Reportage aus dem Berxwedan-Camp in Şehba

Die Gesichter der Menschen scheinen in jeder Hinsicht unterschiedlich, man kann einen anderen Ausdruck in den Augen sehen, die Gefühle der Hoffnung, der Erwartung, der Wunsch heimzukehren ist so offensichtlich.

An jenem Tag nach einer regnerischen Nacht befinde ich mich auf dem Weg zum Berxwedan-Flüchtlingslager in der Fafîn-Region, um die Situation der aus Efrîn vertriebenen Menschen dort zu beobachten. Das Wetter ist glühend heiß und die Sonne brennt in den erschöpften Gesichtern von Frauen und Kindern. Nach der verregneten Nacht ist alles in den Zelten durchnässt, die Matratzen und die Decken, die sie zum Schlafen benutzen, es ist ihre erste Nacht, aber es wird nicht ihre letzte sein.

Die Einwohner*innen im Camp beginnen ihren Tag im Morgengrauen. Die Frauen räumen alles, was sie haben, aus den Zelten. Es sind nicht mehr als ein paar Kisten, Decken und dünne Matratzen, die ihre Körper weniger als fünf Zentimeter vom steinigen Boden trennen. Sie tragen sie auf ihren Schultern, damit sie in der Sonne trocknen. Die Männer sind damit beschäftigt Kies zu bewegen, um die Wasserkuhlen vor und in den Zelten aufzufüllen. Währenddessen helfen ihnen einige Kinder Wasser von den großen Tankwagen zu bringen. Andere Kinder spielen in dieser Menschenmenge mit den Steinen. Die Gesichter der Menschen scheinen in jeder Hinsicht unterschiedlich, man kann einen anderen Ausdruck in den Augen sehen, die Gefühle der Hoffnung, der Erwartung, der Wunsch heimzukehren ist so offensichtlich. Eine alte Frau hält mich vor ihrem Zelt an, sie hat einen Bettbezug aufgehängt, um in seinem Schatten zu ruhen. Sie sieht müde aus und lässt dennoch die Perlen ihres Gebetskranzes so schnell durch ihre Finger gleiten, dass ich sie frage: „Wofür betest du so intensiv, Mutter?“

Sie hebt den Kopf und weist neben sich, damit ich mich dorthin setze. Ich sitze neben ihr und plötzlich streicht sie mit ihrer Hand über mein Haar und meine Schultern, blickt mich und sagt mit rauer Stimme: „Du bist im selben Alter wie sie.“ „Wer?“, frage ich. Sie antwortet: „Fatima … meine Tochter … sie ließ mich alleine … oh meine liebe Fatima, wie sehr ich dich vermisse.“ Sie hält meine Hand und fährt fort: „Sie haben meine Tochter Fatima umgebracht.“ Die Worte scheinen ihr nur schwer über die Lippen zu kommen. Ich frage, wer sie umgebracht habe. Sie antwortet: „Ich weiß nicht, wer das verfluchte Flugzeug gesteuert hat, das mein Haus und mein Dorf bombardierte.“ Sie beginnt mir von ihrer Tochter zu erzählen, wie sie sich um sie kümmerte, als sie alt wurde, und wie sie in ihrem kleinen Haus im Dorf zusammengelebt haben. Sie spricht von der Liebe ihrer Tochter zu den Ziegen und insbesondere den kleinen Lämmern, um die sie sich kümmerte, und wie sie den Schmetterlingen hinterherlief. „Sie war voller Leben und Energie.“ Ich höre schweigend zu, bis sie meine Gedanken mit der Frage unterbricht, ob ich meinen Kopf auf ihren Schoß legen könnte, wie es ihre Tochter getan hat. Ich lächele und tue, was sie wünscht, vielleicht in dem Glauben, ihren Schmerz für wenige Sekunden leichter machen zu können. Sie fragt mich: „Willst du jetzt wissen, warum Gott meine Tochter so früh zu sich geholt hat?“ Und sie fährt fort: „Ich hoffe, Gott ist mit den jungen Männern und Frauen, die gegen diese Verbrecher kämpfen.“ Tränen rollen ihre Wangen herab und sie beginnt ein trauriges Lied zu singen. Dann sagt sie: „Ich möchte zurück nach Hause ins Dorf und die Überreste des Körpers meiner Tochter einsammeln, von oben ragen die Olivenzweige und die Weintrauben in mein Haus, ich werde sie in meinem Schoß verbergen, damit niemand sie berühren oder verletzten kann. Ich möchte sie auf dem Feld neben meinem Haus begraben und viele Rosen auf ihr Grab stellen … Fatima liebt Rosen.“ Dann klagt sie an: „Ich werde niemals verstehen, dass sich die ganze Welt zusammengeschlossen hat, um Fatima zu töten. Ich habe gehört, dass sich die Amerikaner und die Russen gemeinsam gegen uns richten. Ist das wahr?

Ich nicke.

Sie sagt: „Diese Bastarde sollen wissen, dass Fatimas Mutter sie verflucht und dass sie niemals ihr Land aufgeben und trotz allem heimkehren wird.“ Die von Trauer gezeichnete Mutter will ihre Worte ins Gewissen der Menschheit pflanzen. Vielleicht wird eines Tages der Frieden erblühen.

Fatimas Mutter ist eine von Hunderten Frauen, die ihre jungen Kinder oder ihre Familie wegen des Angriffs verloren haben. Viele von ihnen konnten nicht einmal die Leichen begraben oder ihre Einzelteile aufsammeln. Wegen der Flugzeuge und Bomben sind die Herzen dieser Frauen nun voller Wut und Empörung gegenüber den Besatzern ihres Landes. Sie versprechen, dass das Land bald befreit wird.