Heskîf wurde vernichtet
Die Siedlung Heskîf, die jährlich drei Millionen Tourist:innen anzog, wurde durch den Ilisu-Staudamm vernichtet. Das „neue Hasankeyf“ interessiert nicht einmal die Anwohner:innen.
Die Siedlung Heskîf, die jährlich drei Millionen Tourist:innen anzog, wurde durch den Ilisu-Staudamm vernichtet. Das „neue Hasankeyf“ interessiert nicht einmal die Anwohner:innen.
Die Ortschaft Heskîf (tr. Hasankeyf) wurde 2020 durch den Ilisu-Staudamm vernichtet. Mit ihr wurden Tausende Jahre von Geschichte und viele nahezu unerforschte archäologische Stätten unwiederbringlich zerstört. Der Staudamm wurde vor allem als Mittel der Kriegsführung gegen die Guerilla errichtet. So konnten große Gebiete in Kurdistan de facto als Durchzugswege der Kämpfer:innen gesperrt werden, dafür wurden Heskîf und 199 Siedlungen im Umland überflutet. Höhlen aus dem Neolithikum wurden gesprengt, uralte Gebäude mit Baggern eingerissen. Die türkische Regierung propagierte ein „neues Hasankeyf“, in das einige wenige Monumente aus Heskîf verpflanzt wurden. In dem „neuen Hasankeyf“ wurden Betonblocks errichtet, in denen die Menschen aus der einst so lebendigen Kleinstadt in Zukunft leben sollten.
„Heskîf ist tot“
Rıdvan Ayhan wuchs im alten Heskîf auf © Mezopotamya Ajansı
Früher wurde Heskîf von drei Millionen Tourist:innen im Jahr besucht. Das „neue Hasankeyf“ interessiert nicht einmal die nächsten Anwohner:innen. Rıdvan Ayhan wuchs im alten Heskîf auf. Er ist Sprecher der Initiative „Lasst Heskîf leben“ und sprach gegenüber der Nachrichtenagentur Mezopotamie (MA) von einer „Totenstille“, die über dem „neuen Hasankeyf“ herrsche.
Er sagte: „Unser Leben war damals von der Geschwisterlichkeit der Völker und der Religionen geprägt, die Menschen konnten in Frieden und Ruhe zusammenleben und eins mit der Natur sein. Wir hatten damals nicht die großen technischen Einrichtungen, aber wir lebten in der Natur. Die Menschen hatten eine große Verbundenheit miteinander. Assyrer, Araber und Kurden waren alle miteinander verbunden und lebten ein geschwisterliches Leben. Wir hatten dort Weinberge, Gärten und Tiere. Unser Leben war perfekt, denn wir verbanden unser Einkommen mit dem Leben in der Natur. Leider wurden mit dem Bau des Staudamms alle unsere Erinnerungen vernichtet. So wurden unsere Gärten und Felder unter Wasser gesetzt. Die meisten Menschen, die hier lebten, beschäftigten sich mit Ackerbau, Weinbau und Viehzucht. Das war die Art zu leben.“
„Sozialer und kultureller Niedergang“
Ayhan berichtete, der Staudamm habe zu einer massiven Migration aus der Region geführt. Die Sozialstruktur der Region sei zerstört worden. Er führte aus: „Wenn man einen Baum entwurzelt, verdorrt er allmählich. Die Menschen in der neu errichteten Siedlung Heskîf befinden sich in einer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Depression. Die Regierung hatte versprochen, Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen. Aber nachdem wir in das neue Heskîf gekommen sind, gab es nichts, wir konnten keine Arbeit finden, keine Landwirtschaft, keine Viehzucht oder etwas anderes. Denn sie hatten alles zerstört. Alle menschlichen Beziehungen wurden zerstört. Die Menschen grollen einander. Heute haben die Menschen in Heskîf keine Bindungen mehr zueinander. Sie sind individualisiert, leben jetzt allein. Wir sehen, dass das Leben so keinen Sinn für uns hat.“
„Nach Heskîf kommen nicht einmal mehr die Menschen aus Heskîf“
Das „neuen Hasankeyf“ © Mezopotamya Ajansı
Ayhan weiter: „Als wir im alten Heskîf lebten, hatten wir alle Möglichkeiten. Denn die Natur bot uns alles. Mein Vater arbeitete zum Beispiel als Fischer und im Winter als Weber, und so verdienten wir unseren Lebensunterhalt. Was die Natur uns gab, war genug für uns. Heskîf war wegen seiner Geschichte mit der Natur verbunden. Im Laufe der Geschichte hatten die Menschen sehr enge Beziehungen zueinander. Aber durch den Staudamm wurden die Beziehungen der Menschen zueinander zerstört. Im alten Heskîf verdienten die Menschen ihren Lebensunterhalt sogar mit dem Verkauf von Wasser. Der Grund dafür war, dass es eine Touristenattraktion war. Die Menschen kamen hierher, um 12.000 Jahre Geschichte zu sehen, und die Bewohner hatten also ein gutes Auskommen. Aber in das neue Heskîf kommen keine Touristen. Denn es gibt nichts zu sehen, keine Geschichte mehr. Selbst wenn es ein paar Stücke gibt, die von einem Ort zum anderen bewegt wurden, sind sie für einfach nur hohl und absurd. Denn Geschichte existiert an ihrem Ort und mit ihren Wurzeln. Wenn man die Objekte von ihrer Geschichte loslöst, haben sie keine Bedeutung mehr. Deshalb kommen die Touristen auch nicht.“
„Warnungen wurden ignoriert“
Ayhan schloss mit den Worten: „Während wir als Initiative kämpften, betonten wir ständig, dass die Geschichte und die Natur an ihrem Platz erhalten werden sollten und dass diese 12.000 Jahre alte Geschichte der ganzen Welt und der Menschheit präsentiert werden sollte. Wir betonten das immer wieder auf verschiedenen Plattformen und in Presseerklärungen. Der Regierung ist es irgendwie gelungen, bei den Menschen eine ignorante Haltung zu schaffen. Ich hoffe, dass künftige Generationen ihre eigene Geschichte, Kultur und Natur schützen werden, um nicht wieder in solche Fehler zu verfallen und um zu verhindern, dass sich solche Dinge wiederholen.“