ZMRK begrüßt Öcalans Aufruf und fordert Unterstützung der Bundesregierung

Der kurdische Menschenrechtsrat begrüßt Abdullah Öcalans Aufruf für eine friedliche und politische Lösung der Kurdistan-Frage und ruft die Bundesregierung auf, eine aktive Rolle in einem Friedensprozess zu spielen.

Zentraler Menschenrechtsrat der Kurd:innen in Deutschland

Der Zentrale Menschenrechtsrat der Kurd:innen in Deutschland (ZMRK) begrüßt den Aufruf Abdullah Öcalans zu einem Ende des bewaffneten Kampfes und einer Auflösung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) für eine politische Lösung der Kurdistan-Frage. Der Repräsentant der kurdischen Freiheitsbewegung habe mit dem Appell eine „historische Verantwortung“ übernommen und erneut seinen „Willen für eine gerechte und friedliche Lösung“ bekräftigt, erklärte der ZMRK am Samstag. Die Bundesregierung rief die Organisation auf, „alle in ihrer Macht liegenden notwendigen Schritte zu unternehmen, um den türkischen Staat dazu zu bewegen, die Bedingungen zu erfüllen und eine aktive Rolle in einem Friedensprozess zu spielen“.

Hintergründe des Konflikts

Weiter erklärte der ZMRK: „Für eine Einordnung müssen zunächst die Hintergründe des Konfliktes beleuchtet werden. Die Ursprünge des Konfliktes zwischen dem türkischen Staat und den Kurd:innen reichen tief in die Geschichte der Region zurück. Im Kern geht es um das Versagen, das Selbstbestimmungsrecht der kurdischen Bevölkerung anzuerkennen. Statt konstruktiver Lösungen setzt der türkische Staat seit Jahrzehnten auf Repression, Unterdrückung, Gewalt und Verfolgung. Die PKK ist nicht als Ursache, sondern vielmehr als Ergebnis der jahrzehntelangen Unterdrückung und Verfolgung gegenüber der kurdischen Bevölkerung zu verstehen. Trotz mehrerer einseitiger Waffenstillstandserklärungen wurde jeder dieser Versuche vom türkischen Staat abgelehnt und mit militärischer Gewalt beantwortet.

Der Konflikt hat viele Leben gefordert, tiefe Wunden in der Gesellschaft hinterlassen und zu einer massiven Einschränkung von Grundrechten der Kurd:innen geführt. Die kurdische Bevölkerung, die sich für ihre Rechte und Freiheiten einsetzt, wird auch vor diesem Hintergrund immer wieder Ziel geostrategischer und wirtschaftlicher Interessen und ist in hohem Maße von Kriminalisierung betroffen.

Menschenrechtsverletzungen

Die Menschenrechtslage in der Türkei ist nach wie vor angespannt. So werden Vertreter:innen der kurdischen Gesellschaft, darunter demokratisch gewählte Abgeordnete, inhaftiert; gewählte kurdische Bürgermeister:innen, wie zuletzt in der kurdischen Provinz Wan, werden gewaltsam abgesetzt und durch regierungstreue Zwangsverwalter ersetzt; Verhaftungen und erniedrigende Behandlungen gehören zum Alltag. Etliche Menschen werden für ihren Einsatz für Freiheit, Demokratie und Gleichberechtigung verfolgt. Diese systematische Unterdrückung steht im Widerspruch zu den universellen Menschenrechten und den Grundsätzen der Demokratie.

Der Krieg und die Rolle von Abdullah Öcalan

Mit einer langen und intensiven Isolationshaft gegenüber dem kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan wurde eine Person, die als Schlüsselfigur für den Friedensprozess gilt, isoliert. Öcalan hat nun mit seinem historischen Aufruf „Für Frieden und eine demokratische Gesellschaft“ zur Beendigung des bewaffneten Kampfes, einen Durchbruch für einen Friedensprozess geebnet. Sein Einfluss auf die kurdische Gesellschaft ist nach wie vor erheblich, und er kann wesentlich dazu beitragen, dass es zu einer Deeskalation und zum Dialog zwischen den Konfliktparteien kommt. Dazu müssen, wie von Öcalan betont, die politischen und rechtlichen Bedingungen geschaffen werden, damit er seine Verantwortung wahrnehmen und Verhandlungen mit dem türkischen Staat auf Augenhöhe führen kann.

Es liegt nun am türkischen Staat, die Grundlagen für einen gerechten Frieden zu schaffen und die Bindung an diesen Prozess deutlich zu machen. Aber auch Deutschland trägt in diesem Prozess eine große Verantwortung, nicht zuletzt durch die seit Beginn des Bürgerkrieges ununterbrochenen Waffenlieferungen an die Türkei.

Deutschlands Verantwortung

Die kurdische Frage wird oft auf ein angebliches „Terrorproblem“ reduziert, ohne dabei die historischen und politischen Hintergründe angemessen zu berücksichtigen oder zu thematisieren. Auf diese Weise werden die Narrative des türkischen Staates unkritisch übernommen, was zu einer Täter-Opfer-Umkehr führt und die eigentliche Kernproblematik verschleiert. Dies war bislang auch die Haltung der Bundesregierung.

Deutschland hat bislang nicht die nötigen Schritte unternommen, um den Konflikt auf dem Weg des Dialogs zu lösen. Dabei verfügt die Bundesregierung sowohl über politische Expertise als auch über wirtschaftliche Einflussmöglichkeiten. Trotzdem beschränkte sich bisher das Engagement der Bundesregierung weitgehend auf politische Sanktionen gegen die kurdische Bewegung sowie wirtschaftliche und militärische Unterstützung für die Türkei. Auch die Kriminalisierung der kurdischen Bewegung in Deutschland hat eine friedliche Lösung behindert und letztlich dazu beigetragen, dass der türkischen Regierung de facto Rückendeckung für eine menschenrechtswidrige Politik verschafft wurde. Ein Kurswechsel ist daher dringend erforderlich.“

Konflikt in all seinen Facetten beleuchten und aufarbeiten

Hierzu erklärte Dîlan Akdoğan aus dem Koordinierungskreis des ZMRK: „Um einen nachhaltigen Frieden zu ermöglichen, muss der Konflikt in all seinen Facetten beleuchtet und aufgearbeitet werden. Ohne eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den vielschichtigen Ursachen wird es keine tragfähige Lösung geben. Ein erster Schritt der Bundesrepublik muss dabei die Beendigung der Kriminalisierung der kurdischen Gesellschaft in Deutschland sein und somit auch die Aufhebung des PKK-Verbotes. Da die kurdische Bewegung längst einen grenzüberschreitenden Charakter angenommen hat und auch in Deutschland über mehr als drei Jahrzehnte verfolgt wurde, muss ein nun beginnender Aussöhnungsprozess auch in Deutschland organisiert werden. Dies erfordert zwingend die Aufhebung des PKK-Betätigungsverbotes und des damit verbundenen Terror-Stigmas gegen die kurdische Bewegung. Die in Deutschland nach §129b StGB inhaftierten kurdischen Politiker:innen sind als wichtige Stimmen des beginnenden Friedens- und Aussöhnungsprozesses zu entlassen. Dem im Jahr 2022 eingereichten Antrag der PKK auf Aufhebung des Betätigungsverbots sollte stattgegeben werden.“

Hoffnung auf eine neue Friedensdynamik

Alexander Glasner-Hummel aus dem Koordinierungskreis erklärte: „Die aktuellen Entwicklungen in der Türkei und Kurdistan geben uns Hoffnung. Die Erklärung Abdullah Öcalans zeigt erneut, dass die Kurd:innen bereit sind, zu verhandeln. In Deutschland lebt die größte kurdische Diaspora, weshalb das Land die Gelegenheit ergreifen sollte, als Vermittler aufzutreten und den Friedensprozess zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen Gesellschaft aktiv zu unterstützen. Eine starke und demokratische Türkei bedeutet, dass Fluchtursachen behoben, Menschenrechte gestärkt und wirtschaftliche und politische Stabilität herbeigeführt werden – alles Faktoren, die auch im Interesse der Bundesrepublik liegen. Deutschland sollte sich daher als ein neutraler Gastgeber für Friedensverhandlungen zwischen der PKK und der Türkei anbieten. Durch seine große kurdische und türkische Diaspora ist Deutschland für diese Rolle prädestiniert. Um diese Rolle glaubwürdig ausüben zu können, darf Deutschland bei der Entkriminalisierung der kurdischen Bewegung allerdings nicht die Entwicklungen in der Türkei lediglich abwarten sondern muss hier selbst proaktiv die Initiative ergreifen.“

Forderungen an die Bundesregierung

Der ZMRK fordert daher die Bundesregierung auf, die Friedensbemühungen in Kurdistan und in der Türkei aktiv zu unterstützen: „Setzen Sie sich für die Wahrung der Menschenrechte ein und fördern Sie den Dialog zwischen den Konfliktparteien. Dies könnte in der Praxis unter anderem durch die Aufhebung des PKK-Verbots, den Einsatz parlamentarischer Beobachter:innen oder aber auch durch eine konkrete Unterstützung der DEM-Partei geschehen. Unterstützen Sie die Initiative Abdullah Öcalans, einen friedlichen und gerechten Lösungsprozess zu ermöglichen, und wirken Sie dabei mit, das Selbstbestimmungsrecht der kurdischen Bevölkerung anzuerkennen und damit die Demokratisierung in der Türkei und in Kurdistan, aber auch in Deutschland voranzutreiben. Dies schließt auch ein, die umfassenden Menschenrechtsverletzungen an Kurd*innen in Deutschland seit 1993 aufzuarbeiten.“