Hochrangiger IS-Funktionär belastet Ankara mit Aussage
Der IS-Verantwortliche Samir Bougana wurde Ende August bei einem Sondereinsatz der Antiterroreinheit Y.A.T. gefangen genommen. Inzwischen wurden Auszüge seiner Vernehmung veröffentlicht.
Der IS-Verantwortliche Samir Bougana wurde Ende August bei einem Sondereinsatz der Antiterroreinheit Y.A.T. gefangen genommen. Inzwischen wurden Auszüge seiner Vernehmung veröffentlicht.
Mit Samir Bougana gelang es den Volksverteidigungseinheiten, einen weiteren Funktionär der Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) gefangen zu nehmen. Der Italiener mit marokkanischen Wurzeln war Ende August in der Nähe von Raqqa bei einem Sondereinsatz der Antiterroreinheit Y.A.T. festgenommen worden, als er versuchte in die Türkei zu fliehen. Die YPG hatten bereits bekannt gegeben, dass Bougana während seiner Vernehmung wichtige Aussagen zu den Beziehungen zwischen der Terrormiliz und Ankara gemacht habe. Inzwischen wurden einige Auszüge seiner Vernehmung veröffentlicht.
Samir Bougana, auch bekannt unter dem Namen Abu Hureyre al-Muhajir oder Abu Abdullah al-Muhajir, wurde 1994 in Italien geboren. Im Jahr 2010 verschlug es ihn aus Canneto sull'Oglio in der Lombardei nach Deutschland, wo er später eine Türkin heiratete. Ab 2011 verkehrte er in der Bielefelder Islamistenszene und lernte Abu Abdullah al-Almani kennen, der Kontakte zum türkischen Geheimdienst MIT pflegte. Al-Almani schlug Samir Bougana vor, sich in Syrien islamistischen Milizen anzuschließen. Daraufhin reisten beide 2013 in die Türkei.
Wer ist Abu Abdullah al-Almani?
Über die Identität von Abu Abdullah al-Almani liegen uns derzeit keine Informationen vor. Nach Angaben von Bougana soll es sich bei dem Islamisten um einen Deutschen mit marokkanischen Wurzeln handeln. Neben dem MIT habe er gute Kontakte zum sogenannten Islamischen Staat und soll in Europa, insbesondere aber in Deutschland unter dem Deckmantel humanitärer Hilfe Spenden für Islamisten gesammelt haben, die über die Türkei nach Syrien gingen.
Samir Bougana gibt an, von Düsseldorf nach Istanbul geflogen und von dort aus weiter an die syrische Grenze nach Antakya gereist zu sein. Dort habe er eine Zeitlang in einem vom MIT eingerichteten Camp verbracht, in dem sich ausschließlich ausländische Dschihadisten aufhalten. In Antakya soll es diverse solcher Camps geben, die als Zwischenstopp dienen und vom MIT betreut werden. Laut Bougana sei es üblich, dass die Dschihadisten von dort aus in die bergige Al-Akrad-Region im syrischen Gouvernement Latakia gebracht und an die Miliz Jindi Al-Sham übergeben werden. Er selbst habe ebenfalls in den Reihen dieser Miliz gegen Kräfte des syrischen Regimes gekämpft, bevor er sich dem Islamischen Staat anschloss.
„IS erhält Anweisungen aus Ankara“
Irgendwann habe der IS angeordnet, dass sich Bougana gemeinsam mit seiner Gruppe unter dem Kommando von Abu Abdullah al-Almani in den Norden von Aleppo begeben soll: „Nachdem unsere Route bestimmt wurde, sind wir von Latakia über Antakya/Antep nach Cerablus gereist. Die Türkei hat unseren Grenzübertritt reibungslos organisiert. Unsere Waffen und Munition konnten wir spielend einfach über die Grenze schaffen. Auch hinsichtlich anderer Bedürfnisse ist man uns sehr entgegen gekommen. In Cerablus angekommen wurde uns gesagt, dass wir von nun an gegen die Kurden kämpfen werden“.
Nach einiger Zeit habe Bougana Cerablus verlassen und sei zu den Todesschwadronen des IS in der Region Dêra Zor gegangen. Von dort aus habe es ihn weiter nach Raqqa gezogen, wo er bei den „Außenbeziehungen“ des IS gearbeitet habe. Ein weiterer Zuständigkeitsbereich sei die Rekrutierung ausländischer Mitglieder, insbesondere aus Deutschland. Auch in Tabqa und al-Mayadin sei Bougana aktiv für den IS gewesen, außerdem habe er sich an dem Angriff auf das Flugfeld Kwiriss in Aleppo beteiligt.
Beziehungen zwischen dem IS und türkischer Regierung
Während sich Bougana zu den Beziehungen zwischen Ankara und dem Islamischen Staat äußert, weist er auf die Unterstützung hin, die der Terrormiliz von der türkischen Regierung gewährt wird: „Innerhalb der Türkei genossen wir totale Bewegungsfreiheit. Niemand fragte uns auch nur einmal, was wir tun oder wohin wir gehen, wenn wir die Grenze passierten. Im Gegenteil, der türkische Staat hat uns stets mit allen Arten von Waffen, Munition und anderen Bedürfnissen ausgestattet. Ich selbst habe mit eigenen Augen gesehen, wie der türkische Staat Waffen in die Region Girê Spî [Tall Abyad] geliefert hat“.
Laut Bougana betrachte die türkische Regierung Nordsyrien als Heimatboden und unterstütze den Islamischen Staat als Werkzeug, um ihre eigenen Interessen in der Region zu verfolgen. Im Kampf gegen die Kurden stelle Ankara dem Islamischen Staat und anderen dschihadistischen Gruppierungen alle Ressourcen zur Verfügung, die dafür nötig seien. Es laufe darauf hinaus, alle Errungenschaften der Kurden zu zerschlagen: „Das deutlichste Beispiel hierfür ist die Unterstützung, die wir von der Türkei erhielten, als wir Latakia verließen um Gebiete anzugreifen, in denen die Kurden leben. Der IS sollte lieber die Kurden bekämpfen, statt das syrische Regime“.
„IS-Mitglieder erhalten Schutz“
Weiter heißt es zu den türkisch-dschihadistischen Beziehungen: „Uns wurde gesagt, dass Mitglieder des IS Schutz von der türkischen Regierung erhalten. Demnach könnten wir in der Türkei so leben, wie wir es uns wünschen. Als Beispiel ist hier der Fall eines IS-Mitglieds aus Österreich zu erwähnen, der trotz Auslieferungsgesuch an die Türkei nicht abgeschoben wurde. Die türkische Regierung behauptet zwar, dass sie juristisch gegen Mitglieder des Islamischen Staates vorgeht, das entspricht allerdings nicht den Tatsachen. Ankara bietet uns Unterstützung und benutzt uns für die eigenen Interessen. Mitglieder von uns werden in verschiedene Länder geschleust, um innere Konflikte auszulösen.
‚Türkei kämpft nicht gegen den Islamischen Staat‘
Ich habe mich stets gefragt wie es sein kann, dass die türkische Regierung der Öffentlichkeit versichert, gegen den IS zu kämpfen, wenn sie uns doch jede erdenkliche Unterstützung zukommen lässt. Jedes Mal, wenn wir kurz davorstanden, auseinander zu fallen, war es die Türkei, die uns wieder zusammenbrachte. Hätte es die Unterstützung der türkischen Regierung nicht gegeben, wäre der IS niemals so stark geworden. Gleichermaßen hätte sich der syrische Bürgerkrieg nicht in solch einem Ausmaß in die Länge ziehen können. Mit Beginn des Krieges begann auch die türkische Unterstützung an den IS und andere Gruppen. Mit der Öffnung der Grenzen zu Syrien erlaubte die türkische Regierung Tausenden Personen, sich den Milizen anzuschließen. Das hat dazu geführt, dass sich der Konflikt in Syrien noch weiter verschärft hat. Wäre die Haltung der Türkei eine andere, wäre es mir und all den Tausenden gar nicht möglich gewesen, nach Syrien zu kommen und sich den Gruppierungen hier anzuschließen. Dann wäre Syrien auch nicht zu solch einem unsicheren Ort geworden“.