Berlin: „Erdogan ist und bleibt nicht willkommen“

Vor dem Bundeskanzleramt in Berlin ist gegen Recep Tayyip Erdogan und dessen Struktur in Deutschland protestiert worden, die ihn im Wahlkampf und bei der Vermittlung von Botschaften unterstützt.

Vor dem Bundeskanzleramt in Berlin ist gegen Recep Tayyip Erdogan und dessen Struktur in Deutschland protestiert worden, die ihn im Wahlkampf und bei der Vermittlung von Botschaften unterstützt. Aufgerufen dazu hatte die Initiative „Erdogan Not Welcome“ anlässlich eines für diesen Freitag geplanten Deutschlandbesuchs des türkischen Regimechefs, der am Ende doch nicht stattgefunden hat. Es habe keine Einigung mit dem Büro von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) über Uhrzeit und Themen gegeben, hieß es aus dem Umfeld von Erdogans Partei AKP. Offenbar sollte der selbst eingeladene „Arbeitsbesuch“ als Vorwand für einen aggressiven Wahlkampf bei der türkischen Diaspora angesichts der kommenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in der Türkei dienen. „Deutschland finanziert - Erdogan bombardiert“ erklang es direkt zu Beginn der Zusammenkunft. Die Bundesregierung müsse Ankara unmissverständlich klar machen, dass in Deutschland kein Platz für türkischen Wahlkampf sei.

Erdogan hetzt Völker gegeneinander auf

„Erdogan hetzt die Völker in Anatolien, Mesopotamien, dem Mittleren Osten, der Ägäis und dem Kaukasus gegeneinander auf und kann auch das friedliche Zusammenleben in Deutschland nicht ertragen. Zuerst hat er seinen Adjutanten nach Neuss geschickt, um eine Grundlage für Hass und Feindschaft zu schaffen. Jetzt will der Diktator persönlich kommen und den deutschen Präsidenten und Bundeskanzler treffen“, hatte es im Aufruf zu dem Protest geheißen.

Um die Vergehen des AKP-Politikers ging es dann auch in den zahlreich gehaltenen Redebeiträgen vor dem Kanzleramt, schließlich ist die Liste seiner Verbrechen lang: In der Türkei sitzen tausende HDP-Mitglieder und andere Oppositionelle gemeinsam mit zahlreichen Medienschaffenden in Haft, das Demonstrationsrecht gilt als abgeschafft, Festnahmewellen und Militäroperationen bestimmen den Alltag der Bevölkerung. Auch die Menschen in Nordsyrien und der Kurdistan-Region des Iraks (KRI) leiden unter der diktatorischen Politik Erdogans. In beiden Nachbarländern führt die türkische Armee Besatzungsoperationen und Invasionen durch. Der andauernde Krieg gegen Rojava, aber auch die tagtäglichen Angriffe der türkischen Armee auf die KRI sind die jüngsten Beispiele dafür.


Deutsche Beschwichtigungspolitik

„Erdogan hat Blut an den Händen und steht für faschistische Politik, für Diktatur. Er hetzt die Völker gegeneinander auf und führt seit Jahren blutige Kriege gegen die Kurd:innen innerhalb und außerhalb der Grenzen der Türkei. Er verfolgt eine Politik der gewaltsamen Unterdrückung der Opposition“, betonte etwa Ferat Koçak, Mitglied im Abgeordnetenhaus von Berlin. Und weiter: „In der kurdischen Bewegung erleben wir seit Jahren, wie wir von türkischen Rechten angegriffen werden. All das ist seit Jahren bekannt, und all das ändert offenbar nichts daran, dass die deutsche Bundesregierung nach wie vor eine Beschwichtigungspolitik gegenüber Erdogan fährt.“

Die HDP-Deutschlandvertreterin und ehemalige Bürgermeisterin von Cizîr, Leyla Imret, sprach die Hassrede eines AKP-Abgeordneten in einer Neusser Moschee an und warnte in diesem Zusammenhang vor möglichen Anschlägen auf kurdischstämmige Menschen. Das sei nicht sehr weit hergeholt, bedenke man die Morde kurz vor Weihnachten in Paris. Die Bundesregierung müsse entsprechende Maßnahmen ergreifen, um Kurdinnen und Kurden hierzulande vor Attentaten von nationalistischen Erdogan-Anhängern zu schützen.

Ben Garabedian vom Kollektiv Ararat wies auf die Expansionsbestrebungen Erdogans im Kaukasus hin und die Rolle der Türkei beim aserbaidschanischen Angriffskrieg gegen die armenische Republik Arzach (Berg-Karabach) im Herbst 2020. „Auch hier hat die Bundesrepublik Blut an ihren Händen“, so der Aktivist. Gemeint war damit unter anderem, dass aserbaidschanische Drohnen aus israelischer Produktion, die über Arzach abgeschossen worden waren, nachweislich auch deutsche Komponenten erhielten. Darüber hinaus waren auch türkische Drohnen bei dem Angriffskrieg gegen die armenische Bevölkerung eingesetzt worden.

Bedrohliche Aktivitäten von MIT und Co

Auch hier in Deutschland leiden die kurdische Community, linke migrantische Gruppen aus der Türkei sowie andere betroffene Volksgruppen unter der Erdogan-Diktatur. Der türkische Geheimdienst MIT bedroht hierzulande politische Aktivistinnen und Aktivisten mit dem Tod und die DITIB als Ableger der türkischen Religionsbehörde Diyanet verbreitet in ihren knapp 1000 Moscheen nationalistische Kriegspropaganda und Hetze, wie zuletzt in Neuss wieder sichtbar wurde. Der Lobbyverband UID (ehemals UETD) stellt Kontakte zwischen dem AKP-Regime und kriminellen Banden aus dem Umfeld der rechtsextremen, türkisch-nationalistischen Bewegung „Graue Wölfe“ her, die offen mit Gewalt gegen Kritikerinnen und Kritiker des Erdogan-Regimes in Deutschland drohen. Im Hinblick darauf hatte die Initiative „Erdogan Not Welcome“ nach der Terminabsage ihr Motto für den Protest umgeändert in „Schluss mit den Banden- und Spionageorganisationen“.

Welche Art von feministischer Außenpolitik?

Deutschland gilt innerhalb der kurdischen Community als treibende Kraft der Politik der Zugeständnisse, der Zurückhaltung, der Beschwichtigung und des Entgegenkommens gegenüber den Aggressionen des türkischen Staatspräsidenten. Der Linken-Politiker Hakan Taş betonte, dass fundamentale Menschenrechte in der Türkei unter Erdogan ausgehebelt und missachtet werden. Er ging auf die Appeasement-Politik gegenüber Erdogan ein und kritisierte im Besonderen die von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) propagierte feministische Außenpolitik. „Welche Art von feministischer Außenpolitik ist es eigentlich, wenn die feministische Revolution in Rojava mit Panzern aus Deutschland von einem Bündnis aus Islamisten und Faschisten niedergebombt wird? Was ist das für ein Feminismus, wenn die Urheberinnen von Jin-Jiyan-Azadî von türkischen Drohnen getötet werden und die Bundesregierung kein Wort zu diesen Morden verliert?“, so Taş.

All dies sei ein weiteres Indiz dafür, dass die deutsche Bundesregierung die repressive Politik des türkischen Regimes billigt bzw. unterstützt, fasste ein Sprecher des Bündnisses demokratischer Kräfte in Europa (ADGB) zusammen, in dem sich fortschrittliche Organisationen aus der Türkei und Kurdistan zusammengeschlossen haben. „Sie beteiligt sich damit direkt am Angriff auf Menschen, die sich für die Demokratie einsetzen. Ob in der Türkei oder hier in Deutschland.“