Soziale Bewegungen rufen zur Verteidigung von Rojava auf

Führende Persönlichkeiten sozialer Bewegungen aus Asien, Nord- und Südamerika, Europa und Afrika rufen zur Verteidigung Rojavas auf.

Der internationale Aufruf führender Persönlichkeiten sozialer Bewegungen wurde im Guardian veröffentlicht. Die Aktivist*innen bezeichnen Rojava als „revolutionäres Experiment“, das einen „möglichen Weg für die Zukunft der Menschheit“ aufzeige.

Der Appell lautet:

Verteidigt Rojava – Ein revolutionäres Experiment im Nahen Osten zeigt einen möglichen Weg für die Zukunft der Menschheit

In Nordost-Syrien geht es um mehr als um das Schicksal der Kurden oder das Autonomiegebiet von Rojava. Es geht auch um mehr als den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS). Es geht eigentlich um die Frage, ob wir als Menschheit in der Lage sind, die Krisen der gegenwärtigen Zivilisation zu überleben und Alternativen zu finden, bevor es zu spät ist.

Die Rojava-Invasion, angeordnet vom türkischen Premierminister Recep Tayyip Erdoğan, wendet extrem brutale Methoden, die bis zum Völkermord reichen an. Diese Methoden kennen wir aus den schlimmsten Kriegen des 20. Jahrhundert – und das ungeachtet der verkündeten „Waffenruhe“. Die türkische Luftwaffe wirft Napalm und Weißen Phosphor ab. Gleichzeitig ermorden dschihadistische Schwadronen fliehende Zivilist*innen als Rache für Rojavas Widerstand gegen den IS und seine Rolle als wichtigsten Partner des Westens in der Region.

Die USA, Großbritannien, Frankreich, Russland und andere sogenannte Weltmächte verraten das Völkerrecht und die Genfer Konvention, in dem sie die ethnische Säuberung und Besatzung von Rojava zulassen. Das Ziel der Türkei ist klar: Sie wollen das auslöschen, was für alle faschistischen Kräfte schon immer die größte Bedrohung war: ein freies Volk, das mutige und erfolgreiche Experimente außerhalb des globalisierten Systems der Ausbeutung wagt.

Seit 2012 bauen etwa fünf Millionen Menschen – Kurd*innen, Araber*innen, Assyrer*innen, Turkmen*innen, Ezid*innen und andere – die autonome Zone Rojava auf. Damit wurden sie zu einem Modell, wie eine multiethnische Gesellschaft außerhalb der Zwänge von Nationalstaat, Patriarchat und Kapitalismus respektvoll zusammenleben kann. Durch ihre radikal-demokratische und dezentrale Selbstverwaltung, Gleichstellung der Geschlechter, nachhaltige Landwirtschaft und ein Rechtssystem, das auf Versöhnung angelegt ist, und die Integration von Minderheiten, liefert das Experiment Rojava ein lebendiges Beispiel dessen, was unter den scheinbar unmöglichsten Umständen möglich ist. Wir möchten alle Leser*innen zur Lektüre von Rojavas inspirierenden Gesellschaftsvertrag anregen.

Westliche Führer*innen täuschen Mitgefühl vor, während amerikanische, deutsche und britische Waffenhersteller Waffen an die Türkei verkaufen. Es ist klar, dass das herrschende System nicht diejenigen verteidigen kann oder will, die andere Wege des Wissens und Lebens erkunden. Wie der inhaftierte kurdische Anführer Abdullah Öcalan schreibt: „Die wahre Macht der kapitalistischen Moderne besteht nicht in Geld oder Waffen, sondern in der Fähigkeit, alle Utopien mit seinem Liberalismus zu ersticken.”

Dennoch erhebt sich eine wachsende weltweite Allianz gegen dieses alte System. Von Haiti bis Libanon, von Chile bis Irak, von Kamerun bis USA, von Großbritannien bis Hongkong widersetzen sich soziale Revolutionen dem Wiedererstarken des Faschismus, kurzfristiger politischer Macht-Orientierung, Gier, Klimazerstörung, Kriegen – alles Dinge, die nötig sind, das vorherrschende ökonomische System aufrechtzuerhalten. Die Konfliktlinien werden klarer: Herrschaft oder Kooperation, Kolonialisierung oder Autonomie, Unterdrückung oder Freiheit, Patriarchat oder Partnerschaft – die Zukunft der Menschheit entscheidet sich an diesen Werten.

Diese Werte stellen die Verbindung der Kämpfe dar, welche für die Zukunft der Menschheit entscheidend sind.

Damit Rojava überleben und die Gerechtigkeit siegen kann, müssen all diejenigen, die heute in ihren Ländern gegen das Unrecht aufstehen, kreativ zusammenkommen und eine gemeinsame Stimme, gemeinsame Werte und Visionen für einen globalen Systemwechsel entwickeln. Rojava kämpft aus denselben Gründen wie die erwachende Mehrheit überall auf der Welt. Es hat gezeigt, dass der Ausweg aus den sozialen und ökologischen Krisen nicht in „Entwicklung“ und „Wachstum“ besteht, sondern in dezentralen, autonomen Gemeinschaften.

Funktionierende Gemeinschaften an immer mehr Orten aufzubauen – durch die Wiederherstellung von Ökosystemen, die Heilung des kollektiven Traumas und die Entwicklung sozialer Strukturen von Solidarität und Vertrauen – ist heute die entscheidende Arbeit an der Transformation. Wenn wir erkennen, wie tief all unsere Bewegungen und Kämpfe voneinander abhängen – und von unserer Verbindung mit dem Netz des Lebens, dann kann keine Armee der Welt den unvermeidlichen Wandel mehr aufhalten.

Als Führungspersönlichkeiten sozialer Bewegungen, Gemeinschaften und indigener Völker weltweit, stehen wir in Solidarität mit der Vision und Arbeit von Rojava. Wir beten für ihre Standhaftigkeit und ihren Schutz in der Bedrohung. Wir beten, dass wir immer mehr von der lebendige Erde lernen, denn sie zeigt uns, wie wir Gesellschaften in Kooperation mit allen Wesen aufbauen können. Wir beten dafür, dass Menschen in Machtpositionen sich ihrer Menschlichkeit erinnern und diese Invasion sofort beenden.

Unterzeichnet am 2. November 2019, dem weltweiten Widerstandstag für Rojava, von:

LaDonna Brave Bull Allard, Standing Rock - Turtle Island (USA)

Salim Dara, Rural Solidarity - Benin

Eve Ensler, One Billion Rising - Turtle Island (USA)

Sabine Lichtenfels, Friedensforschungszentrum Tamera - Portugal

Tiokasin Ghosthorse, First Voices Indigenous Radio - Turtle Island (USA)

Alnoor Ladha, The Rules - Kanada

Gildardo Tuberquia, Friedensgemeinschaft San José de Apartadó - Kolumbien

Yael Ronen, Maxim Gorki Theater - Deutschland

Sami Awad, Holy Land Trust - Palästina

Gigi Coyle, Beyond Boundaries - Turtle Island (USA)

Joshua Konkankoh, Better World - Kamerun

Stuart Basden, Extinction Rebellion - Großbritannien

Aida Shibli, Global Campus - Palästina

Claudio Miranda, Favela da Paz - Brasilien

Rajendra Singh, Tarun Bharat Sangh - Indien