Massaker in El Geneina: Der Darfur-Völkermord wird fortgesetzt

In der belagerten Stadt El Geneina im Westen des Sudan findet derzeitig durch die arabische Miliz RSF ein Massaker statt, dem bereits über 1.100 Menschen zum Opfer gefallen sind. Sirwal Gargari fasst die Hintergründe zusammen.

In der belagerten Stadt El Geneina in der Region Darfur im Westen des Sudan findet derzeitig durch die arabische Miliz RSF ein Massaker statt, dem bereits über 1.100 Menschen zum Opfer gefallen sind. Die Opfer der Attacken sind vor allem Angehörige der Minderheit der Masalit, welche neben den Beri und Fur schon 2003 und den darauffolgenden Jahren Opfer des Darfur-Völkermordes geworden waren.

Seit Jahrzehnten wird der Sudan von politischen Unruhen und Bürgerkriegen heimgesucht. Um die Aufstände der Völker in Darfur und dem Nuba-Gebirge gegen die Diktatur niederzuschlagen, bediente sich der arabisch-nationalistische Präsident Omar al-Bashir Anfang der 2000er Jahre arabischer Stammesmilizen. Diese Milizen, welche schon in den Jahrzehnten davor im Tschad und Sudan aktiv gewesen waren, waren bekannt unter dem Namen Janjaweed – „Dämonen auf Pferden“, ein Name, der sich auf ihre Brutalität und bevorzugte Fortbewegungsart bezieht. Im Jahr 2003 und den darauffolgenden Jahren attackierten sie Rebellen in Darfur und ermordeten zwischen 100.000 und 400.000 Männer, Frauen und Kinder. Etwa drei Millionen Menschen waren von der Gewalt der Janjaweed betroffen, so zwang etwa die Zerstörung mehrerer tausend Dörfer viele zur Flucht. Ziel der Zerstörung und der Massaker war die Vertreibung oder Auslöschung der ansässigen Völker Masalit, Fur und Beri (auch bekannt als Zaghawa), was dieses Ereignis zum Genozid macht. Dieser ist weithin als der Darfur-Völkermord bekannt.

„Widerstand ist Leben“

Im April 2019 jedoch wurde der Diktator Omar al-Bashir nach monatelangen Protesten der Zivilbevölkerung durch einen Coup abgesetzt. Proteste der Zivilgesellschaft gegen den militärischen Übergangsrat setzten sich fort und es kam zu einem Massaker an Protestierenden in der Hauptstadt Khartum. Das Massaker war verübt worden von der RSF, kurz für Rapid Support Forces oder Schnelle Unterstützungskräfte. Dies ist der offizielle Name, den die Janjaweed nach einer Restrukturierung durch das Regime 2013 erhalten hatte. Durch internationalen Druck und anhaltenden Protesten im ganzen Land erklärten sich Armee und RSF schließlich dazu bereit, eine Übergangsregierung unter einem zivilen Premierminister, Abdullah Hamdok, einzurichten. Schon im Herbst 2021 kam es jedoch unter Zusammenarbeit von Armee und RSF zu einem Putsch, infolgedessen sich Armeeführer Abdulfattah al-Burhan zum neuen Machthaber aufschwang.

Doch die Zivilgesellschaft wollte die erreichten Erfolge nicht kampflos aufgeben und es kam zu einer weiteren, gewaltigen Protestwelle, die über Monate andauerte und das Land regelmäßig mit Streiks und Straßenblockaden lahmlegte. Gerade in den großen Städten des Landes waren während der Revolution in fast allen Stadtvierteln Widerstandskomitees entstanden, die die Proteste nun dezentral organisierten und sie trotz oft tödlicher Gewalt durch die Sicherheitskräfte zu einer alltäglichen Angelegenheit machten. Der kurdische Slogan Berxwedan Jiyanê, „Widerstand ist Leben“, beschreibt die Atmosphäre in den Widerstandskomitees der sudanesischen Städte treffend.

Abdulfattah al-Burhan hielt dennoch an seiner Macht fest und baute seine Position weiter aus, was seinen Verbündeten, Hemedti von der RSF, zunehmend entfremdete. Am 15. April 2023 kam es schließlich zur Eskalation, als die RSF Stützpunkte der Armee im ganzen Land attackierte und es zu Schusswechseln am Präsidentenpalast in Khartum kam. Eine Schlichtung blieb aus und schnell wurde das Land von einem erneuten Bürgerkrieg überzogen. Im Laufe der Kämpfe ist es der RSF dabei gelungen, die Kontrolle über weite Teile der westlichen Bundesstaaten Sudans zu erlangen, welche als Darfur bekannt sind, sowie Teile der Hauptstadt Khartum und der Nachbarstadt Omdurman.

Bevölkerung effektiv von jeglicher Lebenslinie abgeschnitten

Aufgrund der Kämpfe türmten sich auch bald die Zahlen der zivilen Opfer, besonders in der Hauptstadt und den Städten Darfurs. Kein Ort wurde jedoch so schwer getroffen wie El Geneina, wo schon im April mehrere hundert Zivilisten getötet worden waren. Wie die sudanesische Nachrichtenseite Dabanga unter Berufung auf lokale Aktivisten berichtete, ist die Zahl der Opfer inzwischen auf über 1.100 angestiegen, mit fast doppelt so vielen Verletzten. Andere Berichte gehen hingegen von weit über 2.000 Todesopfern aus. Vergangene Woche startete die RSF einen erneuten Angriff auf die bereits in weiten Teilen verwüstete Stadt mit einer neuen Welle an gezielten Tötungen von Zivilisten sowie Plünderungen und Brandschatzungen in eroberten Gebieten. Aufgrund des Belagerungszustandes können die noch in El Geneina festsitzenden Zivilisten die Stadt nicht verlassen, dazu noch ist die Bevölkerung effektiv von jeglicher Lebenslinie abgeschnitten: Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen können nicht länger operieren, es gibt weder fließend Wasser noch Strom und die Vorräte an essenziellen medizinischen Gütern und Nahrung gehen zuneige. Die Kommunikation zur Außenwelt funktioniert nur noch in einzelnen Fällen und Krankheiten wie Cholera, Malaria und Masern sind auf dem Vormarsch.

Situation in El Geneina vergleichbar mit Völkermord in Ruanda

Die Ärztegewerkschaft von West-Darfur sowie die Organisation „Sudanesische Frauen für Veränderung“ haben die Situation in El Geneina als vergleichbar mit dem Völkermord in Ruanda 1994 bezeichnet. Ärzte ohne Grenzen (MSF) spricht unterdessen von „einem der schlimmsten Orte auf der Erde“. Humanitäre Organisationen haben keinen Zutritt zur Stadt und auch benachbarten Gemeinden wird die Lieferung von Hilfsgütern verwehrt. Weiter wird der RSF vorgeworfen, Zivilisten gezielt den Zugang zu Wasserquellen zu verwehren. Über 100.000 Menschen ist es dennoch gelungen, ins Nachbarland Tschad zu fliehen. Überlebende haben mit der Nachrichtenseite Dabanga gesprochen und berichtet, dass sie auf der Flucht Umwege nehmen und sich teils tagelang verstecken mussten, da die RSF die Hauptverkehrsadern Richtung Grenze kontrolliert. Auch die Lage derer, die es in Lager im Tschad geschafft haben, ist katastrophal. Grund dafür ist nicht nur, dass die dortigen Gemeinden mit der Lage überfordert sind, sondern auch, dass heftige Regenfälle zu Überflutungen und Massenvermehrungen von Mücken geführt haben.

Aufstieg des arabischen Nationalismus

Die Toten sind dabei in den allermeisten Fällen keine „Kollateralschäden“, sondern sind gezielt von der RSF aufgrund ihrer Ethnie umgebracht worden. Der Konflikt zwischen eingewanderten, traditionell nomadischen arabischen Stämmen, und sesshafter Ortsbevölkerung wie die Masalit in El Geneina und Umgebung, reicht schon lange zurück. Vor der Kolonialzeit hatte die sesshafte einheimische Bevölkerung Reiche wie Dar Masalit und war mächtiger als die arabischen Stämme. Mit der Unabhängigkeit Sudans vom britischen Kolonialreich änderte sich dies jedoch grundlegend, da diese Ländereien nun mit weiten mehrheitlich arabischen Landstrichen entlang des Nils in einen Staat zwangsvereint worden waren. Damit konzentrierte sich die Macht in Händen arabischer Herrscher, was zu Aufständen unter den nicht-arabischen Völkern führte. Dazu kam der Aufstieg des arabischen Nationalismus, welcher wie beim Ba’athismus in Syrien und Irak auch im Sudan rassistische Ideen beinhaltete. Die „schwarzen“ oder „afrikanischen“ Völker wurden nun teils als minderwertig betrachtet und wie in Rojava und dem irakischen Kurdistan mündete es in eine arabische Kolonisierungspolitik. Für den Völkermord von 2003 spielten außerdem die zunehmenden Dürren, die die Rivalität zwischen den ansässigen Gemeinschaften deutlich verschärft hatten, eine große Rolle. Aufgrund der Klimakrise haben die Dürren über die Jahre nur zugenommen, Landstreitigkeiten verstärkt und eine explosive Atmosphäre geschaffen, die immer wieder zu Massakern geführt hat. So gab es beispielsweise im Januar 2021 ein Massaker an 162 Masalit in El Genenina, nachdem ein Masalit einen Araber ermordet hatte.

Wiederaufflammen eines Völkermordes vs. „Ethnischer Konflikt“

Auch in diesem neuen Aufflammen von Massakern, die sich eindeutig in den Darfur-Völkermord einreihen, gibt es klare Beweise für die rassistischen Motive der RSF. So tauchte am 9. Juni ein Video von einem RSF-Kämpfer in El Geneina auf, in welchem dieser sagt, dass es kein Dar Masalit mehr geben und dieses Gebiet in Zukunft einzig die Heimat von Arabern sein wird. Diese Rhetorik erinnert stark an die Auslöschungsfantasien des IS gegen die Êzîden in Şingal oder Saddam Husseins al-Anfal. Aussichten auf eine Streitkraft, die den in El Geneina festsitzenden Masalit helfen könnte, gibt es allerdings keine. Toby Howard, der UNHCR-Koordinator für Darfur, hat die internationale Gemeinschaft zwar dazu aufgefordert, mehr zu tun, um den Menschen von Darfur zu helfen, faktisch gibt es aus Europa und den Vereinigten Staaten aber praktisch keine Aufmerksamkeit zu dem Thema, noch weniger konkrete Hilfe. Von den großen deutschen Nachrichtenseiten wurde dieses Wiederaufflammen eines Völkermordes bislang bestenfalls in einer Randnotiz als „ethnische Konflikte“ bezeichnet.


Sirwal Gargari ist ein Kartograf und nicht-professioneller Reporter mit Fokus auf Konflikte, Proteste, Minderheiten und die Aktivitäten von linken Parteien in der MENA-Region. Einen besonderen Fokus legt er dabei auf die kurdische Befreiungsbewegung, Tunesien, Jemen und Sudan.