Narîn Qamişlo: „Wer wenn nicht wir?“
Narîn Qamişlo ist eine der Kommandantinnen der Militärrats von Minbic. Sie ruft zur Verteidigung der Stadt gegen die drohende türkische Invasion auf.
Narîn Qamişlo ist eine der Kommandantinnen der Militärrats von Minbic. Sie ruft zur Verteidigung der Stadt gegen die drohende türkische Invasion auf.
Die Besetzung von Minbic hat für den türkischen Expansionismus höchste Priorität. Unter der Herrschaft des „Islamischen Staat“ (IS) war Minbic der Umschlagplatz für die türkische Waffenhilfe der Terrormiliz wie auch für den Handel mit Öl aus Rojava. Während die Türkei den IS in Minbic mit aller Macht unterstützte, begannen direkt nach der Befreiung der Stadt die türkischen Angriffe. Seitdem befindet sich der strategisch wichtige Ort im Fokus türkischer Besetzungsbestrebungen. In den letzten Wochen hat der türkische Präsident angekündigt, angefangen mit Minbic und Tel Rifat einen dreißig Kilometer breiten Streifen entlang der syrischen Grenze besetzen zu wollen. Die Verteidigungskräfte, allen voran der Militärrat von Minbic, haben heftigen Widerstand angekündigt.
Eine der Kommandant:innen des Militärrats von Minbic ist die Araberin Narîn Qamişlo. Die Nachrichtenagentur ANHA berichtet über sie in einer Reportage. Narîn Qamişlos Leben ist vom Widerstand geprägt. Ihre Rebellion begann mit einem Aufbegehren gegen die traditionellen Vorstellungen ihrer Familie, nun kämpft sie allen Widerständen zum Trotz als Kommandantin in den vordersten Reihen gegen eine türkische Invasion.
„Ich habe diesen Weg gewählt, um das Blut meiner Freundinnen zu rächen“
Narîn Qamişlo ist Schiitin und stammt aus Dara. Da ihr Vater Regimesoldat war, zog die Familie nach Qamişlo in Rojava. Damals war sie fünf Jahre alt. Abgesehen von gelegentlichen Besuchen in Dara wuchs sie in Qamişlo auf. Als die Proteste in Syrien begannen, befand sie sich in Dara. Narin erlebte die Massaker und die Brutalität des syrischen Regimes mit eigenen Augen. Obwohl sie noch jung war, prägte sie dieser Moment tief und weckte in ihr die Entschlossenheit, für den Aufbau eines demokratischen Syriens zu kämpfen. 2019 schloss sie sich den Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) an. Sie nahm Narîn Qamişlo als Kampfnamen. Dies war der Name einer ihrer Schulfreundinnen von 2013, die in Serêkaniyê gefallen war. Qamişlo erinnert sich: „Als ich hörte, dass meine Freundin gefallen war, habe ich mich sofort den YPJ angeschlossen. Die Frauen in der YPJ und ihre Waffen beeindruckten mich sehr. Ich habe diesen Weg gewählt, um das Blut meiner Freundin und all der anderen Gefallenen zu rächen.“
„Ich musste einfach Teil dieser Revolution werden“
Obwohl ihre Familie und ihr Stamm Baathisten seien und sie von ihnen unter Druck gesetzt wurde, nicht Teil der Revolution zu werden, machte sie keine Zugeständnisse. Sie erinnert sich: „Ich wollte diese traditionellen Grenzen durchbrechen. Ich griff gegen diese Mentalität zu den Waffen. Kurdinnen, Araberinnen, Tscherkessinnen und Assyrerinnen nahmen ihren Platz in den Verteidigungskräften ein. Ich wollte mich ihnen anschließen. Unsere Gesellschaft ist inmitten von Unterdrückung gewachsen. Ich konnte es nicht länger ertragen. Ich dachte, ich sollte ein Teil dieser Revolution sein.“ Als sie ihre Familie nach einer Weile wiedersah, sagte sie: „Ich bin hier wegen der Entwicklungen und ich bin Teil davon. Ihr solltet ebenfalls wie alle Menschen in der Region Teil dieses Prozesses werden.“
„Brecht mit den Traditionen, die uns zurückhalten“
Narîn Qamişlo sagt, es sei notwendig, dass die Menschen ihr Leben und ihre Zukunft endlich selbst bestimmen. Mit Blick auf einschränkende und hierarchische Traditionen in der arabischen Gesellschaft sagt sie: „Als schiitische Frau rufe ich die arabische Gesellschaft auf, diese Traditionen aufzugeben, denn all diese Traditionen halten uns zurück. Sie erlauben es uns nicht, für unsere Rechte zu kämpfen. Nachdem ich den YPJ beigetreten war, habe ich gefühlt, dass wir Rechte haben und für unsere Rechte kämpfen müssen.“
„Wenn sie angreifen, werden wir gewinnen“
Nach dem Krieg um Serêkaniyê im Oktober 2019 wechselte Qamişlo in den Militärrat von Minbic und wurde zu einer Kommandantin. Zur aktuellen Lage erklärt sie: „Wir befinden uns gerade in einer sehr komplizierten Situation. Wir haben unseren Platz in den Stellungen eingenommen und Vorbereitungen auf die Angriffe getroffen. Auch die Bevölkerung von Minbic unterstützt uns und steht zu uns. Das bedeutet, dass Erdoğans Drohungen vergeblich sein werden. Wir glauben, dass, wenn der Angriff kommt, wir erfolgreich sein werden. Der Feind meint, dass schwere Waffen unseren Willen brechen würden. Während sie einen Schritt machen, werden wir aber zehn machen. Dies wiederum wird den Feind einschüchtern. Unser Ziel ist Frieden, nicht Krieg.“
Zu den täglichen Artillerieangriffen kommentiert die Kommandantin: „Hier wird die Zivilbevölkerung ins Visier genommen. Der türkische Staat versucht, die Menschen in der Region gegen uns zu nutzen, aber die Menschen kennen die Wahrheit über den Feind.“
„Regimesoldaten werden angegriffen, aber sie tun gar nichts“
Narîn Qamişlo beschreibt, dass sowohl russische als auch Regimesoldaten in der Region stationiert sind. Sie würden aber die türkischen Angriffe in keiner Weise erwidern, auch nicht, wenn ihre Stellungen beschossen würden. Sie meint: „Wenn ein Krieg ausbricht, werden weder die Regierung in Damaskus noch Russland irgendetwas unternehmen. Wir, die wir unsere Kraft aus den Gefallenen ziehen, werden weiterhin für das Land und die Menschen fallen. Wir werden ein freies Land mit dem Blut der Gefallenen aufbauen. Wir schöpfen auch Kraft von Rêber Apo [Abdullah Öcalan]. Das ist das Wesen unserer Stärke.“
„Schließt Euch den Militärräten an“
Qamişlo schließt mit einem Appell: „Alle jungen Menschen in der Region sollten zu den Militärräten strömen. Mein Aufruf an alle jungen Menschen lautet: Das Land braucht Euch. Diejenigen, die heute nicht Teil der Revolution sind, können es morgen nicht mehr sein. Wenn wir es nicht tun, wer soll dann kommen und unser Land verteidigen?"