In diesem Teil unseres Dossiers befassen wir uns mit dem demografischen Wandel, der Folter, den Übergriffen auf Frauen und Kinder, der Zerstörung der Natur und der düsteren Zukunft, die die Besatzung für die Autonomieregion Nord- und Ostsyrien verspricht.
Was geschieht in den besetzten Gebieten?
Kanton Efrîn: Seit fünf Jahren werden in dem vom türkischen Staat und den von ihm gesteuerten Banden besetzten Efrîn zahlreiche Verbrechen begangen, die von Massakern, Vergewaltigungen, Folter bis hin zum Organhandel reichen. In fünf Jahren wurden 663 Menschen zu Tode gefoltert, 8.644 Menschen entführt, die kurdischen Namen von Dörfern und anderen Siedlungen sowie von Dutzenden geplünderten historischen Stätten geändert und die Natur der Region zerstört. Seit 2018 wurden zwölf Hektar Gärten und Wälder von den Besatzern niedergebrannt. 367.000 Bäume wurden gefällt. Über 13.500 Bäume wurden verbrannt. In den Siedlungen von mehr als 300.000 Einwohner:innen, die aufgrund der Politik des demografischen Wandels zur Abwanderung gezwungen waren, wurden Bandenmitglieder verschiedener Nationalitäten und ihre Familien aus vielen Regionen bis hin nach Turkmenistan angesiedelt. Die Region Efrîn, die einst als die sicherste Region in Syrien bezeichnet wurde und in der vor den Gräueltaten in Idlib und aus anderen Gebieten geflohene Menschen lebten, wird nun vom türkischen Staat als Pilotgebiet für die Ausbreitung von Terrorismus genutzt. Die türkische Armee hat mehr als 50 Besatzungsstützpunkte in den Bezirken Cindirês, Şiyê, Raco, Mabeta, Şera und Şêrawa im Kanton Efrîn und im Stadtzentrum errichtet. Von diesen Stützpunkten aus werden ständig Gebiete bombardiert, die nicht besetzt sind und von Geflüchteten bewohnt werden.
Serêkaniyê und Girê Spî: In der seit 2019 besetzten Region um Serêkaniyê und Girê Spî sieht es nicht anders aus. Mehr als 400.000 Menschen mussten nach Beginn der Invasion am 9. Oktober 2019 emigrieren. Diese Zahl stieg sogar noch weiter an, als die Verbrechen des türkischen Staates und seiner Banden zunahmen. In einer Erklärung des Migrationskomitees von Serêkaniyê vom 8. Oktober 2022 heißt es: „185 Menschen wurden entführt. 325 Menschen wurden gefoltert. Mindestens fünf Menschen wurden unter Folter ermordet. 92 Gefangene, von denen 48 zu Haftstrafen zwischen 13 Jahren und lebenslänglich verurteilt worden waren, wurden in die Türkei überstellt. Elf Menschen wurden hingerichtet, 56 weitere Menschen ermordet."
In Serêkaniyê kam es seit der Besatzung zu über siebzig Explosionen, bei denen 145 Zivilist:innen, darunter auch Kinder, ihr Leben verloren. Mehr als 300 Menschen wurden verletzt.
Andere Regionen: Auch in den besetzten Regionen Idlib, Azaz, Bab und Cerablus kommt es zu schweren Rechtsverletzungen. Die Besatzungszonen werden vom türkischen Staat als Ausbildungs- und Aufmarschgebiete für Gruppen wie IS und al-Qaida genutzt und dienen als Rekrutierungsbecken für Söldner, die von der Türkei im Mittleren Osten und Nordafrika eingesetzt werden. Im Jahr 2020 wurden in den Medien zahlreiche Dokumente über die nach Berg-Karabach und Libyen entsandten Söldnergruppen veröffentlicht.
Verstöße gegen Frauen und Kinder
In den besetzten Gebieten werden zahlreiche Verbrechen wie Folter, Zwangsrekrutierung und Vergewaltigung von Frauen und Kindern begangen. Viele internationale Organisationen haben Berichte über die in der Region verübten Verbrechen veröffentlicht. Die ägyptische Rechtsorganisation Mait berichtete über Verbrechen gegen Kinder im März 2021, dass 1316 Minderjährige von der Türkei als Söldner rekrutiert wurden.
Efrîn: In Efrîn wurden innerhalb von fünf Jahren 96 Frauen zu Tode gefoltert. Hunderte von Frauen wurden von Banden entführt, vergewaltigt und gefoltert. Kinder werden in extremistischer islamischer Ideologie ausgebildet und zwangsrekrutiert.
Serêkaniyê und Girê Spî: In der Erklärung des Migrationskomitees von Serêkaniyê vom 8. Oktober 2022 heißt es, dass seit der Besetzung 511 Menschen, darunter 68 Frauen und 42 Kinder, verhaftet und elf Frauen ermordet wurden. Zudem liegen Dokumente über die Kriegsausbildung von Kindern unter 18 Jahren durch die türkische Armee in Schulen in Serêkaniyê und Girê Spî vor. Die militärische Ausbildung dient dem vorgeschobenen Zweck der angeblichen Minenräumung.
Andere Regionen: In den Medien wurden Dokumente veröffentlicht, aus denen hervorgeht, dass die dem türkischen Staat angeschlossenen Banden Kinder in anderen besetzten Regionen Syriens zwangsrekrutiert haben. Das Efrîn Activists Network stellte Dokumente zur Verfügung, aus denen hervorgeht, dass die Miliz Jabhat al-Shami Minderjährige rekrutiert hat.
Demografischer Wandel
Efrîn: Während der fünfjährigen Besatzungszeit gehörte die Politik des forcierten demografischen Wandels in Efrîn zu den am häufigsten begangenen Verbrechen. Söldner und ihre Familien wurden in Orten angesiedelt, aus denen die Einwohner:innen von Efrîn vertrieben wurden. Die Namen von Städten, Dörfern, Ortschaften und Stadtteilen wurden geändert. Bildung und die Amtssprache wurde auf Türkisch umgestellt. Überall wurden türkische Flaggen aufgehängt und viele Gebäude wurden in profitable Institutionen des türkischen Staates verwandelt.
Der Azadî-Platz im Stadtzentrum von Efrîn wurde in Atatürk-Platz umbenannt. Der Name des Avrîn-Krankenhauses, der auf Arabisch und Kurdisch geschrieben war, wurde in Türkisch geändert. Darüber hinaus werden Schilder an Geschäften und Straßen nur in türkischer Sprache beschriftet. Den Bewohner:innen der Region wurden türkische Personalausweise ausgestellt, und die Währung wurde auf türkische Lira umgestellt. Die Schulen sind dem türkischen Bildungsministerium unterstellt.
Im Kanton Efrin wurden historische Stätten zerstört und historische Artefakte gestohlen und in die Türkei gebracht. Nach Angaben der Direktion für historische Stätten in Efrîn wurden 59 historische Stätten zerstört und Artefakte gestohlen. Mit Unterstützung und Finanzierung der Muslimbruderschaft wurden in Efrîn mehr als 20 Kolonialhäuser gebaut und über 500.000 Angehörige von Söldnerbanden angesiedelt.
Serêkaniyê und Girê Spî: In der Erklärung des Migrationskomitees von Serêkaniyê von vergangenem Oktober heißt es: „Mehr als 85 Prozent der Einwohner:innen von Serêkaniyê konnten nicht in ihre Häuser zurückkehren, und 2.500 Migrantenfamilien wurden anstelle der ursprünglichen Einwohner angesiedelt. Auch 55 irakische IS-Familien wurden in beschlagnahmten Häusern in Serêkaniyê untergebracht. Nach der Besetzung wurden in den beiden besetzten Regionen mehr als 5.500 Häuser und mehr als 1.200 Geschäfte beschlagnahmt. Aus 55 Dörfern wurden die ursprünglichen Bewohner:innen vertrieben.“
Das Zentrum der zerstörten historischen Stätten in Serêkaniyê war Til Xelef, das auf 6000 v.u.Z. zurückgeht. Es gibt auch Hinweise darauf, dass in Serêkaniyê Ausgrabungen an Glaubensstätten wie Kirchen usw. durchgeführt wurden.
Bei Ausgrabungen mit Baggern auf dem Dehliz-Hügel im Siluk-Bezirk von Girê Spî und weiteren Orten wurden zahlreiche historische Artefakte gestohlen.
Welche Auswirkungen würde eine weitere Invasion haben?
Am 24. August 2016 marschierte der türkische Staat unter der Bezeichnung „Operation Euphrat-Schild" in Cerablus, Bab und Azaz ein, am 20. Januar 2018 in Efrîn unter der Bezeichnung „Operation Olivenzweig" und am 9. Oktober 2019 in Serêkaniyê und Girê Spî unter der Bezeichnung „Operation Friedensfrühling". Der von neoosmanischen Träumen beseelte türkische Staat will durch die Zerstörung des stabilen, friedlichen und sicheren Umfelds in Nord- und Ostsyrien einen terroristischen Staat schaffen, der seinen eigenen Interessen entspricht. Die obige Darstellung zeigt nur einen Bruchteil der Rechtsverletzungen in den besetzten Gebieten.
Seit dem 1. Juni droht die Türkei mit der Annexion Nord- und Ostsyriens, und wenn der türkische Staat eine weitere Region besetzt, bedeutet dies neue schwere Rechtsverletzungen. Der türkische Staat wurde für die von ihm begangenen Verbrechen bisher nicht zur Rechenschaft gezogen. Diese Ignoranz öffnet die Tür für neue Verbrechen. Die Völker Nordsyriens und Ostsyriens, die sich dessen bewusst sind, entwickeln einen Verteidigungsmechanismus, der sich auf ihre eigene Kraft stützt, um zu verhindern, dass die Ereignisse in den besetzten Gebieten auf die selbstverwalteten Regionen übergreifen.