Turkmene aus Minbic: Die Türkei soll uns fernbleiben!

Der Turkmene Selahaddin Mustafa aus Minbic erklärt: „Die Türkei soll uns in Ruhe lassen. Wenn sie uns liebt, dann soll sie uns fernbleiben. Wir leben hier sehr zufrieden.“

Der syrische Turkmene Selahaddin Mustafa stammt aus der Gemeinde Çobanbey (Rai) bei Bab in der Region Şehba. Sein Sohn Botan Türkmen war als Kommandant des Bataillons Siwar Minbic Teil der Befreiungsoffensive von Minbic und ist im Kampf gegen den IS gefallen. Direkt nach dem Tod seines Sohnes floh er aufgrund der Unterdrückung durch den IS gemeinsam mit seiner Familie nach Minbic, wo er mit Verwandten seit anderthalb Jahren zusammenlebt. Er berichtet gegenüber ANF über die Dinge, die er durch die Türkei und den IS in Bab erleben musste und nimmt zu den Drohungen Erdoğans gegenüber Minbic Stellung.

Selahaddin Mustafa betont, der türkische Staat habe den IS bei der Besetzung von Minbic unterstützt: „Warum sind sie damals nicht gekommen, um den IS zu vertreiben, und werfen jetzt ein Auge auf die Region? Jetzt leben wir alle, egal ob Kurden, Araber oder Turkmenen, zusammen. Wir teilen jeden Bissen. Jetzt kommt er und will es machen wie in Efrîn, wo er an Stelle der Bevölkerung von Efrîn Menschen aus Damaskus geholt und angesiedelt hat. Wen wird er, nachdem er uns vertrieben hat, hier ansiedeln? Wir wollen das nicht. Wir leben hier in Frieden. Wir haben keinen Bedarf.“

„Warum hat die Türkei nichts gemacht als der IS hier war?“

Selahaddin Mustafa erklärt zu seiner Flucht aus Bab: „Wir sind von Bab nach Minbic geflohen, denn die IS-Banden haben uns unter massiven Druck gesetzt. Sie haben unsere Häuser eingerissen, zu Ruinen gemacht. Sie haben Minen gelegt und unser Haus gesprengt. Wir haben dann draußen gelebt. Aber dann kam der Winter und wir hatten keine Bleibe. Deswegen waren wir gezwungen, nach Minbic zu gehen. In Minbic habe ich Verwandte und ein Haus. Nachdem wir nach Minbic gegangen waren, kam die Türkei und hat auf unseren Bergen und Feldern Militärbasen errichtet. Uns geht es in Minbic gut, denn hier wird niemand unterdrückt. Und jetzt sagt der türkische Staat, er will hierherkommen. Er will uns einschüchtern. Der IS hat das Gebiet hier drei Jahre besetzt gehalten. Warum ist die türkische Regierung nicht damals nach Minbic gekommen, will aber jetzt kommen?“

„Den IS gibt es bis heute nur wegen der Türkei“

Selahaddin Mustafa erzählt über den Tod seines Sohnes, der im Kampf gegen den IS gefallen ist: „Nach dem Abschluss der Offensive auf Minbic ist seine Einheit aus eigenem Antrieb etwa 15 Kilometer in den Westen von Minbic vorgerückt. Hier hat die Türkei sie aufgehalten. Was da zwischen den Regierungen abgelaufen ist, weiß ich nicht, sie haben auf jeden Fall gestoppt. Dann hat der IS ein mit Sprengstoff beladenes Auto geschickt. Es detonierte zwischen den Häusern. Drei bis vier Personen sind gefallen. Hätte es die Unterstützung der Türkei nicht gegeben, wäre es mit dem IS und dem Krieg in Syrien längst vorbei. Die Kriegstreiber, welche die Völker Syriens bis heute so quälen, kommen alle über die Türkei. Die Türkei soll sich aus Syrien heraushalten. Wir als Völker Syriens können uns selbst untereinander verständigen.“

„Die Türkei brachte Banden mit Bussen und Waffen auf Lastwagen“

Selahaddin Mustafa war selbst Zeuge der permanenten Unterstützung des IS durch den türkischen Staat in Bab: „Als der IS Bab beherrschte, gingen alle in der Türkei ein und aus. Die IS-Mitglieder wurden mit Bussen zur Grenze gebracht. Die türkischen Verantwortlichen brachten sie nach Çobanbey und gingen dann wieder zurück. Wir haben das alles gesehen. An der Grenze hatten wir Freunde und Verwandte. Sie gingen in die Türkei einkaufen und betrieben Schmuggel. An einem Tag wurde der Schmuggel gestoppt. Warum? Weil an diesem Tag der IS die Grenze benutzte. Es gab einen Tag, der dem IS reserviert war. Die Türkei öffnete die Grenze und sie konnten kommen und gehen, wie sie wollten. Manchmal kamen 40 bis 45 Busse auf einmal. Zwei oder drei Personen kann man vielleicht mal übersehen, aber Busse, die über die Grenze fahren? Mit Lastwagen wurden ihnen Waffen gebracht. Waren diese Lastwagen unsichtbar?“

„Kampf gegen den IS nur ein Vorwand für Angriffe gegen die QSD“

Der angebliche „Kampf gegen den IS“ durch den türkischen Staat ist nach Mustafas Meinung ein reines Schauspiel: „Sie gingen in der Türkei ein und aus. Die Türkei hat die IS-Mitglieder mit Ehrfurcht behandelt, warum weiß ich nicht. Schließlich hatten sie in Çobanbey angeblich drei Monate gegeneinander gekämpft. Nachdem Minbic von den QSD befreit worden war, rückte der türkische Staat in Çobanbey gemeinsam mit der ‚FSA‘ vor. Die ‚FSA‘ marschierte in Çobanbey ein und der IS floh. Am Abend kam dann wieder der IS. Die FSA ließ alle Waffen dem IS zurück und floh. Sie haben nicht kämpft, sie haben dem IS Munition gebracht. Nur an erfundenen Orten haben sie sich beschossen. Die Einnahme von Çobanbey dauerte drei Monate, aber es war eigentlich die ganze Zeit ein Rein und Raus. Sie gehen rein, lassen die Waffen dort und ziehen sich am Abend wieder zurück. Also eigentlich gab es da nichts gegen den IS. Aber wenn die QSD hier etwas befreiten, haben sie mobil gemacht. Sie nennen die QSD ‚Kurden‘, aber das stimmt nicht. Es sind Araber, Turkmenen, Tscherkessen und Suryoye in den QSD organisiert.“

„Wenn uns die Türkei liebt, dann soll sie wegbleiben“

Mustafa fragt, was die Türkei in Minbic zu suchen habe: „Wir leben hier geschwisterlich und machen alles gemeinsam. Als Araber, Turkmenen, Kurden leben wir wunderbar zusammen. Die Kurden diskriminieren niemanden. Die meisten Aufgaben haben hier Araber. Der Vorsitzende unseres Rates ist ebenfalls Araber. Auf drei Kurden kommen hier 15 Araber. Auf drei kurdische Kämpfer kommen 15 arabische. Es gibt auch Turkmenen, Tscherkessen und eine armenische Familie. Wir leben hier in Ruhe. Wenn uns die Türkei liebt, dann soll sie wegbleiben. Wir sind hier sehr zufrieden.

Wenn es nach der Türkei geht, dann marschiert sie bis Dêra Zor. Sie hatten die Region als Kolonie 450 Jahre beherrscht. Sie wollen in diese Zeit zurück. Aber wir wollen das nicht. Sie betrügen auch die jungen Turkmenen, indem sie behaupten, an ihrer Seite zu stehen.“

Die verlogene Liebe der Türkei zu den Turkmenen

Zur angeblichen Liebe der Türkei zu den Turkmenen meint Mustafa: „Die Liebe der Türkei zu den Turkmenen fügt den Turkmenen Schaden zu. Was haben sie denn bis jetzt für uns getan? Für die Turkmenen sind sie in keiner Weise von Nutzen. Sie haben selbst die Turkmenen aus ihrem Land geworfen. Die Osmanen haben gesagt, wir seien Aleviten, und haben uns aus der Türkei geworfen. Dann waren die Armenier dran. Jetzt wollen sie das Gleiche mit den Kurden machen und die Araber kommen auch noch dran.“

„Ich appelliere an die Welt, haltet die Türkei von uns fern“

Mustafa beendet das Gespräch mit den Worten: „Ich möchte, dass es die Welt erfährt. Wenn es auf der Welt Menschlichkeit und Demokratie gibt, dann soll die Türkei von uns ferngehalten werden. Diese Nachricht richtet sich an die ganze Welt, die Vereinten Nationen und alle. Wenn es wirklich Dinge gibt, die ihnen etwas bedeuten, dann sollen sie uns vor der Türkei retten. Selbst wenn wir hier hungern, leben wir in Frieden. Wir haben alles, uns geht es gut. Es reicht, wenn die Türkei uns fernbleibt.“