Erdoğan zu Öcalan-Appell: Chance für historischen Schritt

Der türkische Staatschef Erdoğan sieht den Friedensaufruf des PKK-Begründers Abdullah Öcalan nach eigenen Worten als den Beginn einer „neuen Phase“. Nun bestehe die „Möglichkeit für einen historischen Schritt“.

Beginn einer „neuen Phase“

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan sieht den Aufruf Abdullah Öcalans zur Auflösung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) als den Beginn einer „neuen Phase“. Nun bestehe die „Möglichkeit für einen historischen Schritt“, sagte Erdoğan am Freitag in einer ersten Reaktion auf den Appell des kurdischen Vordenkers. Er betonte, dass sein Land bereit sei, alle Vorschläge anzuhören, die zum gesellschaftlichen Frieden und zur Stabilität beitragen könnten, unabhängig davon, von wem sie kämen. Gleichzeitig machte er jedoch deutlich, dass Initiativen, die der Demokratie und der Wirtschaft der Türkei schaden, nicht toleriert würden.

Öcalans Voraussetzung: Demokratie und Rechtstaatlichkeit

Abdullah Öcalan hatte seine Partei gestern dazu aufgerufen, ihren Kongress einzuberufen und die Entscheidung über die Entwaffnung und ihre Selbstauflösung zu treffen. Als Voraussetzung dafür nannte er Demokratie und Rechtstaatlichkeit in der Türkei. Jedem Teil der Gesellschaft müsse die Möglichkeit gegeben werden, seine eigenen sozioökonomischen und politischen Strukturen zu gestalten. Das könne nur durch die „Existenz einer demokratischen Gesellschaft und eines demokratischen politischen Raums“ verwirklicht werden, so Öcalan.

Niederlegung der Waffen erfordert Anerkennung demokratischer Prinzipien

Die Botschaft Öcalans wurde von einer Abordnung der DEM-Partei in Istanbul verlesen, nachdem diese den 75-Jährigen zuvor im Inselgefängnis Imrali besucht hatte. In dem türkischen Äquivalent zu Robben Island sitzt der kurdische Repräsentant seit seiner völkerrechtswidrigen Verschleppung 1999 aus Kenia in politischer Geiselhaft. Nach der Verlesung der Erklärung übermittelte der DEM-Abgeordnete Sırrı Süreyya Önder, der Teil der sogenannten Imrali-Delegation ist, noch eine weitere Voraussetzung Öcalans für einen Frieden zwischen beiden Seiten: „Zweifellos erfordert das Niederlegen der Waffen und die Selbstauflösung der PKK in der Praxis die Anerkennung der demokratischen Politik und der rechtlichen Dimension.“

Raum für demokratische Politik wird sich „naturgemäß“ erweitern

Erdoğan betonte, dass die aktuelle Phase mit Ruhe, Geduld und Aufrichtigkeit angegangen werden müsse. Durch die „mutige Initiative“ des Chefs der ultranationalistischen MHP, Devlet Bahçeli, und die „entschlossene Haltung der Regierung“ sei eine neue Seite für eine „terrorfreie Türkei“ aufgeschlagen worden, sagte der AKP-Chef. Sobald der „Druck durch Waffen“ nachlasse, werde sich der Raum für demokratische Politik „naturgemäß“ erweitern. Erdoğan warnte jedoch vor Provokationen und betonte, dass alle notwendigen Vorkehrungen getroffen würden, um solche zu verhindern. Es gelte diese Chance zu ergreifen. Kein Angehöriger dieser Nation, ob Türke oder Kurde, werde es verzeihen, wenn jemand diesen Prozess blockiere.

PKK hat sich noch nicht geäußert

Öcalans Appell markiert einen historischen Wendepunkt im türkisch-kurdischen Konflikt und könnte den Weg für einen dauerhaften Frieden ebnen. Ob und unter welchen Umständen die PKK dem Aufruf folgen wird, ist noch ungewiss. Bisher hat sich die Spitze der kurdischen Befreiungsbewegung noch nicht zu dem Appell geäußert. Denn auch die türkische Regierung wird konkrete Schritte gehen müssen, wenn sie einen dauerhaften Frieden erreichen will - gerade im Hinblick darauf, dass es Erdoğan war, der den zwischen 2013 und 2015 geführten Dialogprozess mit Öcalan einseitig beendete und den Krieg gegen die kurdische Bevölkerung wieder aufnahm. Über mögliche Zugeständnisse vonseiten der Führung in Ankara an die Kurd:innen ist bisher offiziell auch nichts bekannt.