auf die Freie Presse unerbittlich. Vor allem Journalist:innen, die über den Guerillakampf in den Bergen berichteten, wurden ins Visier genommen. Der türkische Staat will nicht, dass seine Kriegsverbrechen bekannt werden. Er will auch nicht, dass der große Widerstand der Guerilla sichtbar wird.

Die Angriffe dauern bis heute ununterbrochen an. Dagegen setzte die Freie Presse ihren Weg fort, indem sie Dutzende von Fernsehsendern, Agenturen, Zeitungen und Zeitschriften gründete, die von Tag zu Tag größer wurden.

Die Repression gegen die freien Medien macht auch in Europa nicht halt. Vergangene Woche wurden die Studios von Medya Haber und Stêrk TV mitten in der Nacht überfallen und verwüstet, sie senden weiter. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Freien Presse in der Türkei und in Kurdistan sind jeden Tag mit Verhaftungen, Verboten, Zensur und Folter konfrontiert, aber sie machen weiter. Wir wurden verbrannt, gefoltert, bombardiert und getötet, aber vergeblich ...

Die von Mazlum Doğan und Gurbetelli Ersöz ausgehende Tradition der Freien Presse kann nicht aufgehalten oder zerstört werden. Sie wird wachsen und ihren Weg fortsetzen.

Titelfoto: Pressekonferenz nach Razzia bei Stêrk TV und MedyaHaber in Denderleeuw, 23.04.2024 © Shnoyi Mendan