Akademien als Motor der Revolution in Rojava

Die Revolution von Rojava ist auch eine Revolution der Bildung. Trotz permanenter Angriffe geht die radikaldemokratische Bildungsarbeit weiter.

Die Revolution von Rojava gilt als eine Revolution der Mentalität. Eine beispiellose radikaldemokratische Selbstverwaltung befindet sich in Rojava im permanenten Aufbauprozess. Menschen, die vom staatlichen Denken unselbstständig gemacht wurden, werden durch Bildung und Organisierung ermächtigt, ihr Leben den eigenen Bedürfnissen entsprechend zu organisieren. Gleichzeitig wird das Paradigma der Frauenbefreiung durch Bildung und Empowerment gestärkt. Antrieb für diese Bildung sind die Akademien, die weniger physische Räumlichkeiten darstellen, als vielmehr kollektive gemeinsame Prozesse, die in Zeiträumen miteinander durchlebt werden. Die Akademien sind Orte, an denen Menschen zu Multiplikator:innen werden. Wissen, das sie erfahren, und Veränderungen, die sie sich zu eigen machen, schlagen sich anschließend direkt in der Praxis in den Räten, Kommunen und Familien nieder.

Akademien waren erster Schritt nach Beginn der Revolution

Die erste Akademie in Rojava war die Akademiya Dr. Nûrî Dersimî in Rîmelan. Sie wurde direkt nach dem Beginn der Revolution am 19. Juli 2012 gegründet. In ganz Nord- und Ostsyrien wurden 13 Frauenakademien eröffnet. Acht davon sind Akademien des Frauendachverbandes Kongra Star, die als „Star“ bekannt sind. „Star“ erinnert an den Namen der alten Göttin des Krieges und der Liebe, der Göttin Ischtar, von deren Namen sich auch das englische Wort für Stern („Star“) ableitet. Außerdem gibt es zwei Akademien, die der Bewegung für eine demokratische Gesellschaft (TEV-DEM) angeschlossen sind: die Akademie Şehîd Rojbîn Ereb in Til Hemîs und die Akademie Şehîd Zîlan Ereb in Minbic. Darüber hinaus wurden Akademien für die Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) und die Akademie Şehîd Hîra für die Frauen der Kräfte der inneren Sicherheit eingerichtet.

Das staatlich-patriarchale Bewusstsein soll bekämpft werden

In den Akademien stehen das Empowerment, die Auseinandersetzung mit Mentalitätsgeschichte und die Veränderung der staatlich-patriarchalen Mentalität im Mittelpunkt. Dabei setzen sich Menschen mit ganz unterschiedlichem Bildungshintergrund mit Menschheitsfragen wie der Entstehung von Macht und Herrschaft, dem Leben im Neolithikum, der Rolle der monotheistischen Religionen, dem Aufbau einer demokratischen Gesellschaft, den hierarchischen Staatsmodellen, dem Sozialismus und Kapitalismus, aber auch ganz konkreten Themen wie der Möglichkeit von freien Beziehungen sowie Kultur und Moral auseinander. Der Krieg, den die kapitalistische Moderne gegen den Aufbau einer Alternative führt, spielt ebenfalls eine wichtige Rolle; so wird auch Selbstverteidigung unterrichtet und sich mit dem Kampf gegen psychologische Kriegführung auseinandergesetzt. Die Menschen werden in den Bildungsangeboten in die Lage versetzt, sich selbst und die eigene Position in der Geschichte zu verorten und Antworten auf die Frage, „Wie will ich leben?“ zu finden.

Akademien sind offen für alle

Die Akademien stehen für alle offen, die an Bildungsprogrammen teilnehmen wollen. Diese Angebote dauern zwischen 15 und 45 Tagen. Zwischen 2021 und 2022 haben 403 Frauen an 25 geschlossenen Bildungsprogrammen teilgenommen. An 94 offenen Angeboten nahmen in dem Zeitraum 830 Frauen teil. Neben Empowerment von Frauen spielt insbesondere auch die Auseinandersetzung von Männern mit ihrem eigenen Sexismus eine wichtige Rolle. An vier geschlossenen Bildungen nahmen 76 Männer teil, an neun offenen Programmen 149 Männer. Gleichzeitig fanden 21 offene gemischte Bildungsprogramme statt, an denen 531 Männer und Frauen teilnahmen. Der Unterricht wird von geschulten Vertreter:innen von Kongra Star oder TEV-DEM gestaltet.

Eine ideologische Revolution

Bêrîvan Yûnis, Sprecherin des Bildungskomitees von Kongra Star

Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur ANHA erklärt Bêrîvan Yûnis, Sprecherin des Bildungskomitees von Kongra Star: „Bildung wird die gesellschaftliche Mentalität verändern und die Probleme lösen, die in den Gesellschaften seit Jahrtausenden auf Klassenbasis entstanden sind. Unsere Revolution ist eine ideologische Revolution. Seit dem Beginn der Revolution in Rojava, Nord- und Ostsyrien, wollen wir Persönlichkeiten auf der Grundlage der demokratischen Nation aufbauen. Das Gleiche gilt für die Institutionen der demokratischen Selbstverwaltung, der Inhalt und das Wesen müssen dasselbe sein.“

Die Herrschaftsmentalität in sich selbst bekämpfen

Das Modell der demokratischen Nation basiert auf der kleinsten Selbstverwaltungseinheit, der Kommune. Sie stellt in dem Modell als Basisrat das entscheidendste Gremium dar, in dem die Menschen ihr Leben in einem bestimmten Gebiet in allen Bereichen selbst organisieren. Vom Prinzip her nimmt im Modell des demokratischen Konföderalismus daher die Macht ab, je größer der Verwaltungsbereich der Räte wird, und die koordinierende Funktion wird stärker. Damit fällt den Kommunen als Kerneinheiten eine besondere Verantwortung zu. Die Rolle und Verantwortung der Kommunen den Menschen verständlich zu machen, war jedoch nicht immer einfach, sagt Yûnis: „Um dies verständlich zu machen, war viel Arbeit und Mühe erforderlich. Da die herrschende Mentalität tief in der Gesellschaft verankert ist, haben wir mit der Verbreitung demokratischer Ideen auf der Grundlage des Apoismus begonnen.“

Diese Mentalitätsrevolution betrifft insbesondere Frauen, betont Yûnis: „Wir haben versucht, die Perspektive auf die Frauen zu verändern. Ihnen war kein anderer Platz als der im Haushalt zugewiesen worden. Auch die kapitalistische Mentalität beutet Frauen aus und benutzt sie als Propaganda- und Werbeinstrumente. Wir versuchen, diese Mentalität zu neutralisieren. Dies geschieht durch intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Identität, dem Wesen und der Persönlichkeit.“ Yûnis hebt hervor, dass sich die Haltungen der Männer und Frauen, die an der Bildung teilgenommen haben, grundlegend verändert hätten.

Wir können die patriarchale Mentalität durch Bildung verändern“

Khalil al-Omari nahm an einer Bildung von TEV-DEM teil

Einer der Teilnehmenden an einem Bildungsprogramm der Akademie Şehîd Rojbîn Ereb von TEV-DEM ist Khalil al-Omari aus Til Hemis. Er sagt: „Wir können die überall vorherrschende patriarchale Mentalität durch Bildung ändern. Die Frauen werden ihre Rechte gegen diese Mentalität durchsetzen können.“ Al-Omari unterstreicht den Unterschied zur alten Sichtweise auf Frauen und beschreibt, dass Frauen als schwach angesehen wurden und ihnen nicht einmal das Recht gegeben wurde, schreiben und lesen zu lernen.

Das eigene Wesen kennenlernen

Riham al-Ali ist Mitglied der Bildungskommission von Kongra Star

Riham al-Ali ist seit fünf Jahren Mitglied der Bildungskommission von Kongra Star. Sie selbst bietet viele Seminare an. Über ihre Erfahrungen sagt sie: „Ich habe mich für den Bereich der Frauenbildung entschieden und gebe entsprechende Seminare. Das habe ich getan, weil ich selbst Bildung erhalten und darin mein Wesen erkannt habe. Deshalb sehe ich es als meine Aufgabe an, anderen mein Wissen weiterzugeben.“

Es sind noch große Anstrengungen nötig“

Koçer Hisên ist Sprecherin der Bildungskomitees von Kongra Sar in Hesekê

Koçer Hisên ist Sprecherin der Bildungskomitees von Kongra Sar in Hesekê. Sie beschreibt das Bildungskomitee als eine der wichtigsten Institutionen von Kongra Star, da damit die Idee der demokratischen Nation und das apoistische Paradigma, das in der Lage ist, die patriarchale Mentalität, die seit Tausenden von Jahren in der Gesellschaft vorherrscht, zu brechen, verbreitet werde. Am Ende ihres Statements verwies Koçer auf die Beschwernisse der Arbeit und sagte: „Was auch immer die Schwierigkeiten sein mögen, es sind große Anstrengungen erforderlich, um die Mentalität in der Gesellschaft zu ändern.“