Im Herzen das Feuer der Rache

„Ich habe meinem Mann versprochen, unsere Kinder zu ehrenwerten Menschen zu erziehen. Eines Tages werden sie groß sein und ihren Vater rächen.“

Seit Tagen verfolgen wir, wie es den Menschen ergeht, die vor der türkischen Besatzung aus ihrer Heimat Efrîn in die Region Şehba geflüchtet sind. Wir fahren von Siedlung zu Siedlung, von Dorf zu Dorf und sind ständig in Bewegung.

Ernest Hemingway hat einmal etwas in der Art gesagt, dass man umso mehr schöne Menschen kennenlernt, je näher man sich an der Kriegsfront befindet. Das stimmt wirklich. Wir erleben es seit vier bis fünf Jahren immer wieder.

Im Krieg gibt es jedoch auch Zerstörung und Todesfälle, die nicht aushaltbar sind. Dennoch sagst du dir jedes Mal wieder, dass du es aus Respekt vor all den guten Menschen aushalten musst.

Vor drei Tagen sind wir gemeinsam mit unserem Journalisten-Kollegen Nûrî Ednan aus Til Rifat nach Kefernayê aufgebrochen. Noch bevor wir die Stadt verlassen haben, sehen wir an einer alten Tankstellenruine zwei Frauen, an die sich vor Kälte zitternde Kinder schmiegen.

Wir halten sofort an und gehen zu ihnen. Den Kindern sind die Kälte und der Hunger anzusehen, den Frauen die Angst. Nur eine von ihnen kann überhaupt mit uns sprechen. Wir stellen ihnen einige Fragen und die Gesprächigere von beiden, Doha Îbîş, beginnt zu erzählen: „Wir sind von Raco nach Efrîn geflohen und von dort aus nach Til Rifat. Jetzt drohen auch hier Angriffe. Ich muss meine Kinder retten, denn ich habe ein Versprechen gegeben.“

„Ein Versprechen…“ Wir merken uns diese Worte, um später nachzufragen. Zunächst fragen wir jedoch, wohin sie wollen. Doha antwortet, dass sie es nicht wissen, weil es keinen Ort gibt, an den sie gehen könnten.

Wir laden ihre wenigen Habseligkeiten ins Auto und fahren los, um sie ins Camp zu bringen. Auf dem Weg erzählt Doha ihre Geschichte: Sie habe vier Kinder. Ihr Mann war Mitglied des Asayisch und ist bei einem türkischen Luftangriff im Februar gefallen. Die andere Frau sei ihre Schwägerin und ihr Mann sei an einer Krankheit verstorben.

Auf dem Weg sind manchmal Schüsse zu hören. Um ausmachen zu können, woher sie kommen, haben wir die Autofenster geöffnet. Doha sitzt am Fenster und wir sagen ihr: „Du kannst das Fenster schließen, wenn du frierst.“ Ihre Antwort fasst in Worte, was vielleicht Millionen Kurden auf dem Herzen tragen: „Als mein Mann von dem türkischen Luftangriff getroffen worden war, bin ich ins Krankenhaus gegangen. Er war verbrannt, nur noch seine Knochen waren übrig. Ich legte meine Hand auf seinen Brustkasten. Er war sehr warm. Früher habe ich oft gefroren, aber seit diesem Tag ist mein Herz wie eine Feuerstelle und ich friere überhaupt nicht mehr.“

Ihre Worte lassen uns erstarren. In diesem Moment sind wir ein weiteres Mal davon überzeugt, dass der türkische Staat die Herzen unzähliger Kurden in Brand gesetzt hat und dieses Feuer niemals erlöschen wird.

Nach Dohas Worten herrscht zunächst Stille. Wieder ist es Doha, die das Schweigen bricht: „Nachdem mein Mann gefallen ist, bin ich zu den Freunden gegangen und habe eine Waffe gefordert, um zu kämpfen. Sie haben abgelehnt.“

Wir erreichen das Camp und bringen Doha, ihre Schwägerin und die acht Kinder in einem Zelt unter. Das Zelt ist leer und sie haben nicht einmal eine Decke. Wir gehen zu Heyva Sor A Kurd, wo uns erzählt wird, dass heute sehr viele Familien angekommen und keine Decken mehr übrig sind. Sie geben uns ihre beiden eigenen Decken. Es gibt wirklich nicht einmal genügend Decken.

Nûrî sagt, er habe Verwandte in einem nahegelegenen Dorf, die vielleicht aushelfen könnten. Er geht los und kommt mit einigen Gegenständen wieder, die wir den Frauen geben.

Am nächsten Tag haben wir wieder im Camp zu tun und besuchen Doha und ihre Kinder. Es geht ihnen ein bisschen besser. Doha erzählt, die Camp-Leitung habe ihre Namen registriert und ihnen geholfen. Dann fügt sie hinzu: „Letztens sollen Russen gekommen sein, die Hilfslieferungen versprochen haben. Wenn ich sie sehen sollte, werde ich ihnen zwei Finger in die Augen stechen. Alles ist nur ihretwegen geschehen. Sie haben erlaubt, dass die Kampfflugzeuge meinen Mann töten. Jetzt wollen sie hier Buße tun…“

Doha hört sich die Aufnahme eines Liedes an, das ihr Mann gesungen hat, und ihre Augen füllen sich mit Tränen. Mir fällt wieder das Versprechen ein, das sie auf der Fahrt hierher erwähnt hat. Ich frage nach. Doha antwortet: „Als ich den Leichnam meines Mannes gesehen habe, habe ich ihm ein Versprechen gegeben. Ich habe ihm versprochen, dass ich unseren Kindern von ihrem Vater erzählen und sie zu ehrenwerten Menschen erziehen werde. Sie werden heranwachsen und ihren Vater rächen.“

Wir stellen ein weiteres Mal fest, dass solange der türkische Staat feindlich darauf beharrt, die kurdischen Herzen brennen zu lassen, in diesen Herzen auch das Feuer der Rache brennen wird.