Xelîl: Die internationalen Kräfte müssen Garantie übernehmen

Der diplomatische Sprecher von TEV-DEM, Aldar Xelîl, ruft die internationalen Mächte dazu auf, an der Grenze als Garantiemächte gegen türkische Invasionsdrohungen aufzutreten. Im Europarat könne eine Flugverbotszone thematisiert werden.

Aldar Xelîl, diplomatischer Sprecher der radikaldemokratischen Organisation TEV-DEM, bewertete die aktuelle Lage in Nord- und Ostsyrien gegenüber ANF. Er erklärte, dass einige Länder die Einrichtung einer Flugverbotszone in der Region befürworten und diese Frage auch auf die Tagesordnung des Europarats gebracht werden könne. Die internationalen Kräfte könnten als Garantiemächte zwischen Nord- und Ostsyrien und der Türkei auftreten.

Zur Rückzugsentscheidung der USA erklärte Xelîl, die USA seien nie zum Bleiben aufgefordert worden und bestimmten ihren Kurs selbst. Die USA könnten auch nicht ewig in Syrien bleiben. Die Föderation Nord- und Ostsyrien strebe mit dem Regime eine Lösung auf demokratischer Grundlage an und eine solche Lösung könne eine türkische Invasion verhindern. Der türkische Staat versuche in allen Teilen Kurdistans anzugreifen, deshalb sei auch ein umfassender Widerstand notwendig, so der kurdische Politiker.

Wie bewerten Sie die aktuellen Entwicklungen in und um Nord- und Ostsyrien?

Es gibt in Westkurdistan und Nordsyrien eine demokratische Revolution, die ein Beispiel für die ganze Welt darstellen kann. In Westkurdistan hat sich ein Selbstverwaltungssystem gebildet, das autonome Verwaltungen und Räte, Kommunen und lokale Selbstorganisierungen als entscheidenden Maßstab ansieht. Insbesondere im Kampf gegen den IS hat Westkurdistan große Entwicklungen gemacht und gleichzeitig einen beispiellosen Widerstand geleistet. In Rojava findet eine menschliche und demokratische Revolution statt. Deshalb wollen die antidemokratischen Kräfte dieses System treffen. Die Kräfte innerhalb Syriens stehen zueinander im Widerspruch. Sie können keine Einheit bilden und obwohl die Voraussetzungen für ein konstruktives Vorgehen günstig sind, gelingt es bisher nicht. Die Situation hat sich soweit verschlechtert, dass Syrien sich selbst nicht schützen kann.

Die unter dem Namen „Opposition“ auftretenden Kräfte versuchen ganz Syrien unter ihre Kontrolle zu bringen. Aber mittlerweile ist die Situation eine andere. Von diesen Gruppen haben sich manche al-Nusra und der Rest anderen Milizen unter der Kontrolle der Türkei angeschlossen. Die Türkei benutzt diese Gruppen für ihre Interessen. Um sich selbst auf den Beinen halten zu können, hat der türkische Staat diese Milizen gegen das syrische Volk, gegen die syrische Revolution und auch im Bündnis mit dem Iran benutzt. Der IS wurde zerschlagen. Die FSA existiert ebenfalls nicht mehr. Jetzt werden die von der Türkei gestützten Milizen gegen Nord- und Ostsyrien eingesetzt.

Anfang 2018 haben Dschihadisten unter der Kontrolle des türkischen Staates Efrîn angegriffen und besetzt. Jetzt nimmt der türkische Staat Minbic (Manbidsch) und die Gebiete östlich des Euphrat ins Visier. Mit diesen Drohungen sollen die Entwicklungen in Nordsyrien aufgehalten werden. Wir vertrauen der Bevölkerung vollständig, die Menschen werden das von ihnen aufgebaute System verteidigen. Wir werden unsere Arbeit bis zur Befreiung von Efrîn und der Ausbreitung dieses Modells auf der ganzen Welt fortsetzen. Wir haben viele Kräfte kommen und gehen sehen, aber wir werden uns nicht ihrem Willen entsprechend verhalten. Die USA haben erklärt, dass sie sich aus Syrien zurückziehen werden. Klar, sie können sich zurückziehen, eine solche Entscheidung liegt vor, sie machen aber bisher keine sichtbaren Anstalten. Wir bewerten die Lage nach unseren eigenen Maßstäben. Aber natürlich, die USA können nicht für immer in Syrien bleiben.

Haben Sie sich nach der Rückzugsentscheidung aus Syrien mit US-amerikanischen Vertretern getroffen?

Wir treffen uns immer wieder. Aber wir haben ihnen niemals gesagt, dass sie nicht gehen sollten. Denn ob heute oder morgen, sie werden eines Tages gehen. Darum geht es in unseren Gesprächen nicht. Die Errungenschaften, von denen wir gesprochen haben, sollen nicht angegriffen werden. Wir werden die Bevölkerung gegen die Angriffe des türkischen Staates verteidigen. Sie sollen den türkischen Staat behindern. Er plündert und zerstört Syrien und unsere Städte. Das syrische Regime soll ebenfalls unser Selbstverwaltungssystem akzeptieren und die Errungenschaften schützen.

Wie ist die Haltung des Regimes hierzu?

Das Regime akzeptiert niemanden neben sich selbst. Nur die Baath-Partei darf existieren. In Ordnung, sollen sie ihre Baath-Partei haben, soll die Macht in Damaskus liegen, aber sie sollen nicht die Bevölkerung des Landes unterdrücken. Das Regime muss seine Mentalität ändern. Wegen ihr ist Syrien in dieser Situation. Deswegen gibt es seit acht Jahren Krieg in Syrien. Diese Haltung ist falsch. Wir hätten auch ausländische Kräfte dabei unterstützen können, in Syrien eine Lösung zu finden. Wir hätten eine Beobachterrolle spielen können. Das ist nicht geschehen, wir leben das Projekt einer demokratischen Nation mit allen Völkern gemeinsam. Wir werden es auch gemeinsam verteidigen.

Gibt es bisher jemanden, der vermittelt oder der diese Aufgabe übernimmt? Es heißt, Ägypten sei zur Vermittlung bereit…

Es gibt eine Vermittlung und auch Staaten, die diese Aufgabe übernehmen wollen. Allerdings bin ich mir in Bezug auf Ägypten sicher, dass die Presse da etwas falsch verstanden hat. Ägypten hat nicht behauptet, dazu bereit zu sein. Es gab allein die Hoffnung, dass Ägypten diese Rolle übernehmen könnte. Es geht nicht nur um Ägypten, es gibt auch noch Verbindungen zu anderen Ländern. Es wird versucht, das Regime dazu zu bringen, an einer Lösung zu arbeiten. Da es nicht nur um ein Land geht, lassen wir jetzt mal die Namen beiseite. Es gibt etliche Länder, die Einfluss auf Syrien ausüben. Die Beziehungen mit diesen Ländern laufen weiter. Es wäre gut, wenn Syrien einen solchen Prozess auf sich nähme, aber wenn das nicht passiert, werden wir unseren Widerstand fortsetzen. Wir haben niemals behauptet, dass wir uns von Syrien trennen wollen.

Den Schutz von äußeren Kräften zu verlangen, stellt keine Lösung dar. Früher oder später werden wir alle hier in Syrien zusammenleben. Kräfte von außen kommen und gehen. Wir verhalten uns auf dieser Grundlage. Wir haben unsere eigenen Lösungsprojekte. Die Menschen aus Rojava und Nordsyrien, die arabische Jugend und die Suryoye haben sich gemeinsam aus den Händen des IS befreit. Wir werden diese Realität nicht einfach bei Seite lassen. Wir werden diese Zusammenarbeit immer unterstützen. Wir haben in den befreiten Orten Räte gegründet. Wir akzeptieren, dass die Bevölkerung nun sagt, dass sie sich jetzt selbst verwalten kann. Auch wenn unsere Präsenz nicht gewollt wäre, würden wir niemanden ausgrenzen, wir unterstützen sie. Wir werden nichts unterstützen, was in Syrien weiteres Chaos produziert.

Ihre Delegation ist auch nach Russland gereist. Weswegen haben Sie sich mit russischen Vertretern getroffen?

Unsere Delegation ist nicht nur nach Russland, sondern ebenso in viele andere Länder gereist. Manche unserer Delegationen sind noch immer unterwegs, andere sind bereits zurückgekehrt. Auf unserer Tagesordnung steht die Art einer Lösung in Syrien. Wie Sie wissen, hat Russland einen Plan mit der Türkei in Syrien. Gleichzeitig richten sie sich gegen die internationale Koalition und die USA. Russland unterstützt die Türkei massiv. Der beste Ausdruck dieser Situation sind die Angriffe auf Efrîn. Man darf nicht vergessen, all die Staaten agieren ihren eigenen Interessen entsprechend. Dennoch wollen wir bestimmte Dinge bei ihnen auf die Tagesordnung bringen. Wenn wir das schaffen können, dann wird das ziemlich nützlich sein. Auf dieser Grundlage dauern unsere Gespräche mit allen möglichen Kräften an. Wir arbeiten hier in vielerlei Richtung. Wir benutzen unsere eigene Kraft und die Diplomatie. Diese Arbeit wird global durch demokratische Massenaktionen und unsere Bevölkerung unterstützt. Die anderen Länder müssen wissen, dass wir eine Lösung mit dem Regime auf einer demokratischen Grundlage anstreben. Wenn es auf dieser Grundlage eine Lösung gibt, dann verhindert das einen Angriff der Türkei und schützt den mit großer Opferbereitschaft geführten Kampf.

Während der Angriffe auf Efrîn hieß es, Einheiten des Regimes würden nach Efrîn gehen. Nun gibt es die gleichen Erklärungen in Bezug auf Minbic. Kann so ein türkischer Angriff verhindert werden?

Es geht nicht darum, dass eine oder ein paar Gruppen kommen. Wir sagen, kommt und wir setzen uns an einen Tisch, um eine Allianz auf demokratischen Grundsätzen aufzubauen. Ein Bündnis muss Grundsätze haben. Wir haben ein System. An das ist unsere Leitung gebunden. Unser Anliegen ist die Frage, wie wir die Grenzen und die Region sicher machen können. Wenn wir eine auf Prinzipen basierende Allianz schließen, dann wird die Zentralregierung gezwungen sein, ihre Grenzen zu schützen. Wenn das so ist, dann kann der türkische Staat weder den syrischen Staat, noch die autonome Selbstverwaltung angreifen.

Die Sache in Efrîn ist eine andere. Die Kräfte, die damals nach Efrîn gegangen sind, gehörten nicht offiziell zum Regime. Wir können sie als Milizen des syrischen Militärs bezeichnen. Nach Minbic ist keine Kraft des Regimes gekommen. Die Kräfte des Regimes befinden sich in der Region Arima. Sie befinden sich in einem Gebiet zwischen unseren Kräften in der Region und dem türkischen Staat. Also an der Grenze. Diese Grenze wird von russischen Einheiten und Einheiten des Regimes kontrolliert. Sie waren schon vorher in diesen Gebieten. Einige Kräfte hatten von uns gefordert, dass wir unsere Stellungen dort nicht aufbauen. Manche Kräfte sind hierhergekommen und haben ihre Stellungen aufgebaut. Das heißt nicht viel. Das Wesentliche ist eine Bestätigung und Anerkennung der autonomen Selbstverwaltung durch das Regime. Nordsyrien muss sich mit seinen verschiedenen religiösen und ethnischen Identitäten selbst verwalten. Daneben muss es auch Beziehungen mit Damaskus geben. Das wird dann ein Ausdruck dessen sein, wie wir uns verständigen.

Gibt es Schritte von internationalen Mächten in Richtung Verhängung einer Flugverbotszone in Nordsyrien?

Manche Länder wollen das wieder auf die Tagesordnung setzen. Das haben sie zumindest gesagt. Der Europarat kann dies auf die Agenda bringen. Es gibt Verhandlungen und Gespräche über mögliche Art und das Ausmaß einer solchen Zone. Die Ergebnisse dieser Treffen werden ein paar Dinge deutlich machen. Aber es besteht folgendes Risiko: Wenn die Länder des UN-Sicherheitsrats ein Veto einlegen, dann wird diese Entscheidung nicht umgesetzt werden. Mit diesem Thema wird sich ebenfalls, wenn auch am Rande, auseinandergesetzt. Die Weltmächte könnten sich zwischen uns und den türkischen Staat stellen und als Garantiemächte auftreten. Der türkische Staat behauptet immer wieder, Rojava stelle für ihn eine Gefahr dar. Wir haben zur Auflösung dieser Bedenken gesagt, die internationalen Kräfte sollen an die Grenze gehen. Zweitens geht es um die Flugverbotszone. Diese Angelegenheit ist nicht so einfach. Was dabei herauskommt, ist ebenfalls unsicher.

Die Türkei spricht immer wieder von einer Bedrohung. Woher diese Furcht?

Unser Projekt stellt für sie eine Bedrohung dar, denn es handelt sich um ein demokratisches Projekt. Unser Projekt basiert auf der Einheit der Völker und richtet sich gegen den Krieg. Es verschließt den Weg für den IS und al-Nusra und es geht dabei darum, eine Lösung für alle Probleme zu finden. Unser Projekt ist ein freiheitliches Projekt. Deshalb lebt der türkische Staat in permanenter Furcht davor. Was will der türkische Staat? Der türkische Staat will die Völker der Region gegeneinander aufbringen, er will Konflikte zwischen Arabern, Suryoye und Kurden schaffen. Er will ein System der Sklaverei errichten, die Sklaverei der Frau, er will keine Demokratie. Er will nicht, dass sich die Gesellschaft befreit, dass die kurdische Frage gelöst wird, deswegen stellen wir für ihn eine Bedrohung dar.

Was sollte die Rolle Südkurdistans in dieser Phase sein?

Die Menschen in Südkurdistan, die politischen Parteien und vor allem die Regierung müssen das wahre Gesicht des türkischen Staates wahrnehmen und sich entsprechend erklären. Die Bevölkerung darf nicht vergessen, was beim Referendum geschehen ist, wie sich der türkische Staat verhalten hat, wie er die kurdischen Errungenschaften bekämpft hat. Der türkische Staat hat Dscharablus, Bab und Efrîn besetzt, aber ihm reicht es immer noch nicht. Bis jetzt hat die Regierung in Südkurdistan zur Invasion nichts gesagt und auch die Reaktionen aus der Bevölkerung sind nicht ausreichend. Die Bevölkerung Südkurdistans besteht aus friedlichen Helden. Große Anführer sind aus diesem Volk hervorgegangen. Warum schweigen sie jetzt zur Invasion? Wenn sie weiter schweigen, dann wird die Besatzung nicht nur bis Rojava reichen, sondern auch Südkurdistan einschließen. Erdoğan kündigt selbst an den Nationalpakt (Misak-i-Milli) umzusetzen. Der Nationalpakt schließt die Besetzung und Annexion von Kerkûk, Aleppo und Mosul mit ein. Zuerst kommt Rojava, dann Südkurdistan. Die gesamte Bevölkerung von Südkurdistan muss gegen diese Invasion aufstehen.

Was ist Ihr Plan für Efrîn?

Unser Kampf geht sowohl auf der militärischen als auch auf der diplomatischen Ebene weiter. In Efrîn wird die Demografie verändert und die Werte der Menschheit werden vernichtet. In dieser Hinsicht führen wir Gespräche in alle möglichen Richtungen. Wir haben viele Dokumente und Dossiers erstellt und an die verantwortlichen Einrichtungen gesandt. Andererseits lebt die Bevölkerung aus Efrîn in Şehba unter schweren Bedingungen. Sie will nicht von ihren Dörfern und der Stadt ablassen. Die Menschen sind mit Gewalt von ihrem Land vertrieben worden und jetzt sind sie entschlossen, diesen schweren Lebensbedingungen zu widerstehen. Gleichzeitig geht der Widerstand der YPG und YPJ in Efrîn weiter. Die Einheiten der YPG und YPJ leisten heldenhaften Widerstand. Ich grüße sie aus tiefstem Herzen. Der Widerstand wird bis zu Befreiung von Efrîn weitergehen.