„Niemand darf die Macht monopolisieren“
Die Demokratische Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) hat sich kritisch zur Ernennung des neuen Übergangskabinetts in Damaskus geäußert. In einer am Sonntag veröffentlichten Erklärung wirft die Autonomieverwaltung der Zentralregierung vor, erneut die gesellschaftliche und kulturelle Vielfalt des Landes zu ignorieren und damit die Hoffnungen auf einen demokratischen Wandel zu enttäuschen.
Neue Machthaber setzen Kurs von Assad fort
Die Erklärung verweist darauf, dass die Bevölkerung Syriens seit Jahren unter einer „einseitigen und ausgrenzenden Regimeführung“ leide. Diese habe große Teile der Gesellschaft von politischen Prozessen ausgeschlossen und das Land in eine tiefe Krise gestürzt. Die in der Hauptstadt Damaskus am Samstagabend vorgestellte neue Regierung setze diesen Kurs fort, heißt es in der Stellungnahme. Eine inklusive Repräsentation aller gesellschaftlichen Gruppen sei erneut ausgeblieben.
Neuerliche Ignoranz der ethnischen und kulturellen Vielfalt Syrien
„Erneut wurden die Erwartungen der Bevölkerung nach einer pluralistischen und demokratischen Ordnung enttäuscht“, heißt es weiter. Die Kabinettsbildung ignoriere einmal mehr „die ethnische und kulturelle Vielfalt Syriens“, was die bestehenden Probleme nicht lösen, sondern nur vertiefen könne. Das neue Kabinett besteht aus 22 Minister:innen. Es löst die Übergangsregierung ab, die nach dem Sturz Baschar al-Assads durch die vom selbsternannten Interimspräsidenten Ahmed al-Scharaa gegründete „Hayat Tahrir al-Sham“ (HTS) im Dezember die Staatsgeschäfte übernommen hatte.
Dschihadisten behalten Schlüsselpositionen
Viele der Kabinettmitglieder sind Dschihadisten aus den Reihen von HTS, einige von ihnen waren bereits Teil der vorherigen Übergangsregierung. So bleibt Asaad al-Schaibani Außenminister und Murhaf Abu Qasra Verteidigungsminister Ein weiterer HTS-Dschihadist, Anas Chattab, der bisher als Geheimdienstchef fungiert hatte, ist nun Innenminister. Erstmals wurde zudem eine Frau in die Regierung berufen: Hind Kabawat wird als Ministerin für Soziales und Arbeit zuständig sein. Sie gehört der christlichen Minderheit in Syrien an. Auch ein Druse und ein Alawit gehören dem Kabinett an, ebenso ein Kurde. Muhammad Abdul Rahman Turko wurde zum Bildungsminister benannt. Er studierte unter anderem in Leipzig und hat keine Verbindungen zur Selbstverwaltung.
DAANES will Entscheidungen von Damaskus nicht umsetzen
Die DAANES betont, dass sie sich nicht verpflichtet sehe, Entscheidungen einer solchen Regierung umzusetzen. „Keine Regierung, die die Vielstimmigkeit und die multikulturelle Struktur Syriens nicht widerspiegelt, kann das Land erfolgreich führen oder einen Ausweg aus der Krise bieten“, so die Erklärung. Die Fortsetzung vergangener Fehler führe unweigerlich zu neuem Leid für die Bevölkerung. Im Mittelpunkt der Kritik steht die aus Sicht der Selbstverwaltung fehlende Einbeziehung aller Bevölkerungsgruppen in den politischen Prozess. Gerade im Zuge des seit 2011 andauernden Konflikts habe die Bevölkerung Syriens einen grundlegenden Wandel gefordert. Der Ruf nach Mitbestimmung, Gleichheit und Gerechtigkeit dürfe nicht erneut übergangen werden.
„Kein Teil der Bevölkerung darf die Macht monopolisieren“
Die Erklärung endet mit einem Appell an die Regierung in Damaskus, die Weichen für eine inklusive und gerechte Zukunft zu stellen: „Unser Ziel ist der Aufbau eines gemeinsamen und demokratischen Syriens, in dem alle Bürgerinnen und Bürger gleiche Rechte haben. Kein Teil der Bevölkerung darf die Macht monopolisieren. Nur eine Regierung, die alle Völker, Religionsgemeinschaften und gesellschaftlichen Gruppen einschließt, kann eine tragfähige politische Lösung ermöglichen.“