„Wir lassen uns weder von Russland noch den USA benutzen“

Der kurdische Politiker Bedran Çiya Kurd spricht im ANF-Interview über die Lage in den besetzten Gebieten in Nordsyrien und die Perspektiven in der Region.

Der stellvertretende Ko-Vorsitzende der Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyriens hat sich im ANF-Interview über die aktuellen Entwicklungen in Nordsyrien und dem Mittleren Osten geäußert. Er hebt die Bedeutung hervor, sich nicht von äußeren Mächten instrumentalisieren zu lassen.

Das Abkommen zu Idlib wird immer noch nicht umgesetzt. Die gemeinsamen Patrouillen werden von bewaffneten Gruppen verhindert. Werden Russland und die Türkei dieses Abkommen Ihrer Meinung nach jemals umsetzen?

Putin und Erdoğan wollen das Abkommen vom 5. März auf jeden Fall umsetzen, nur gibt es ernsthafte Hindernisse, die dem im Weg stehen. Radikale Gruppen wie Jabhat al-Nusra, Hurras al-Din oder die Islamische Partei Turkistan sind gegen dieses Abkommen. Sie wollen das Abkommen zwischen Erdoğan und Russland zerstören. Russland gibt der Türkei die Verantwortung für dieses Abkommen und will, dass die Türkei die Probleme mit diesen Gruppen löst.

Russland besteht vor allem darauf, dass die Straße zwischen Aleppo und Latakia geöffnet ist. Sie werden später verlangen, dass sich die bewaffneten Gruppen von dieser Straße zurückziehen und türkische Kontrollpunkte in der Nähe der Strecke akzeptieren. Eine andere Vorgabe dieses Abkommens, also die gemeinsamen Patrouillen, findet zumindest zum Teil statt. Auf diese Weise wird das Abkommen umgesetzt.

Russland hat damit deutlich gemacht, dass es die Anwesenheit der Türkei in Idlib akzeptiert. Die russische Führung ist sich dessen bewusst, dass Idlib nicht vollständig unter die Kontrolle Russlands oder des Regimes kommen kann. Es wird ein Gebiet unter der Kontrolle der Türkei und der sogenannten Opposition bleiben.

Seit einiger Zeit gibt es Konflikte zwischen der Türkei und den bewaffneten Gruppen. Dahinter steht russischer Druck. Russland will, dass die radikalen Gruppen aus der Region verschwinden. Alle Kräfte haben sich inzwischen darüber geeinigt, dass Jabhat al-Nusra und mit ihr verbundene Milizen aufgelöst werden sollen. Alles dreht sich im Moment um dieses Problem. Das überträgt der Türkei die Verantwortung, zwischen „moderaten“ und „radikalen“ Gruppen zu trennen. Die Türkei versucht dies im Moment umzusetzen.

In welchem Sinne?

Die Türkei plant die Bildung einer neuen Gruppe unter einem anderen Namen. Wir sind uns sicher, dass so wie in Dscharablus und al-Bab Gruppen, die aus IS- und Al-Nusra-Mitgliedern bestehen, in der ganzen Region eingesetzt werden. Sie haben nur die ehemaligen „Radikalen“ mit dem Prädikat „moderat“ versehen und ihnen einen Platz in der Syrischen Nationalarmee (SNA) gegeben. Die Türkei will nun eine neue Abteilung in Idlib bilden. So wie sie in anderen Regionen Jabhat al-Nusra unter dem Banner der SNA reorganisiert haben, will sie es nun auch in Idlib machen. Durch diese „Auflösung“ der Gruppe soll Russland zufrieden gestellt werden.

Unserer Meinung nach können so die Probleme in Idlib nicht gelöst werden. Im Gegenteil, die Präsenz der Terrorgruppen besteht auf diese Weise fort. Solange der türkische Staat seine Mentalität nicht ändert, wird der Terror nicht enden.

Es heißt, dass bewaffnete Gruppen aus Idlib nach Libyen und in andere Regionen entsandt werden. Welches Ausmaß hat das Ihrer Kenntnis nach und was sind die Konsequenzen?

Die Türkei befürchtet, dass sie aufgrund des Abkommens mit Russland die bewaffneten Gruppen mit Gewalt zwingen muss, sich aus der Umgebung der Schnellstraße M4 zurückzuziehen. Das ist ein großes Problem für die Türkei. Denn innerhalb dieser Gruppen gibt es unterschiedliche Ansichten. Einige sind gegen das Abkommen, während andere Gruppen die Türkei unterstützen. Die Türkei versucht, diese Gruppen auf unterschiedliche Weise zu beruhigen.

Es gibt Gespräche zwischen der Türkei und Russland, in denen es um die Entfernung der Gruppen und ihre Entsendung nach Libyen oder in den Jemen geht. Mehr als 8.000 Personen wurden bisher nach Libyen geschickt. Einige werden auch in den Jemen und in die besetzten Gebiete östlich des Euphrat nach Girê Spî und Serêkaniyê sowie nach Efrîn geschickt. Ich glaube nicht, dass die Spannungen zwischen der Türkei und den bewaffneten Gruppen weiter zunehmen werden.

Warum?

Sie haben im Grundsatz die gleiche Einstellung. Und diese militärischen Gruppen werden vom türkischen Staat politisch, militärisch und ökonomisch gestützt. Sie kämen ohne den türkischen Staat in eine wirklich üble Lage, ihnen würde die Vernichtung drohen. Sie sind ja bereits umzingelt. Nur die Tür der Türkei steht ihnen offen. Daher wird die Türkei Druck machen und für einige Zugeständnisse im Rahmen des Abkommens mit Russland sorgen. Wir glauben, dass der türkische Staat diese Situation mit den üblichen Methoden lösen wird.

Es mag einige Gruppen geben, die sich gegen den türkischen Staat und das Abkommen mit Russland stellen, und diese werden ihre Aktionen fortsetzen. So ist das immer innerhalb bewaffneter Gruppen. Sie können sich zu antitürkischen Gruppen erklären und entsprechende Aktionen durchführen. Sie können sogar damit beginnen, sich innerhalb der Türkei zu organisieren.

Der US-Sonderbeauftragte für Syrien, James Jeffrey, hat Idlib als „Hochburg der Opposition“ bezeichnet. Wie stehen die USA, Israel und die arabischen Regionalmächte zu Idlib?

Alle, insbesondere Unterstützer der „Opposition“, auch Staaten wie Saudi-Arabien, Ägypten und Jordanien, akzeptieren die Vorstellung, dass es „moderate Oppositionelle" gibt, die später einem Abkommen mit dem Regime zustimmen werden. Die USA und die europäischen Staaten akzeptieren eine von der „Opposition“ kontrollierte Zone, um das Regime unter Druck zu setzen. Sie wollen mit Bashar al-Assad übereinkommen und die Zukunft Syriens kontrollieren. Das ist der Grund, warum Russland und das Regime bisher nicht in der Lage waren, ganz Idlib unter Kontrolle zu bringen.

Die NATO und die USA wollten, dass Idlib unter der Kontrolle der Türkei und der „Opposition“ bleibt. Jeder weiß, dass wenn Idlib unter die Kontrolle des Baath-Regimes gerät, das Regime niemals Verhandlungen akzeptieren wird. Das Regime braucht dann keinen Dialogprozess mehr. Es weiß dann, dass es alles militärisch lösen kann.

Die arabischen Länder haben sich bisher stets besorgt über die Syrien-Krise geäußert. Für sie ist die Einheit Syriens wichtig. Sie wollen ein Regime, das nicht unter iranischem Einfluss steht. Sie wollen den Einfluss der Türkei auf die Zukunft Syriens nicht. Jedes arabische Land will ein Regime abseits dieser politischen Einflüsse. Sie wollen ein ungeteiltes und auf einem gemeinsamen Einverständnis beruhendes Syrien.

Woher kommt die Abschwächung der russischen Forderungen gegenüber der Türkei, so dass nun eine „moderate Opposition“ in Idlib hingenommen wird?

Seit 2015 hat Russland viel Geld und Mühe, vor allem auf militärischer und wirtschaftlicher Ebene, in Syrien investiert. Es versteht sich, dass Russland nicht mehr über ausreichende wirtschaftliche und militärische Mittel verfügt, um für lange Zeit auf militärischer Ebene so weiterzumachen. Denn auch die wirtschaftliche Lage Russlands ist nicht gut. Der Konflikt mit Saudi-Arabien um die Ölfrage bereitet Russland Probleme. Russland meinte, dass die Probleme in Syrien in kurzer Zeit militärisch gelöst werden könnten, aber der Konflikt zieht sich hin.

Vor allem, als die USA und die NATO die Türkei in Idlib unterstützten, stellte dies ein großes Problem für Russland dar. Russland ist dort jetzt militärisch keinen Schritt weitergekommen. Es stellt sich heraus, dass Russland an diesem Punkt stoppte. Russland hat verstanden, dass es nicht alles mit militärischen Mitteln lösen kann. Es stellte sich heraus, dass es eine Allianz zwischen Russland und den USA gab, der auch die Türkei und Israel angehören. Sie haben sich darauf verständigt, dass der Iran neutralisiert werden muss und Bashar al-Assad in Zukunft nicht an der Macht bleiben soll. Diese Abkommen sind nicht einseitig. Die USA, die Türkei und Israel haben Russland mit Sicherheit einige Zugeständnisse gemacht und damit dafür gesorgt, dass Russland sich von seinen strategischen Partnern Iran und Assad entfernt.

Tatsächlich sagte James Jeffrey vor ein paar Jahren: „Jeder sollte sich aus Syrien zurückziehen. Niemand sollte dortbleiben, auch nicht die Türkei und die USA. Aber Russland kann bleiben.“ Das ist eine interessante Situation. Russland wurden also Zugeständnisse gemacht. Die Position der USA gegenüber Russland hat sich in mancherlei Hinsicht aufgeweicht.

Sie sprechen von Abkommen zwischen Russland und den USA, aber in den selbstverwalteten Gebieten in Nordostsyrien kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen den beiden Mächten. Woran liegt das?

Ich glaube nicht, dass sich die Spannungen zwischen den beiden Weltmächten in einen militärischen Konflikt verwandeln werden. Beide Kräfte haben sich in Syrien geeinigt, insbesondere hinsichtlich der Gebiete östlich des Euphrat. Es gibt eine Allianz zwischen ihnen, und jeder weiß, dass Russland schon lange für die Gebiete westlich des Euphrat und die USA für die Gebiete im Osten des Euphrat verantwortlich sind. Das wurde von beiden deutlich gesagt. Ein weiterer Punkt ist das Bestehen eines gemeinsamen Mechanismus zwischen beiden Seiten, der zur Lösung praktischer Konflikte dienen soll. Tatsächlich war die Invasion von Serêkaniyê zwischen den drei Parteien, also Russland, Türkei und den USA, abgestimmt worden. Sie haben besprochen, wie man die Region aufteilen würde, wer welche Rolle dort spielen wird und wo welche Kräfte stationiert werden sollen. Aber nach dem Krieg um Serêkaniyê wollte Russland seine Präsenz in der Region ausbauen. Russland wollte, dass sich die USA jeden Tag weiter zurückziehen, und besetzte die frei gewordenen Stellungen der USA. Putin hatte seine Streitkräfte persönlich angewiesen, das kontrollierte Gebiet zu erweitern. Manchmal wollten russische Truppen in Stellungen vorrücken, an denen US- und Koalitionstruppen stationiert waren. Aufgrund der Spannungen dachten die USA nochmals über ihre Präsenz in der Region nach. Sie entschieden, den Vormarsch Russlands zu stoppen, um die eigene Position zu stärken. Daher treten immer wieder diese Probleme in der Region auf.

Russland versucht, einen antiamerikanischen Einfluss auf die Menschen in der Region, die arabischen Stämme und politischen Parteien auszuüben. Diese Politik betreiben Russland, Iran und das Regime gemeinsam. Auf diese Weise sollen die USA durch sozialen Druck aus der Region gedrängt werden. Das entspricht dem, was im Moment im Irak passiert.

Als Autonomieverwaltung ist für uns vor allem die Sicherheit und Stabilität der Region wichtig. Wir sagen allen kurdischen, arabischen, assyrischen Stämmen und allen politischen Parteien: „Niemand sollte sich in diese Widersprüche zwischen diesen beiden Kräften verwickeln lassen.“

Die Großmächte verfolgen eigene Interessen. Für uns ist es wichtig, die Stabilität und Sicherheit der Region zu wahren. Wir müssen unsere derzeitigen Errungenschaften schützen. Wir wollen unsere Probleme mit Damaskus durch einen Dialog und auf politischem Weg lösen. Wir sind bei den Widersprüchen zwischen Russland und den USA oder dem Iran und den USA oder irgendwelchen anderen Ländern unparteiisch. Wir haben kein Interesse daran. Wir werden die Probleme zwischen uns und Damaskus mit politischen Mitteln lösen. Jeder sollte das unterstützen. Die Autonomieverwaltung und die QSD müssen unterstützt werden. So können wir unsere Probleme lösen und die Zukunft der Region sichern.

Was hat der türkische Staat mit der Verlegung von Dschihadisten aus Idlib in die besetzten Gebiete Efrîn, Serêkaniyê und Girê Spî vor?

Diese Truppenverlegung findet dem Plan zu Folge vor allem in den kurdischen Regionen statt. Diese Gebiete sollen von Kurden gesäubert werden, die Demografie soll verändert werden. Auf internationaler Ebene gibt es keinen Widerspruch dagegen. Im Gegenteil, diese Politik wird unterstützt. Die Menschenrechtsverletzungen in Efrîn, Serêkaniyê und Girê Spî haben in den vergangenen zwei Monaten neue Höhepunkte erreicht. Es wird ein Völkermordplan umgesetzt. Es gibt keinen Tag ohne Entführungen, Morde, Vergewaltigungen und Diebstähle. Es gibt keinen Tag, an dem keine historischen Stätten geplündert werden. Im letzten Monat wurden mehr als 6.000 Olivenbäume gefällt. Mehr als zehn Personen wurden gezielt ermordet. Sie wurden auf unaussprechbar brutale Weise umgebracht. Es gab Vergewaltigungen. Hunderte Menschen wurden in der letzten Zeit verschleppt und ihr Schicksal ist unbekannt. Tatsächlich sollen Jugendliche unter Druck gesetzt und nach Libyen geschickt worden sein. In Efrîn geschehen die meisten dieser Menschenrechtsverletzungen.

All dies erzeugt weltweit keine ernsthaften Reaktionen. Es herrscht Stillschweigen gegenüber diesen Verbrechen. Das führt dazu, dass der Terrorismus allmählich wächst. Wir betrachten Russland und die USA als direkt dafür verantwortlich. Für Efrîn ist Russland verantwortlich. Efrîn wurde aufgrund eines Abkommens zwischen Russland und der Türkei besetzt. Die USA sind für die Geschehnisse in Serêkaniyê und Girê Spî direkt verantwortlich. Als Folge der Abkommen der USA mit der Türkei wurde diese Region besetzt. Es muss eine internationale Untersuchung eingeleitet werden.

Es gab diese Explosion am 28. April in Efrîn…

Das war ein echtes Massaker. Bei dem Anschlag ging es darum, die Menschen zu vertreiben. Es ging darum, die verbliebenen Kurden zum Verlassen der Region zu zwingen und Furcht unter den Völkern zu säen. Der türkische Staat will, dass kein einziger Kurde mehr bleibt. Aus dem, was der türkische Staat hier in der Region macht, wird deutlich, dass Serêkaniyê und Girê Spî zum Organisationszentrum dschihadistischer und terroristischer Gruppen gemacht werden sollen. Dort werden Camps errichtet und dort werden Dschihadisten aus aller Welt ausgebildet und vorbereitet. Die Türkei will einen Ort wie Afghanistan für al-Qaida schaffen. Al-Qaida hat sich in Afghanistan organisiert und auf der ganzen Welt ausgebreitet, und die Türkei will das Gleiche in dieser Region tun. Sie will die Gruppen, die sie dort ausbildet, in die Gebiete östlich des Euphrat, nach Libyen, Jemen und sogar nach Europa schicken. Diese Gruppen sind Mittel der türkischen Politik. Sie bedrohen die Länder der Welt. Die Türkei zielt darauf ab, diese Länder durch Erpressung zu beeinflussen und so ihre Interessen durchzusetzen.

Der türkische Staat macht die YPG für den Anschlag in Efrîn verantwortlich. Wer steht Ihrer Meinung nach dahinter?

Wenn wir uns an die Zeit erinnern, als die Türkei in Efrîn einmarschierte, hieß es damals von Seiten der Türkei: „Von Efrîn gehen Terroraktionen gegen uns aus.“ Es wurde ein Vorwand für die Invasion geschaffen. Hatay und Islahiye wurden mit Raketen angegriffen. Danach hieß es: „Die PKK ist dort, die Terroristen sind da. Deshalb müssen wir unsere Grenze sichern." Jetzt wird das gleiche Szenario für Tel Rifat konstruiert. Der türkische Staat sagt: „Der Anschlag wurde in Tel Rifat vorbereitet.“ Das soll dann der Vorwand dafür sein, Tel Rifat und Umgebung zu besetzen.

Hat es Ihrer Meinung nach am 5. März inoffiziell ein Abkommen zu einem Angriff auf Nordostsyrien gegeben?

Tel Rifat, Kobanê oder Cizîrê, die Invasion in Regionen wie diesen, befinden sich ständig auf der Tagesordnung der Türkei. Die Politik des türkischen Staats dreht sich darum, unsere Errungenschaften und das kurdische Volk zu vernichten. Es wird permanent versucht, dafür eine Grundlage zu schaffen. Der türkische Staat agiert zusammen mit seinen Verbündeten. Er will grünes Licht von allen relevanten Staaten bekommen, vor allem von den USA und Russland. Deshalb sagen wir, dass der türkische Staat keine Stunde zögern wird, sobald er grünes Licht von den USA und Russland bekommen hat. Er sucht immer nach Allianzen. Er macht Deals, um in bestimmten Punkten eine Verständigung zu erreichen. In diesem Rahmen haben auch die USA und Russland gewisse Interessen in der Türkei, die sie durch entsprechende Deals zu erreichen versuchen. Diese Verhandlungen finden praktisch ohne Pause statt. Wir sind deswegen in ständiger Sorge. Jederzeit ist ein Angriff auf dieses Land möglich. Wir tun alles in unserer Macht Stehende, um diese Angriffe durch politische Verhandlungen mit Russland und den USA zu verhindern. In diesem Kontext entwickelt sich unser politischer, diplomatischer und organisatorischer Kampf.

Wie ist die Haltung Russlands gegenüber den Autonomiegebieten?

Russland will den Nordosten Syriens an das syrische Regime zu binden. Trotz der Eigenständigkeit dieser Region mit ihrer Autonomieverwaltung, den QSD und eigenen Sicherheitskräften versucht Russland, die Region vom Regime abhängig zu machen. Russland will das Autonomiegebiet für die syrische Armee und alle hier bestehenden Institutionen für das Regime öffnen. Das Regime und die eigenen Kräfte sollen hier etabliert werden, so wie in Dara und Homs. Unserer Meinung nach war das russische Projekt der „Nationalen Verständigung“ in Homs erfolglos. In dieser Region kommt es praktisch täglich zu Krisen, Entführungen und Morden. Es gibt keine Stabilität. Das zeigt, dass dieses Modell keine Lösung darstellt.

Die Merkmale von Homs und Dara unterscheiden sich ganz deutlich von denen Nordostsyriens. Nordostsyrien hat seine eigenen politischen, gesellschaftlichen und ethnischen Besonderheiten. Diese Besonderheit muss anerkannt und verteidigt werden, damit in der Region Stabilität herrschen kann. Wenn das Regime auf seinem alten Denken beharrt, wenn es mit all seinen Institutionen zurückkehren will, wenn die Besonderheit der Region nicht anerkannt wird, wird es niemals Stabilität oder eine Lösung geben. Deshalb verfolgt Russland einen solchen Ansatz. Unsere Position in dieser Frage ist klar. Wir sind immer bereit für eine Lösung und einen Dialog. Wir wollten immer einen ernsthaften und echten Dialog. Objektiv betrachtet gibt es weder von Russland noch vom Regime eine Annäherung an eine Lösung. Deshalb gibt es keinen Dialog. Unserer Meinung nach sollte Russland in dieser Frage große Anstrengungen unternehmen, die Fakten akzeptieren und entsprechend handeln. Auf diese Weise kann Russland einen Dialog zwischen der Autonomieverwaltung und Damaskus schaffen.

Syrien besteht derzeit aus drei Regionen: Die Region, die zu Russland, dem Iran und dem syrischen Regime gehört, die von der Türkei und der „Opposition“ in Idlib kontrollierte Region und die Region Nordostsyrien, die von der Autonomieverwaltung und stellenweise von der Koalition kontrolliert wird. Es gibt zwei für Russland besonders problematische Gebiete. Eines ist Idlib, das andere ist Nordostsyrien. Idlib ist allerdings problematischer. Russland versucht eine Lösung im Einklang mit dem Abkommen mit der Türkei zu finden. Der politische Prozess soll später als Teil des Sotschi-Abkommens geführt werden. Dementsprechend wurde auch das Verfassungskomitee eingesetzt. Russland versucht nun, einen politischen Prozess unter dem eigenen Einfluss einzuleiten. Es ist bekannt, dass insbesondere dieses Verfassungskomitee als Ergebnis der Sotschi-Gespräche gebildet wurde und unter der Kontrolle Russlands tagte. Nach einer Weile wurde es eingestellt.

Warum wurde das Verfassungskomitee eingestellt?

Russland sieht Bashar al-Assad als direkt verantwortlich für das Scheitern des Verfassungskomitees. Russland erklärte: „Assad ist nicht dialogbereit.“ Deswegen hat sich Russland von Assad entfernt. Russland ist zu einem politischen Prozess ohne Bashar al-Assad bereit. Die Bemühungen, Nordostsyrien dem Gebiet des Regimes hinzuzufügen, wurden mit unserer Haltung konfrontiert. Wir akzeptieren das nicht so, wie Russland es will. Es funktioniert nicht und es entwickelt sich nicht. In Bezug auf Nordsyrien ist nicht klar, was Russland denkt und tun wird. Wird es darauf warten, bis die USA und die Koalition aus der Region abziehen? Wird es uns wie üblich mit der Türkei bedrohen? Die russischen Machthaber sagen: „Wenn ihr eure Türen dem Regime nicht öffnet, wird die Türkei angreifen.“ Diese Politik führt zu keiner Lösung. Wenn Russland uns immer wieder mit der Türkei erpressen und bedrohen will, dann kann Russland kein Garant für eine politische Lösung mehr sein.

Dann bedeutet es, dass Russland den türkischen Einmarsch in weiteren Gebieten in Syrien vorzieht. Wir denken immer wieder über diesen Punkt nach, und wir glauben und hoffen, dass Russland nicht zu einer solchen Politik greift. Man kann niemals eine Kraft mit einer anderen Kraft bedrohen. Stattdessen muss Russland die Realität Syriens und der Bevölkerung betrachten und fragen, wie eine echte Lösung möglich sein kann. Das muss mit allen Konfliktparteien in Syrien geschehen, aber nicht durch einen Einmarsch der Türkei in Syrien. Wir haben immer betont: „Wir sind ein wichtiger Teil der politischen Lösung. Ohne uns wird es keine Lösung geben.“ Wir hoffen, dass Russland dabei seine Rolle spielt. Wir sagen den Russen immer: „Wir sind bereit, uns über eure Vermittlung am Dialogprozess zu beteiligen.“