Der Lange Marsch, organisiert durch die PKK?

Dem kurdischen Aktivisten Kenan Ayaz wird vorgeworfen, Mitglied der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu sein. Auf welch abenteuerliche Weise das Gericht dies nachweisen möchte, wurde auch am letzten Verhandlungstag sichtbar.

Prozess gegen Kenan Ayaz in Hamburg

Am 2. Mai 2024 nahm an dem Prozess gegen Kenan Ayaz vor dem OLG Hamburg neben den deutschen Verteidiger:innen Antonia von der Behrens und Stephan Kuhn auch der zypriotische Anwalt Efstathios C. Efstathiou teil. Dem kurdischen Aktivisten wird vorgeworfen, Mitglied der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu sein. Auf welch abenteuerliche Weise das Gericht dies nachweisen möchte, wurde auch an diesem Tag sichtbar.

Der Prozesstag begann mit der Verlesung von Kurznachrichten vom 10. und 11. September 2019, deren Absender laut Gericht der Angeklagte Kenan Ayaz sein soll – darunter Sätze wie „Wir sind am Laufen, Marschieren“ oder „Aber das Essen ist noch nicht da". Diese sollen im Kontext des zeitgleich stattfindenden „Langen Marsches“ der kurdischen Jugendbewegung für die Freiheit Abdullah Öcalans verfasst worden sein. Gesetzt dem Fall, dass hier eine Verantwortlichkeit in der Organisation für Kenan Ayaz festgestellt werden könne, stelle für das Gericht auch eine Beteiligung an dem Langen Marsch eine strafbare Betätigung für die PKK dar. Interessant dabei ist, dass die Staatsanwaltschaft bei einem Hauptverhandlungstag Anfang Dezember 2023 unterstellte, dass es sich bei den zitierten Sätzen um Nachrichten handele, die sich auf das angebliche Sammeln von Spendengeldern für die PKK bezögen. Nachdem die Verteidigung darauf aufmerksam gemacht hatte, dass diese Nachrichten zeitgleich mit dem Langen Marsch versandt worden seien und sich darauf bezogen haben können, ist das Gericht einfach umgeschwenkt. Nun sollen diese Nachrichten nicht das Spendensammeln, sondern die Beteiligung an dem Langen Marsch betreffen, was genauso strafbar sein soll. Dies zeigt, dass Kenan Ayaz kaum Raum hat, sich zu verteidigen, da alles gegen ihn gewandt wird. Es scheint also darum zu gehen, Kenan Ayaz die Mitgliedschaft in und die Betätigung für die als terroristisch eingestufte PKK zu belegen und ein entsprechendes Urteil zu verhängen.

Dies erscheint umso absurder, als eine der Richterinnen einen ANF-Artikel zum „Langen Marsch“ 2019 verliest. Geht aus diesem doch deutlich hervor, dass sich Abdullah Öcalan trotz seiner 1999 erfolgten Inhaftierung seit vielen Jahren dafür einsetzt, „günstigere Bedingungen für eine friedliche, politische Lösung des Konflikts herbeizuführen. Jahrelang führte er mit der türkischen Regierung Gespräche über eine Lösung. 2009 legte er seine ,Roadmap für den Frieden' vor. 2013 stoppte sein Aufruf zum Rückzug der Guerilla effektiv den bewaffneten Konflikt in der Türkei. Immer wieder ist er die Stimme des Friedens und der Vernunft. Die 2013 begonnenen Friedensgespräche zwischen der AKP-Regierung und der PKK brach der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan im Sommer 2015 abrupt ab und ging wieder zu Gewalt gegen die kurdische Bevölkerung über.“

Deutlich wird, dass die PKK bzw. Abdullah Öcalan nicht nur ihren Willen für eine Beilegung der militärischen Auseinandersetzung kundgetan haben, sondern auch notwendige Schritte hierfür gegangen sind. Allerdings hat Erdoğan offensichtlich kein Interesse an einer friedlichen Koexistenz. Dennoch sind es die PKK und Abdullah Öcalan, die von der Bundesregierung als terroristisch bezeichnet werden. Dabei hat sogar der vom Gericht bestellte Sachverständige Günter Seufert deutlich gemacht, dass Friedensverhandlungen nur mit Beteiligung von Öcalan möglich seien. Er wird sowohl im erwähnten Artikel zum „Langen Marsch“ als auch vom Sachverständigen als Vordenker der kurdischen Befreiungsbewegung bezeichnet. Dies stehe im Widerspruch zu den Verlautbarungen der Bundesanwaltschaft (BAW), wie die Verteidigung in einer Erklärung deutlich machte, da die BAW Öcalan doch als Anführer der kurdischen Bewegung bezeichne und ihm unterstellt, trotz der inzwischen jahrelangen totalen Isolation faktischen Einfluss auf die Geschicke der PKK auszuüben. Doch rein faktisch sei dies gar nicht möglich, wie die Verteidigung klarstellte.

Politische Tätigkeit nur unter Hinnahme von Menschenrechtsverletzungen möglich“

Im weiteren Verlauf des Hauptverhandlungstages stellte die Verteidigung noch einige Anträge, wobei hier auf einen Antrag näher eingegangen werden soll. Dieser Antrag bezog sich unmittelbar auf die Lebensgeschichte von Kenan Ayaz, der bei den Kommunalwahlen 2009 in der primär von Kurd:innen bewohnten Stadt Agirî (tr. Ağrı) den kurdischen Kandidaten unterstützt hatte und nach den Wahlen und der Aufdeckung des Wahlbetruges festgenommen und sechs Monate zu Unrecht inhaftiert worden war. Die Verteidigung forderte mit dem Antrag ein Sachverständigengutachten zu diesen Kommunalwahlen, bei denen die AKP die Wahlen gegen den kurdischen Kandidaten manipuliert habe. Es soll damit aufgezeigt werden, dass die AKP alles daransetzt, legale Möglichkeiten prokurdischer Politik zu konterkarieren. Habe bereits der Sachverständige Günter Seufert in seinem Gutachten genau auf diese Beschneidung hingewiesen, komme der beantragten Beweisführung eine darüber hinausgehende verfahrensrechtliche Bedeutung zu, so die Verteidigung.

„[D]enn sie wird indiziell auf die Glaubhaftigkeit seiner Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen hindeuten, soweit er angab, bei den antragsgegenständlichen Wahlen Murat Öztürk, einen engen Freund, den er aus dem Gefängnis kannte, in Ağrı im Wahlkampf unterstützt zu haben. Dieser habe die Wahl gewonnen, jedoch habe es eine offene Wahlfälschung zu Gunsten des AKP-Kandidaten gegeben und es sei schließlich erklärt worden, dieser habe die Wahl gewonnen. Als er, während die darauf folgenden Proteste noch andauerten, morgens das Haus verlassen habe, sei er zusammen mit zwei seiner Freunde ohne weiteren Anlass festgenommen worden.

Herr Ayaz hat also am eigenen Leib erfahren, dass in der Türkei politische Tätigkeit für die legale kurdische Partei nur unter Inkaufnahme unrechtmäßiger Festnahme und Inhaftierung möglich ist und seine politische Handlungsfähigkeit sowie diejenige von unzähligen anderen Kurden nicht nur eingeschränkt war, sondern nur unter Hinnahme schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen möglich war.“

Ob dieser und die anderen gestellten Anträge positiv beschieden werden, wird man aller Voraussicht nach am 31. Mai 2024 ab 13 Uhr erfahren. An diesem Tag findet der nächste Prozesstermin statt. Bis dahin sollen die letzten Anträge durch die Verteidigung eingereicht werden. Das Gericht selbst hat die Beweisaufnahme abgeschlossen.

Weitere Verhandlungstermine

Weitere anberaumte Termine sind: 31.5. ab 13 Uhr, 6.6., 19.6. bis 13 Uhr, 27.6., 2.7., 9.7., 11.7., 17.7., 22.7. und 19.8. Der Prozess findet im 1. Stock des OLG Hamburg am Sievekingplatz 3 statt, entweder in Saal 237 oder 288. Die Verhandlungen beginnen in der Regel um 9:30 Uhr.

Postadresse und Spendenkonto

Auf der Seite kenanwatch.org werden Informationen in den Sprachen Griechisch, Englisch und Deutsch über den Prozess und die Proteste auf Zypern und in Deutschland angeboten. Kenan Ayaz freut sich über Post. Briefe können auch in anderen Sprachen als Kurdisch oder Türkisch geschrieben werden, da eine Übersetzung gewährleistet ist. Zu beachten ist die Schreibweise des Behördennamens „Ayas“, damit die Briefe auch zugestellt werden.

Kenan Ayas
Untersuchungshaftanstalt Hamburg
Holstenglacis 3
20355 Hamburg

Spendenkonto:
Rote Hilfe e.V. OG Hamburg
Stichwort: Free Kenan
IBAN: DE06200100200084610203