Bildung als erster Schritt zur Veränderung

An der Şehîd-Aziz-Ereb-Akademie im nordsyrischen Kanton Şehba werden Bildungsprogramme rund um das Thema „Aufbau einer demokratischen Gesellschaft“ angeboten. Für die Teilnehmenden öffnen sich dadurch neue Horizonte.

Ende 2016 wurde der nordsyrische Kanton Şehba von der Terrorherrschaft des Islamischen Staat (IS) und anderer vom türkischen Staat gesteuerter Milizen befreit. Als wieder Ruhe und Sicherheit in der Region einkehrten, kamen seit Anfang 2017 viele Anwohner wieder zurück. Um ihr Leben von Neuem zu organisieren und sich gegen mögliche künftige Angriffe zu wappnen, wurden lokale Räte und Kommunen gegründet.

Eines der wichtigsten Elemente des Wiederaufbaus ist die Bildungsarbeit. Neben der Organisierung ziviler Einrichtungen und Kommunen eröffnete der Kantonsrat von Şehba am 8. August 2016 in Til Rifat die Şehîd-Aziz-Ereb-Akademie.

Als die Angriffe türkeitreuer Milizen auf Til Rifat zunahmen, musste die Akademie nach Kefernaya umziehen. Dann begann jedoch die türkisch-dschihadistische Militärinvasion in Efrîn und das Gebäude wurde zum Zufluchtsort für Schutzsuchende aus dem benachbarten Kanton. Die Akademie musste ein weiteres Mal umziehen, diesmal ins Dorf Um al-Hosh. Aufgrund der neuen Situation begann die Akademieleitung, offene Bildungsprogramme anzubieten.

Bisher haben 126 Frauen und Männer an sieben geschlossenen Bildungsprogrammen teilgenommen. Die Teilnehmer*innen kamen nicht nur aus Şehba, sondern auch aus den Regionen Bab und Azaz, die weiterhin von Türkei-gestützten Milizen besetzt sind.

Nach den geschlossenen Bildungsprogrammen wurden offene Fortbildungen für jeweils 17 Tage eingerichtet. Unterrichtsthemen sind unter anderem der Aufbau einer demokratischen Gesellschaft, die Bedeutung von Bildung, Föderalismus, Kommunen und Räte, Frauengeschichte, Selbstorganisierung, Kritik und Selbstkritik sowie Selbstverteidigung.

Neben den kontinuierlichen Fortbildungen finden in der Akademie verschiedene Veranstaltungen und Seminare statt. Die Unterrichtsthemen werden ständig neu diskutiert und weiterentwickelt. Während der mehrwöchigen Bildungsprogramme organisieren die Teilnehmenden ihr Alltagsleben kollektiv.

Mehr Frauen als Männer

An den ersten Bildungsangeboten nahmen nur sehr wenige Frauen teil. Beim ersten Programm waren drei Frauen dabei, beim zweiten bereits sechs. Die Anzahl der Teilnehmerinnen nahm immer mehr zu und inzwischen sind die Frauen in der Mehrzahl.

Die Akademieleitung sieht diese Entwicklung als Hinweis auf den zunehmenden Wunsch von Frauen, an allen Bereichen des Lebens teilhaben zu können und in gesellschaftlichen Institutionen eine Rolle zu übernehmen.

Die Bildungsprogramme werden nach Gefallenen benannt. Das Programm „Barin Kobanê“ endete am 8. Juli, an dem Lehrgang nahmen 30 Personen teil. Direkt im Anschluss begann wiederum mit 30 Teilnehmer*innen das Bildungsprogramm „Avesta Xabur“.

Suheyla al-Abus ist eine von ihnen. Gegenüber der Nachrichtenagentur ANHA erklärte sie, die Fortbildung habe ihr sehr genützt: „Wir haben viel Interessantes über den seit Jahrhunderten währenden Kampf von Frauen gelernt. Mein Leben hat sich dadurch verändert. Die erste positive Entwicklung, die sich durch den Unterricht ergab, war der Sieg über die Angst und die Scham, die uns eingetrichtert werden. Hier können wir als Frauen unsere Gedanken frei äußern.“

Das Gelernte im Alltagsleben umsetzen

Für Welîd Elo ist die Bildungsarbeit hinsichtlich der gedanklichen Entwicklung wichtig: „Wir haben hier das erste Mal die Gelegenheit gefunden, kollektiv zu leben. Wir bereiten das Essen gemeinsam zu und allein das befreit einen von Einflüssen der patriarchalen Mentalität. Es ist eine wichtige Entwicklung in der Veränderung. Im Unterricht haben wir die Prinzipien Gleichheit und Demokratie behandelt. Jetzt geht es darum, sie im Alltagsleben umzusetzen.“

Fatma Oso hat eine dreijährige Tochter namens Barin. An dem Bildungsprogramm konnte Fatma trotzdem teilnehmen.

Hesen Hiso kann nicht lesen und schreiben. Mit dem Bildungsprogramm habe er einen großen Schritt gemacht, um diesen Mangel zu beheben, sagt er. Die Fortbildung hat großen Eindruck bei ihm hinterlassen: „Mich hat besonders der Unterricht über Frauengeschichte stark beeinflusst. Meine Sichtweise auf Frauen und ihre Stärke hat sich geändert. In mir ist dadurch der Gedanke entstanden, dass ich auch etwas an meiner Persönlichkeit ändern sollte.“

Jedes Bildungsprogramm endet mit einer Auswertung der Teilnehmer*innen. Die dabei geäußerte Kritik bietet der Akademieleitung die Möglichkeit, bestehende Mängel im nächsten Programm zu verbessern.