In der Kreisstadt Nisêbîn (tr. Nusaybin) kamen am Donnerstag tausende Menschen zu einer Demonstration zusammen, um gegen die anhaltenden Angriffe der türkischen Armee und ihrer Verbündeten auf Nord- und Ostsyrien zu protestieren und Solidarität mit den Menschen in Rojava zu bekunden. Die rund zehntausend Teilnehmenden – darunter Aktivistinnen der Initiative der Friedensmütter, Angehörige von Gefangenen, Mitglieder des Demokratischen Islam-Kongresses (DIK), Vertreter:innen alevitischer Organisationen sowie Aktive der Frauen- und Jugendbewegungen – zogen kämpferisch bis zum Grenzzaun, der Nisêbîn und Qamişlo trennt. Dort findet seit nunmehr drei Wochen eine Mahnwache statt, die mit der Demonstration unterstützt werden sollte.
Verteidigung Rojavas ist eine gemeinschaftliche Verantwortung
Während des Marsches wurden Lieder gesungen und Parolen wie „Bijî berxwedana Rojava“ („Es lebe der Widerstand von Rojava“) sowie „Jin Jiyan Azadî“ („Frau, Leben, Freiheit“) gerufen. Die Demonstrierenden hielten zudem Bilder der im Dezember bei einem türkischen Drohnenangriff in Rojava getöteten Journalist:innen Cihan Bilgin und Nazım Daştan hoch und forderten ein Ende der Militärgewalt in der Region. Mehrere Redner:innen machten in kurzen Ansprachen deutlich, dass die Verteidigung Rojavas eine gemeinschaftliche Verantwortung sei.
„Rojava ist unsere Würde“ © MA
Massaker an Minderheiten in Syrien
Im Namen von DIK verwies der Geistliche Seyda Babayê Xelatî auf die Notwendigkeit von Einheit und Solidarität, damit Frieden überhaupt möglich werde. Mustafa Karabudak vom Verband der demokratischen alevitischen Vereine (DAD) wies auf Berichte über Massaker an den alevitischen und christlichen Minderheiten Syriens hin. Er betonte, dass jede Form der Unterdrückung und Gewalt ein „Verbrechen an der Menschheit“ darstelle und verurteilte, dass Menschen wegen ihres Glaubens getötet werden. „Diesen Menschen gilt unsere Solidarität, unser Beistand und unsere Unterstützung“, betonte Karabudak. Die Alevit:innen, deren Geschichte geprägt sei von Diskriminierung, Verfolgung und Völkermorden, stünden stets an der Seite der Unterdrückten.
Qamişlo und Nisêbîn, früher eine einzige Region, sind ein kleines Abbild des geteilten Kurdistans. Hier wird die Realität von Binxet und Serxet besonders deutlich. Binxet, also „unter der Linie“, wird verwendet, um kurdische Gebiete in Syrien nahe der türkischen Grenze zu bezeichnen. Die auf türkischem Staatsgebiet liegenden kurdischen Gebiete in unmittelbarer Nähe zur Grenze Syriens werden als Serxet bezeichnet, was „über der Linie“ bedeutet. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde Anfang der 1920er Jahre das französische Mandatsgebiet des heutigen Syrien vom Osmanischen Reich abgeteilt. Die Grenze zur heutigen Türkei verläuft in diesem Bereich entlang der Bahnlinie. Damit wurden Qamişlo und Nisêbîn getrennt. © MA
Zeit für Frieden
Die DEM-Abgeordnete und Parteisprecherin Ayşegül Doğan erläuterte, man dürfe sich durch Grenzziehungen nicht voneinander trennen lassen – Rojava sei ein Teil derselben Region und habe für viele Menschen eine besondere Bedeutung. Sie kritisierte die seit Jahren andauernde Isolation des kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalans, der als Ideengeber der Rojava-Revolution gilt, und rief im Hinblick auf dessen Bereitschaft für einen neuen Dialogprozess zu umfassenden Friedensgesprächen zwischen der kurdischen Bewegung und dem türkischen Staat auf. Sie hob hervor, dass die Kurd:innen auf demokratische Weise Widerstand leisten und es an der Zeit sei, die Gefängnistore zu öffnen sowie neue Wege für ein gleichberechtigtes Zusammenleben zu schaffen.
Der Marsch wurde von den Parteien DEM und DBP sowie der Frauenbewegung TJA veranstaltet © MA
Einen „historischen Schritt“ in Richtung Dialog wagen
Mit einem Appell an alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte, einen dauerhaften Frieden zu ermöglichen, die Rechte der verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu achten und einen erneuten „historischen Schritt“ in Richtung Dialog zu wagen, endete die Versammlung an der Grenze bei Qamişlo. Die Mahnwache vor Ort wird weitergeführt, um so die Forderungen nach Frieden, Gerechtigkeit und Respekt vor den Rechten aller zu unterstreichen.