Gestern jährte sich zum zehnten Mal das Verschwinden von 43, mehrheitlich indigenen Studenten der Escuela Normal Rural, eines Lehrer:innenseminars in Ayotzinapa, Mexiko. In der Nacht zum 27. September 2014 kam es in Iguala, im Bundesstaat Guerrero, zu einem folgenschweren Angriff auf Studierende durch lokale Polizei unter Beteiligung von Militär und Mitgliedern des organisierten Verbrechens. Seit der polizeilichen Festnahme von 43 Studenten sind diese verschwunden. Bisher konnten nur die sterblichen Überreste von drei von ihnen identifiziert werden.
Was geschah in jener Nacht?
Die Studenten waren auf dem Weg nach Mexiko-Stadt, um an einer Protestaktion zum Gedenken an das Massaker von Tlatelolco teilzunehmen, bei dem am 2. Oktober 1968 Hunderte Studierende durch Polizei und Militär getötet wurden. Für ihre Reise kaperten sie mehrere Busse – eine in der Gegend nicht ungewöhnliche Praxis. In Iguala wurden mehrere der Busse von der Polizei aufgehalten. Über Stunden hinweg kam es zu diversen Angriffen durch lokale Polizeieinheiten und mutmaßliche Mitglieder des organisierten Verbrechens auf die Studierenden und unbeteiligte Zivilist:innen. Die Bilanz der Nacht: Sechs Menschen starben, 25 wurden verletzt, und die 43 Studenten, die von der Polizei festgenommen wurden, sind seither verschwunden.
Mangelnde Aufklärung und Staatsversagen
Die mexikanische Regierung unter Peña Nieto zeigte wenig Initiative bei der Aufklärung des Falls. Bereits nach vier Monaten verkündete die Regierung die „Historische Wahrheit“: Die Studenten seien von der Polizei an das Kartell Guerreros Unidos übergeben, ermordet und auf einer Müllkippe verbrannt worden. Stichhaltige Beweise konnten jedoch nicht vorgelegt werden. Die „Historische Wahrheit“ wurde als Versuch gewertet, ein Staatsverbrechen zu verschleiern und keine Verantwortung für die Aufklärung zu übernehmen.
Familienangehörige und NGOs haben seither die Aufklärungsarbeit weitgehend selbst vorangetrieben. Sie erstellten unter anderem eine Liste mit Namen möglicher Beteiligter aus militärischen und paramilitärischen Kreisen, die sie den Behörden übergaben – ohne erkennbares Ergebnis. Stattdessen gerieten Angehörige der 43 und deren Anwält:innen zunehmend ins Visier staatlicher Repression und wurden beispielsweise mit der Spionagesoftware Pegasus überwacht. Vieles wurde von Regierungsseite aus unternommen, um die große Protestbewegung und den Kampf um Aufklärung und Gerechtigkeit zu spalten.
Auch unter der Regierung des Präsidenten López Obrador (kurz: AMLO, seit 2018) konnte das Verbrechen nicht lückenlos aufgeklärt werden. AMLO stellte sich immer wieder schützend vor das mexikanische Militär, dessen Verwicklung im Fall bestätigt wurde, das sich jedoch weigert, relevante Unterlagen zur Aufklärung herauszugeben.
Heute sitzen Dutzende Beamte wegen dieses Falls im Gefängnis. Von den über 142 Angeklagten sind etwa 60 lokale Polizisten und 17 Militärangehörige. Einige wurden wegen ihrer aktiven Beteiligung am Verschwinden angeklagt, andere aufgrund ihrer mutmaßlichen Zusammenarbeit mit dem organisierten Verbrechen, und einige wenige wegen beider Vorwürfe.
Was tatsächlich mit den 43 geschehen ist, bleibt jedoch weiterhin ungeklärt.
Die deutsche Verbindung
Der Angriff auf die Studierenden erfolgte unter Einsatz von G36-Gewehren der deutschen Rüstungsfirma Heckler & Koch. Die Waffenlieferungen waren illegal von Deutschland nach Guerrero gelangt. Im Jahr 2011 war Heckler & Koch schon wegen Bestechungsvorwürfen untersucht worden, darunter Bargeldzahlungen an mexikanische Beamte, um Waffenlieferungen zu sichern. Auch in Deutschland soll es Korruptionsfälle gegeben haben, so zahlte Heckler & Koch 2010 Parteispenden an FDP und CDU im Zusammenhang mit einem beantragten Waffenexport nach Mexiko. Das Bestechungsverfahren wurde 2017 vorläufig eingestellt. In einem historischen Urteil wurde der Konzern 2019 zu einer Geldstrafe von 3,7 Millionen Euro verurteilt, einer Summe, die unter dem Umsatz aus den illegalen Lieferungen liegt. Trotz des Versprechens der deutschen Bundesregierung im Koalitionsvertrag von 2018, den Export von Kleinwaffen in sogenannte Drittstaaten wie Mexiko grundsätzlich zu stoppen, wurden laut Rüstungsexportbericht auch 2020 und 2021 weitere Rüstungsexporte nach Mexiko genehmigt.
„Castigo a los responsables de la Masacre en Ayotzinapa“ (Bestrafung der Verantwortlichen für das Massaker von Ayotzinapa) © Soligruppe 43
Forderungen und Solidarität
Der Fall legt offen, wie mexikanische Sicherheitskräfte auf verschiedensten Ebenen mit der organisierten Kriminalität zusammenarbeiten und für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind. Heute gibt es mehr als 115.000 Verschwundene in Mexiko. Angesichts dieses Staatsverbrechens werden folgende Forderungen laut:
1. Lückenlose Aufklärung des Falls!
2. Das Militär muss relevante Dokumente zur Verfügung stellen!
3. Stopp deutscher Waffenexporte in Drittstaaten - Heckler & Koch entwaffnen!
4. Solidarität mit den Angehörigen der Verschwundenen!
Ihr seid nicht allein. ¡La lucha sigue! – Der Kampf geht weiter!
Aktionen am 26. September
Für diese Forderungen waren am 26. September zahlreiche Menschen in Aktion. In Mexiko-Stadt etwa gab es eine größere Demonstration, mit der Gerechtigkeit für die verschwundengelassenen Studenten gefordert wurde. Die mexikanischen Konsulate in Deutschland sowie Heckler & Koch erhielten zudem jede Menge E-Mails, in denen zur Übernahme von Verantwortung aufgerufen wurde. Der Text war einer Petition entnommen, die Aufklärung über das gewaltsame Verschwinden der 43 Studierenden aus Ayotzinapa und das Ende der Waffenlieferungen nach Mexiko fordert. Der Appell kann weiterhin unterzeichnet werden: https://netz-der-rebellion.org/2024/09/25/jahrestag-des-gewaltsamen-verschwindens-von-43-studenten-aus-ayotzinapa-mexiko/